Deutscher Wetterdienst verlegte Messstationen nicht gezielt, um Temperaturen wärmer erscheinen zu lassen
Ein Vergleich von Karten des Deutschen Wetterdienstes von 1989 und 2018 soll belegen, dass Stationen zur Temperaturmessung an kühlen Standorten abgebaut oder in wärmere Zonen verschoben worden seien. Durch diese angebliche Manipulation sei die gemessene Durchschnittstemperatur aktuell wärmer. Doch den angeblichen „Klimaschwindel“ gibt es nicht.
Zwei Karten mit Messstationen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) sollen belegen, dass „eine Menge“ Messstationen an kühlen Standorten zwischen 1989 und 2018 „verschwunden“ oder in wärmere Zonen „verschoben“ worden seien. „Klimaschwindel“ heißt es dazu und zu einem Videobeitrag auf X, ehemals Twitter, der sich auch auf Telegram verbreitet. In Städten sei es wärmer als auf dem Land – die Messdaten seien also „manipuliert“ und die erhobenen Durchschnittstemperaturen nur deshalb aktuell wärmer als damals.
Es stimmt, dass sich die Standorte der DWD-Wetterstationen über die Jahre verändert haben und es in städtischen Gebieten grundsätzlich wärmer ist als auf dem Land. Eine gezielte Verlegung der Stationen, um die Temperaturmessungen angeblich gezielt höher erscheinen zu lassen, gibt es laut dem DWD und mehreren Experten aber nicht. Stationen, die an unbeeinflussten ländlichen Standorten installiert und dort durchgehend betrieben wurden, zeigen zudem einen gleichen Trend: Die gemessenen Temperaturen steigen.
Videoausschnitt von Karten des Deutschen Wetterdiensts stammt von 2019
Das Video, das sich aktuell in Sozialen Netzwerken verbreitet, zeigt etwa zwei Minuten eines knapp 30-minütigen Youtube-Videos mit dem Titel „Tricksen, Täuschen, Fabulieren – Der Klimaschwindel“. Das Video ist vom 13. Juli 2019 und hat mehr als 400.000 Aufrufe. Ab Minute 17 geht es um die beiden Wetterkarten des Deutschen Wetterdiensts.
Im Video sieht man die Webseite des Climate Data Centers des DWD, eine Stimme erklärt, über welche Einstellungen die Kartenansicht von 1989 und 2018 zustande kam. Bei den Messstationen sei über die Zeit „getrickst“ worden, heißt es (Minute 18:08).
Wir haben uns die Deutschlandkarten mit denselben Einstellungen angeschaut. Dabei sehen wir die gleichen Kartenansichten wie im Video von 2019, nur bei der Ansicht von 2018 gibt es wenige Unterschiede: Im Vergleich werden dort aktuell auch Stationen angezeigt, für die keine Messwerte vorlagen. Florian Imbery, Leiter des DWD-Referats Nationale Klimaüberwachung, sagt, es sei auch zu Korrekturen beim Einlesen der Koordinaten gekommen.
Unter „Jährliche Stationswerte“ ist das Jahresmittel der Lufttemperatur in zwei Metern Höhe für 1989 und 2018 für alle Messstationen abrufbar. Die Daten zeigen die Koordinaten, also den genauen Standort der Messstationen, den Ortsnamen sowie einen individuellen Zahlencode für jede Station und die durchschnittliche Temperatur für das entsprechende Jahr.
Demnach gab es 1989 insgesamt 527 Stationen und 2018 noch 469 Stationen. Doch inwiefern sich der Standort der Stationen verändert hat, könne über diese Ansicht nicht nachvollzogen werden, erklärt uns Imbery. Zwar seien Standortkoordinaten für jede Station eingetragen, doch diese bildeten die Verlegungen nicht korrekt ab. Dafür müsse man auf einen anderen Datensatz zurückgreifen. Ob der Ersteller des Youtube-Videos das getan hat, ist in dem Video nicht zu sehen.
