Was der Autopsiebericht von George Floyd tatsächlich aussagt
Mehr als drei Jahre sind seit dem Tod von George Floyd vergangen. Nun ziehen Nutzerinnen und Nutzer den Autopsiebericht wieder hervor und behaupten: George Floyd sei nicht an einer lebensbedrohlichen Verletzung, sondern an einer Überdosis gestorben. Fachleute aus der Rechtsmedizin schlüsseln auf, was wirklich drin steht.
Der Tod von George Floyd löste international Proteste aus. Der Afroamerikaner starb nach einem Polizeieinsatz in Minneapolis, USA, im Mai 2020. Ein Polizist kniete auf seinem Rücken, ein anderer auf seinem Hals – der Satz „I can’t breathe!“ ist seither eine Parole gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt.
Über drei Jahre später teilen Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken nun einen Auszug aus einem Autopsiebericht von George Floyd – neu sind die Informationen darin nicht, er stammt aus 2020. Und: Die dazu verbreiteten Informationen stimmen teilweise nicht. In mehreren Beiträgen heißt es, der Bericht zeige, dass Floyd nicht von einem Polizisten getötet worden sei, keine lebensbedrohlichen Verletzungen erlitten habe oder dass er „mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit an einer Überdosis Fentanyl“ gestorben sei.
Wir haben den Autopsiebericht Fachleuten für Rechtsmedizin vorgelegt. Laut derer geht aus dem Bericht hervor, dass Floyd an einem Herzversagen infolge einer Kombination aus vorbestehender schwerer Herzerkrankung, einem möglicherweise Stresshormon bildenden gutartigen Tumor, körperlicher Anstrengung, psychischem Stress und Betäubungsmitteleinfluss starb. Etwa ein Jahr später nannte die US-Gerichtsmedizin in einer Presseaussendung als Todesursache „Homicide”, also Tötung.
Im Blut von George Floyd war tatsächlich Fentanyl, doch das war laut Fachleuten nicht die Todesursache
Der in Sozialen Netzwerken geteilte Auszug stammt aus dem 20-seitigen Autopsiebericht vom 3. Juni 2020, den die Gerichtsmedizin im Hennepin County veröffentlicht hatte. Das ist ein Verwaltungsbezirk rund um die Stadt Minneapolis. Tatsächlich heißt es in dem Autopsiebericht auf Seite Zwei, dass man „no life-threatening injuries“, also keine lebensgefährlichen Verletzungen, gefunden habe. Und, dass Fentanyl im Blut gefunden worden sei – ein Schmerzmittel, das stärker als Heroin ist. Doch was genau war laut dem Bericht die Todesursache?
Dazu eine ausführliche Einschätzung von Carsten Babian, leitender Oberarzt und Lehrbeauftragter am Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig, Jan Dreßler, Direktor des Instituts, Sven Baumann, Abteilungsleiter der dortigen Toxikologie und Susen Becker, Fachingenieurin für Toxikologie.
Sie schreiben, dass geringe Verletzungen des Kopfes, der Schultern, der Arme und Beine dokumentiert seien, aber keine „unmittelbar todesursächliche Gewalteinwirkung“ – also keine Anzeichen für Ersticken, Würgen, Drosseln, Brustkorbkompression, Knochenbrüche oder Organverletzungen.
Die Fentanyl-Konzentration im Blut sei hoch gewesen – so hoch, dass sie bei fehlender Fentanyl-Gewöhnung tatsächlich tödlich wirken könne, es bei regelmäßiger Einnahme jedoch „deutliche Toleranzeffekte“ geben könne. Floyds Freundin gab in einem Gerichtsprozess an, dass er von Opioiden, also Schmerzmitteln, abhängig gewesen sei. Abgesehen davon gebe es aber im Bericht keine Anzeichen für eine „Atemlähmung“, wie sie im Falle einer Fentanyl-Vergiftung zu erwarten wäre, schreiben die Fachleute: „Eine tödliche Vergiftung lag nicht vor“, resümieren sie.
Neben Fentanyl seien auch geringe bis mittlere Mengen Methamphetamin und Cannabis nachgewiesen worden. Deren kombinierte Wirkung könne „im Rahmen des gewaltsamen Polizeieinsatzes zum Herztod beigetragen haben“.
Laut Autopsiebericht starb Floyd an einem Herzversagen, das mehrere Ursachen hatte
Tatsächlich, so lesen die Medizinerinnen und Mediziner aus dem Bericht heraus, starb Floyd an einem Herzversagen und das durch Kombination verschiedener Faktoren: Floyd habe bereits eine schwere Herzerkrankung gehabt, dazu einen gutartigen Tumor, der Stresshormone produziert haben könnte. Die Ausschüttung dieser Hormone könne, so heißt es in der Einschätzung, den Blutdruck erhöhen, zu Herzrasen führen oder Angst- und Panikzustände auslösen.
Als weitere Faktoren nennen die Medizinerinnen und Mediziner körperliche Anstrengung, psychischen Stress und Einfluss von Betäubungsmitteln. Es gibt also keine Hinweise darauf, dass Floyd allein an einer Überdosis starb.
Dazu kommt: An dem Autopsiebericht gab es Kritik. So schrieb etwa Justin Feldman, damals Assistenzprofessor für Epidemiologie an der New York University School of Medicine, in einem Kommentar am 2. Juni 2020 in der Washington Post sinngemäß, die Rolle von Betäubungsmitteln beim Tod Floyds sei in dem Bericht verzerrt dargestellt. Auch andere Rechtsmediziner kommen gegenüber der AP zu dem Schluss: Die im Autopsiebericht festgestellten medizinischen Probleme und der Drogenkonsum würden nichts daran ändern, dass Floyds Tod ein Tötungsdelikt war.
Die Gerichtsmedizin des Hennepin County nannte im Dezember 2021 in einer Pressemitteilung als Todesursache „Homicide”, also Tötung.
Die Kanzlei, die Floyds Familie vertritt, schrieb in einer Aussendung im Juni 2020 außerdem über einen zweiten Autopsiebericht. In dem sei festgestellt worden, dass der Druck auf Nacken und Rücken zu einer mangelnden Durchblutung des Gehirns geführt habe – Floyd sei erstickt, das sei die Todesursache. Das Gericht sprach mehrere beteiligte Polizisten später schuldig – teils wegen Mordes, teils wegen der Verletzung von Bürgerrechten.
Redigatur: Kimberly Nicolaus, Sophie Timmermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Autopsiebericht der Gerichtsmedizin des Hennepin County zu George Floyd, 3. Juni 2020: Link (Englisch, archiviert)
- Pressemitteilung der Gerichtsmedizin des Hennepin County zu George Floyd, 5. Dezember 2021: Link (Englisch, archiviert)
Korrektur, 21. Juli 2023: In dem Text stand, dass das Team aus Fachleuten zum Uniklinikum Leipzig gehöre, es gehört allerdings zur Universität Leipzig. Wir haben das korrigiert.