Faktencheck

Dreadlocks und Gen Z: Was über die Dienstanweisung der Nordwestbahn bekannt ist

Während Demonstrierende unter anderem in Bremen gegen das Urteil gegen Lina E. protestierten, kursierte im Internet eine Dienstanweisung der Nordwestbahn. Angestellte sollten demnach mutmaßlich Linksextreme mit „alternativem Auftreten“ der Polizei melden. Was steckt dahinter?

von Pascal Kornatz

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In Bremen fand am 31. Mai eine Solidaritätsdemo für die seit zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzende Linksextreme Lina E. statt (Quelle: Hauke-Christian Dittrich / Picture Alliance / DPA)
Behauptung
Im Rahmen der Proteste gegen das Urteil gegen Lina E. habe die Nordwestbahn in einer internen Nachricht dazu aufgerufen, Fahrgäste aufgrund äußerlicher Merkmale der Bundespolizei zu melden – zum Beispiel, wenn sie ein „alternatives Auftreten“ hätten. Diese Beschreibung habe das Unternehmen von der Bundespolizei übernommen.
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Größtenteils richtig. Die Nordwestbahn bestätigte, dass die interne Nachricht von einem Mitarbeiter der Nordwestbahn verfasst wurde. Doch es ist unklar, von wem die Personenbeschreibung ursächlich stammt.

Seit 1. Juni 2023 kursiert ein Screenshot auf Twitter, der eine interne Nachricht der Nordwestbahn zeigen soll. Der Tweet stammt von der Basisgruppe Antifaschismus, viele Nutzerinnen und Nutzer teilten ihn. In der Nachricht heißt es, „links“ orientierte Personen auf dem Weg nach Bremen seien der Bundespolizei zu melden. Diese seien laut Bundespolizei an „alternativem Auftreten oder Aussehen“ zu erkennen, „evtl. mit Dreadlocks“ unterwegs und „links orientiert“. Auch Personen, die der „Öko-Szene“ oder der „Generation Z“ zuzuordnen seien, würden in das Raster passen. Hintergrund der Suche nach Linken waren Proteste gegen das Urteil gegen Lina E., die unter anderem in Bremen stattgefunden haben.

Auf Twitter zweifeln einige Nutzerinnen und Nutzer, ob diese interne Nachricht tatsächlich echt ist. Unsere Recherche zeigt: Ja, so eine interne Dienstanweisung bei der Nordwestbahn gab es tatsächlich. Doch ob die Nordwestbahn diese vermeintlichen Merkmale selbst geschrieben hat oder die Informationen von der Bundespolizei übernahm, ist unklar.

Die „Basisgruppe Antifa“ veröffentlichte diesen Screenshot mit den vermeintlichen Erkennungsmerkmalen auf Twitter
Die „Basisgruppe Antifa“ veröffentlichte diesen Screenshot mit den vermeintlichen Erkennungsmerkmalen auf Twitter (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Nordwestbahn bestätigt, dass die Nachricht echt ist und distanziert sich vom Inhalt

Bekannt wurde diese interne Nachricht, weil die „Basisgruppe Antifa“ sie auf Twitter veröffentlichte. Auf Anfrage schreibt uns der Account, man habe die Nachricht optisch verändert, um die Identität des Mitarbeiters geheim zu halten.

Die Nordwestbahn bestätigte uns, dass die Nachricht echt ist. Es handle sich um eine interne E-Mail, die ein Mitarbeiter der Betriebsleitzentrale der Nordwestbahn versandt hatte. Er sei mittlerweile von seinen Aufgaben entbunden worden. Das Unternehmen distanzierte sich von den Ausführungen in der E-Mail, diese entsprächen nicht den Leitideen der Nordwestbahn.

Auch die Bundespolizeidirektion Hannover bestätigte den Vorgang: Die Bundespolizei habe am 31. Mai eine Bitte an die Deutsche Bahn in Bremen gestellt, schreibt uns Sprecher Jörg Ristow. Diese sollte das eigene Zugpersonal sowie andere Eisenbahnverkehrsunternehmen, etwa die Nordwestbahn, über die zu erwartende Anreise der Demonstrierenden informieren und „unter Umständen relevante Informationen“ an die Bundespolizei weitergeben.

Die Deutsche Bahn habe diese Informationen dann telefonisch an die eigenen Mitarbeitenden sowie an die anderen Verkehrsunternehmen weitergegeben, bestätigt uns die Deutsche Bahn. Das sei übliche Praxis, heißt es von der Deutschen Bahn und der Bundespolizeidirektion in Hannover. Es gibt seit 2001 eine Ordnungskooperation zwischen beiden Stellen, die unter anderem vorsieht, dass Bahn-Angestellte in Ausnahmefällen Informationen an die Bundespolizei melden.

Weder Bundespolizei noch Nordwestbahn wollen verantwortlich sein

Offen ist aber, wer sich die Beschreibung der vermeintlich Linken ausgedacht hat. Nachdem die Deutsch Bahn die Informationen an die Nordwestbahn weitergegeben hatte, habe ein Mitarbeiter eine telefonische Rückfrage an die Bundespolizei gehabt, heißt es von Benjamin Havermann, Pressesprecher der Nordwestbahn. In dem Gespräch ging es laut Bundespolizei in Hannover um das äußere Erscheinungsbild der Demonstrierenden. Wer in diesem Telefonat jedoch die konkreten Merkmale vermeintlich linker Personen formulierte, die Nordwestbahn oder die Bundespolizei, werde nun ermittelt. Laut Bundespolizei habe diese keine detaillierten Beschreibungen abgegeben.

Die Dienstanweisung der Nordwestbahn nutzt sogenanntes Profiling. Damit sollen bestimmte Personen oder Personengruppen identifiziert werden: In diesem Fall links gesinnte Fahrgäste, die zu der Demonstration nach Bremen reisten. In der taz nennt Rechtsanwalt Sven Adam den Vorgang „absurd“, „diskriminierend“ und „rechtlich hochproblematisch“.

Auch bei der Bundespressekonferenz am 5. Juni war die interne Nachricht Thema, doch die stellvertretende Leiterin des Pressereferats des Bundesinnenministeriums, Sonja Kock, gab keine weitere Auskunft dazu. Auf unsere Anfrage schreibt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums: So ein Unterstützungsersuchen der Bundespolizei mit bestimmten äußerlichen Merkmalen sei nicht bekannt. Es entspreche aber „weder den normierten polizeilichen Verfahrensweisen noch der polizeilichen Praxis“.

Fazit: Die Nachricht ist echt, durch Profiling sollten Mitarbeitende der Nordwestbahn Personen auf dem Weg zu linken Demonstrationen identifizieren und melden. Offen ist, wer sich die Beschreibung, wie linke Menschen angeblich aussehen, ausgedacht hat. Laut Polizei verschickte sie ein Mitarbeiter der Nordwestbahn, nachdem er bei der Polizei telefonisch nachfragte, wie linke Personen aussehen. Ob die konkreten Merkmale, die der angeblichen Beschreibung dienten, von der Nordwestbahn oder der Bundespolizei stammten, konnte uns bis zur Veröffentlichung keine der beiden Seiten mitteilen.

Redigatur: Gabriele Scherndl, Steffen Kutzner