Nein, ZDF-Sendung belegt nicht, dass die Durchschnittstemperatur vor 2.000 Jahren höher war als heute
Das ZDF habe die eigene „Klimahysterie“ entlarvt, heißt es in Sozialen Netzwerken. Denn eine Sendung zeige, dass die Temperatur vor 2.000 Jahren zwei Grad höher als heute gewesen sei. Doch laut Experten ist diese Zahl nicht korrekt. Zudem ist ein solcher Vergleich ohnehin kein Beleg gegen den menschengemachten Klimawandel.
Die menschengemachte globale Erwärmung sei „Klimahysterie“, denn bereits vor 2.000 Jahren sei die Durchschnittstemperatur um etwa 2 Grad höher gewesen als jetzt. Das sei „ganz ohne Autos, Ölheizungen und Co.“ passiert. Das behaupten Beiträge auf Tiktok und Facebook, die über 200.000 Mal angezeigt wurden und sich auf eine ZDF-Sendung beziehen.
Doch diese Schlussfolgerung ist falsch. Richtig ist lediglich, dass es die zitierte ZDF-Sendung gibt und darin der Satz fällt: „Vor 2.000 Jahren lag die Durchschnittstemperatur etwa um zwei Grad höher als heute.“ Doch die Angabe zur Durchschnittstemperatur ist nicht korrekt, wie uns Fachleute für Klimaforschung erklärten. Auch gegen die menschengemachte Klimaerwärmung ist sie kein Argument.
Laut ZDF-Sendung war die Durchschnittstemperatur vor 2.000 Jahren um 2 Grad höher
Der in Sozialen Netzwerken geteilte Videoausschnitt soll aus der Sendung „Carnuntum-Weltstadt im Land der Barbaren“ stammen, wie am oberen Rand des Videos zu sehen ist. Die historische Römerstadt lag zwischen den heutigen Städten Wien, Österreich, und Bratislava, Slowakei.
Die Sendung hat das ZDF am 30. Oktober 2020 veröffentlicht. Darin heißt es (Minute 32, Sekunde 11): „Das Leben oder Sterben eines Gladiators hatte für die Römer wenig Bedeutung und war so selbstverständlich wie der Wechsel der Jahreszeiten. Vor 2.000 Jahren lag die Durchschnittstemperatur etwa um zwei Grad höher als heute. Dennoch konnten die Winter mitunter streng sein und das Überleben in freier Wildbahn war hart.“
In der Sendung geht es nicht um die Ursachen des Klimawandels, sondern um die Gründung einer römischen Großstadt. Wie uns das ZDF auf Anfrage mitteilt, wurde die Sendung vom Österreichischen Rundfunk (ORF) produziert, das ZDF habe dafür lediglich die Lizenz erworben.
Um herauszufinden, ob die Aussage richtig ist, haben wir Fachleute gefragt, ob die Durchschnittstemperatur vor 2.000 Jahren tatsächlich um 2 Grad höher lag.
Experten widersprechen: Aussage über Durchschnittstemperatur ist „falsch und völlig aus dem Kontext gerissen“
Georg Feulner, stellvertretender Leiter der Forschungsabteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) verweist in seiner Antwort an uns auf einen Fachartikel aus dem Jahr 2019. Die Daten darin zeigten: „Die globale Durchschnittstemperatur lag vor 2.000 Jahren […] etwa ein halbes Grad unter der heutigen Temperatur.“ Der Fachartikel stammt vom Past Global Changes (PAGES) 2K Consortium. Das ist eine internationale Gruppe von Expertinnen und Experten, die eine Datenbank zusammengestellt haben, mit deren Hilfe auch vergangene Oberflächentemperaturen der Erde berechnet werden können.
Auch das Umweltbundesamt verweist in seiner Antwort auf diese Quelle. Mathias Ulrich, wissenschaftlicher Referent für Klimaschutz, bezieht sich auf einen 2013 veröffentlichten Fachartikel der Forschungsgruppe. Er zeige, „dass vor 2.000 Jahren die globalen Durchschnittstemperaturen ähnlich den heutigen oder maximal wenige Zehntelgrad im Mittel über dem heutigen Durchschnitt waren.“ Die Aussage, dass die Durchschnittstemperatur vor 2.000 Jahren um etwa 2 Grad höher gewesen sei als jetzt, sei „falsch und völlig aus dem Kontext gerissen“.
An der Aussage in der ZDF-Sendung sei zudem problematisch, dass darin nicht zwischen der globalen Durchschnittstemperatur und den lokalen Temperaturen vor 2.000 Jahren unterschieden werde.
