Selenskyj als Kannibale? Artikel von Deutscher Welle und FAZ über angebliches Graffiti in Berlin gefälscht
Im Netz verbreiten sich Screenshots von vermeintlichen Artikeln der Deutschen Welle und der FAZ. Sie zeigen ein anti-ukrainisches Graffiti von Wolodymyr Selenskyj, das in Berlin aufgetaucht sei. Doch die Artikel gab es nie – und das Haus aus den Bildern steht in Warschau, Polen.
An einer Hausfassade in Berlin soll ein grausames Bild des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj prangen. Darauf beißt er in den abgetrennten Arm eines ukrainischen Soldaten. Selenskyjs Hände sind blutbeschmiert, daneben steht das Wort „Kannibale“ in roter Schrift.
Laut Beiträgen in Sozialen Netzwerken gibt es Medienberichte der Deutschen Welle (DW) und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die die Existenz dieses Graffitis belegen. Screenshots der angeblichen Beiträge finden sich in mehreren Sprachen auf Facebook, Telegram und X, ehemals Twitter. Auch russische Nachrichtenseiten berichteten darüber.
Doch diese vermeintlichen Artikel haben DW und FAZ nie veröffentlicht, die Screenshots sind manipuliert. Die Bilder zeigen zudem gar kein Haus in Berlin, sondern eins in Warschau, Polen.
Weder bei DW noch bei FAZ erschienen Artikel über ein Haus in Berlin mit Selenskyj-Graffiti
Wir haben zunächst auf den Seiten der DW und der FAZ nach den angeblichen Beiträgen über das Bild von Selenskyj gesucht. Mehrere Stichwortsuchen dort und auf Google ergeben weder für die DW noch für die FAZ ein Ergebnis.
Auffällig bei dem vermeintlichen Screenshot des FAZ-Artikels: Der Name des ukrainischen Präsidenten ist mehrfach falsch geschrieben. Einmal lautet sein Nachname „Zelensky“ und einmal „Zelinsky“, der Vorname lautet „Vladimir“. Die FAZ schreibt in ihren Artikeln den Namen des Präsidenten allerdings eigentlich: „Wolodymyr Selenskyj“.
Auf Anfrage der griechischen Faktencheck-Redaktion Myth Detector dementieren FAZ und DW, die Beiträge veröffentlicht zu haben.
Im vermeintlichen FAZ-Artikel und in einigen der Beiträge auf Sozialen Netzwerken heißt es, die Polizei suche nach dem Autor des Graffitis. Auf Anfrage schrieb uns eine Sprecherin der Berliner Polizei hingegen: „Weder den Fachkommissariaten der 5 Polizeidirektionen Berlins als auch den Fachdienststellen des Landeskriminalamtes liegen Erkenntnisse zu diesem Graffiti vor.“ Es seien auch keinerlei Anzeigen dazu bei der Berliner Polizei eingegangen.
Haus mit angeblichen Selenskyj-Bild befindet sich nicht in Berlin, sondern in Warschau
Die Faktencheck-Redaktion von Lead Stories fand außerdem heraus, dass das Haus aus dem Bild gar nicht in Berlin steht, sondern in Warschau. Die Adresse lautet Ignacego Potockiego 4. Vergleicht man dieses Haus in Warschau mit dem aus den gefälschten Medienberichten, wird deutlich, dass es sich um dasselbe Gebäude handelt. Die grüne Fassade ist genau gleich gestrichen, auch Details wie die Straßenlaternen oder das eiserne Tor am Erdgeschoss stimmen überein.
Anders sind, abgesehen von dem Graffiti, ein paar Details. Die Nummer vier und der Name der Straße, die auf Google Maps an der Fassade stehen, fehlen in den manipulierten Medienberichten. Die Bilder von Google stammen von 2021.
Die polnische Flagge, die bei Google zu sehen ist, wird auf den Bildern in den gefälschten Artikeln zu einer deutschen Flagge. Der Verdacht liegt nahe, dass die Ersteller der Fälschung diese Details manipuliert haben, um den eigentlichen Standort des Hauses zu verschleiern.
Dafür, dass es das Graffiti jemals gab, fanden wir keine Belege. Wir haben die Polizei in Warschau gefragt, ob es jemals auf dem Haus zu finden war. Ein Pressesprecher antwortete uns, die Polizei habe keine Kenntnis von dem beschriebenen Graffiti an diesem Ort. Fest steht: Das Haus ist weder in Berlin, noch erschienen darüber Medienberichte in FAZ oder DW, noch sucht die Berliner Polizei nach dem Ersteller.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Max Bernhard, Matthias Bau
Update, 20. September 2023: Nach der Veröffentlichung des Textes antwortete ein Pressesprecher der polnischen Polizei auf unsere Anfrage, dass die Polizei keine Kenntnis von dem Graffiti habe. Das haben wir im Text ergänzt.