Zu der Frage, wie viele Stationen ihren Standort von 1989 zu 2018 verändert haben, schrieb uns der DWD:
- 58 Messstationen lieferten 2018 keine Daten mehr
- 271 Messstationen lieferten 1989 und 2018 Daten
- Bis 2018 kamen 198 neue Messstationen hinzu
- Von den 271 Messstationen wurden 256 Stationen verschoben – darunter 139 um mehr als 250 Meter, 117 um weniger als 250 Meter 2018. Die restlichen 15 seien um fünf oder weniger Meter verschoben worden, weil deren Koordinaten nach neuer Einmessung korrigiert wurden
DWD: Keine „systematische Verlegung“ von Messstationen
Doch was sagt der DWD zu dem Vorwurf, er würde bei den Messdaten tricksen? „Eine systematische Verlegung von Messstationen in wärmere Zonen erfolgt nicht“, schreibt der DWD auf seiner Webseite zu der Frage, ob er „seine Stationen näher in Richtung warme Zentren verlegt“ habe. Bei der Auswahl der Standorte für Stationen werde darauf geachtet, dass eine gute Verteilung der Stationen über verschiedene Naturräume und Höhenlagen innerhalb Deutschlands erfolgt.
Wir haben den Verfasser des Youtube-Videos deshalb gefragt, wie er zu seinen Aussagen kam. Er antwortete uns, nirgends spreche er „über eine ‚systematische Verlegung‘ von Messstationen“ – das ist richtig, dennoch suggeriert er in seinem Video, dass es eine absichtliche Manipulation gebe. Weiter behauptet er, dass Messstationen aus weniger dicht besiedelten Regionen entfernt wurden und somit mehr stadtnahe Messstationen die Statistiken prägten und somit mehr Stadtklima gemessen werde. Belege für diese Behauptungen liefert er auch in seiner Antwort an uns nicht.
Die Behauptung im Video bewertet Tilo Arnhold, Sprecher des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung in Leipzig gegenüber der AFP als „ziemlichen Unsinn“. Tatsächlich sei der DWD für das Gegenteil kritisiert worden: hohe Temperaturen in Städten würden im Messnetz nicht ausreichend abgebildet. Ähnlich äußert sich Henning Rust, Professor für Statistische Meteorologie an der Freien Universität Berlin, in seiner Antwort an CORRECTIV.Faktencheck. Kolleginnen und Kollegen, die sich mit der Thematik beschäftigten, hätten geäußert, es gebe zu wenige Stationen in der Stadt. Die Idee, der Wetterdienst habe kältere Standorte der Statistik entzogen, hält Rust für „absurd“.
Warum sich Standorte der DWD-Messstationen über die Zeit verändern
Dennoch gibt es 2018 weniger Messstationen als 1989 und einige befinden sich an anderen Standorten, was ist der Grund dafür? Dass Messstationen über die Zeit verlegt wurden, hat laut dem DWD verschiedene Gründe. Oft sei es schwierig, am gleichen Stationsstandort über lange Perioden die Beobachtungen durchzuführen, etwa „wenn die Bedingungen für repräsentative Messungen nicht mehr gewährleistet sind“. Beispielsweise seien in den letzten Jahren Stationen bei Freiburg, Karlsruhe und Kassel aus den Innenstadtgebieten in die Peripherie der Städte oder ins Umland verlegt worden, weil sich die ursprünglichen Standorte wegen zunehmender Bebauung nicht mehr geeignet hätten.