Auch das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam schreibt uns, es sei unklar, auf was sich die ZDF-Sendung genau beziehe. Achim Brauer, Leiter der GFZ-Sektion Klimadynamik und Landschaftsentwicklung, sagt zudem: Zwar sei zu berücksichtigen, dass die Rekonstruktion von Temperaturen aus sogenannten Proxydaten zu einem Fehlerbereich von mindestens einem Grad führten, „trotzdem kann man sagen, dass es vor 2.000 Jahren in Österreich sehr wahrscheinlich nicht 2 Grad wärmer war als heute“. Die Temperatur sei etwa ein Grad höher oder ein Grad niedriger gewesen. Unter Proxydaten versteht man laut Umweltbundesamt Informationen aus Meer- oder Seesedimenten, Gletschern oder Jahrringen von Bäumen.
Wir haben die Aussagen der Fachleute dem ORF und ZDF vorgelegt. Vom ZDF heißt es, für inhaltliche Fragen sei der ORF der richtige Ansprechpartner, die ZDFinfo-Redaktion habe den ORF aber gebeten, „den Sachverhalt und die Möglichkeit einer Korrektur zu prüfen“. Der ORF teilte mit: „Die Dokumentation stammt aus dem Jahr 2006. Sowohl der Regisseur als auch der verantwortliche Redakteur sind mittlerweile verstorben.“ Welche Quellen sie genutzt haben, sei deshalb „heute nicht so einfach feststellbar“. Der Kontext der Doku lege nahe, dass es nicht um eine Aussage zum globalen Klima ging, sondern um das im Osten Österreichs. Zudem sagte der ORF gegenüber der Faktencheck-Redaktion der AFP: „Phänomene der Vergangenheit, zudem aus dem Zusammenhang gerissen, sind aber grundsätzlich untauglich, um die heutige Situation zu beurteilen. Klimaveränderungen in der Erd- und Menschheitsgeschichte hat es regelmäßig gegeben. Doch die Erwärmung, die wir heute erleben, ist einzigartig, da sie menschengemacht ist.“
Vergleich einzelner Jahre ist kein Argument für einen langfristigen Trend
Weiter sagen die Fachleute übereinstimmend, dass der Vergleich der aktuellen Klimalage mit der vor 2.000 Jahren auf Basis des ZDF-Beitrags folgendes Problem birgt: Einzelne Zeitpunkte mit Blick auf die Temperatur oder das Klima zu vergleichen, ist nicht sinnvoll.
Wie uns das Umweltbundesamt schreibt, sei es aktuell Standard, Durchschnittstemperaturen, die über einen Zeitraum von 30 Jahren gemittelt werden, zu vergleichen. Das GFZ schreibt uns dazu: „Außerdem ist der Vergleich eines willkürlich gewählten Jahres mit ‚vor 2.000 Jahren‘ aus einem weiteren Grund nicht möglich. Man kann die Temperatur eines bestimmten Jahres ‚vor 2.000 Jahren‘ nicht rekonstruieren. Das würde auch wenig Sinn ergeben, denn auch zu dieser Zeit hat es wärmere und kühlere Jahre gegeben (Wetter). Sinnvoll wäre der Vergleich etwa eines 30-jährigen Mittels (Klima, nicht Wetter!) von heute mit einem rekonstruierten 30-jährigen Mittel von vor 2.000 Jahren für einen bestimmten Ort oder eine Region.“
Die globale Klimaerwärmung ist vom Menschen getrieben
Doch auch ein sinnvoller Vergleich zwischen dem heutigen Klima und dem vor 2.000 Jahren, würde den menschengemachten Klimawandel nicht in Frage stellen. Das wird unter anderem durch den Sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), einer von den Vereinten Nationen ins Leben gerufenen Institution, deutlich. Darin heißt es (PDF, Seite 8): „Die globale Oberflächentemperatur ist seit 1970 schneller gestiegen als in jedem anderen 50-jährigen Zeitraum, zumindest über die letzten 2.000 Jahre hinweg.“
Diese Beobachtungen spiegeln die globale Erwärmung wider, die durch den Menschen verursacht ist. Darüber sind sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig, wie zahlreiche Studien belegen. Weiter schreibt das IPCC (PDF, Seite 3): „Frühere Temperaturschwankungen wurden durch großflächige natürliche Prozesse verursacht, während die derzeitige Erwärmung weitgehend auf menschliche Ursachen zurückzuführen ist.“
Redigatur: Viktor Marinov, Matthias Bau
Update, 25. Juli 2023: Wir haben den Text um die Antwort des Österreichischen Rundfunks (ORF) ergänzt.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Continental-scale temperature variability during the past two millennia, PAGES 2K Consortium, 21. April 2013: Link (archiviert)
- Consistent multidecadal variability in global temperature reconstructions and simulations over the Common Era, PAGES 2K Consortium, 24 Juli. 2019: Link (archiviert)
- Sechster Sachstandsbericht des IPCC, 2021: Link
- Sechster Sachstandsbericht des IPCC, FAQ Kapitel 3, 2021: Link