Henning Rust von der Freien Universität Berlin weist auch darauf hin, dass die Wahl der Standorte verschiedenen Kriterien unterliegt: „Unter anderem denen von der WMO [Anm. d. Red. Weltorganisation für Meteorologie] aber auch ganz praktischen Erwägungen: Darf ich auf dem Gelände was aufstellen?“ An die WMO-Vorgaben halte man sich, so der DWD. Im WMO-Leitfaden für Instrumente und Methoden der Beobachtung heißt es: „Der am besten geeignete Standort für die Messung ist daher ein ebener Boden, der der Sonne und dem Wind frei ausgesetzt ist und nicht durch Bäume, Gebäude oder andere Hindernisse abgeschirmt oder verdeckt wird.“
Dass es keine gezielte Verlegung von Messstationen gibt, um angeblich die Temperaturdaten zu manipulieren, belegen auch die Messdaten von Stationen, die an unbeeinflussten ländlichen Gebieten durchgängig betrieben wurden. Auf seiner Webseite führt der DWD beispielhaft Daten der Stationen Helgoland und Hohenpeißenberg auf. Sie messen einen Temperaturanstieg, wie er deutschlandweit von 1881 bis 2022 zu beobachten war.
Deutscher Wetterdienst berücksichtigt Stadtklima
Richtig ist, wie im Youtube-Video angesprochen, dass es in Städten wärmer ist. Rust bestätigt, dass es in Städten zwei bis vier Grad wärmer ist – der sogenannte Wärmeinseleffekt. Das heißt: „In urbanen Ballungsräumen sind im Vergleich zur ländlichen Umgebung bodennah höhere Lufttemperaturen zu beobachten“, wie das Amt für Umweltschutz Stuttgart erklärt.
Florian Imbery vom DWD erklärt gegenüber CORRECTIV.Faktencheck: „Stationen, die vom Wärmeinseleffekt betroffen sind, fließen nicht in die Berechnung des Gebietsmittels der Durchschnittstemperatur ein.“
Zudem erklärt der DWD auf seiner Webseite: Bei der Berechnung des deutschlandweiten Temperaturmittelwerts werde ein Verfahren genutzt, das den Einfluss von Veränderungen im Messnetz minimiere. Zum Beispiel werde berücksichtigt, dass bei höher gelegenen Stationen „niedrigere Messwerte erwartbar sind“, sagt Imbery. Deshalb werde – bildlich gesprochen – auf ganz Deutschland ein Raster gelegt und für jedes Rasterfeld mit einem Quadratkilometer Größe die Temperatur statistisch berechnet. Dieses Rasterfeld werde dann zur Bestimmung des Gebietsmittels der Temperatur für Deutschland und der Bundesländer verwendet.
Durch diese Vorgehensweise würde auch der Effekt von Stationsverlegungen reduziert, schreiben Frank Kaspar und Hermann Mächel vom DWD (PDF, Download) im Sachbuch „Klimawandel in Deutschland“ von 2017.
Globale Erwärmung wissenschaftlich belegt
Fest steht: Die Durchschnittstemperatur in Deutschland wird immer wärmer. Eine Grafik des DWD zeigt Anomalien, also Abweichungen der Temperatur von langjährigen Durchschnittswerten in Deutschland. Die jährlichen Durchschnittswerte seit 1881, insbesondere die letzten Jahre (rote Balken) waren immer wärmer als der vieljährige Mittelwert von 8,9 Grad Celsius.
Doch auch weltweit steigen die Temperaturen, wie das Umweltbundesamt auf seiner Webseite mit einer Grafik veranschaulicht. Dazu heißt es: „2022 war weltweit das sechstwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Damit stellen die letzten acht Jahre die weltweit wärmsten dar.“ Die globale Erwärmung, also der Klimawandel, ist vom Menschen verursacht. Darüber sind sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahren einig, wie zahlreiche Studien belegen.
Angebliche Belege dafür, dass der weltweite Anstieg der Temperaturen auf andere Ursachen als den Klimawandel zurückzuführen sei, begegnen uns immer wieder.
Redigatur: Max Bernhard, Sophie Timmermann, Matthias Bau
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Karte mit Temperaturmessungen, CDC – Climate Data Center, 2023: Link
- Datensatz mit Messstationen und deren Standorten, Deutscher Wetterdienst, 2023: Link
- „Häufig gestellte Fragen zu den Zeitreihen der Temperatur in Deutschland“, Deutscher Wetterdienst, 2023: Link (archiviert)