Falsch übersetzt: In diesem Video sagt eine Palästinenserin nicht, sie sei eine Gefangene der Hamas
International kursiert ein Video, in dem eine palästinensische Frau laut den englischen Untertiteln sagt, die Menschen in Gaza seien „Gefangene der Hamas“ und sie „bevorzuge die Juden“. Doch die Übersetzung ist falsch, tatsächlich spricht die Frau über die Bergung der Leiche ihres Sohnes.
„Selbst die eigenen Leute der Hamas verachten sie und ziehen die IDF [das israelische Militär, Anm. d. Red.] vor“, heißt es zu einem Video in Sozialen Netzwerken. Darin ist eine ältere Frau auf einer Straße zu sehen, sie spricht auf Arabisch in die Kamera.
Das Video ist auf Englisch untertitelt. Demnach soll sie sagen: „Wir sind Gefangene der Hamas. Ich bevorzuge die Juden.“ Weiter erzählt die Frau angeblich, dass die Menschen fliehen wollten, die Hamas sie aber gezwungen habe, zu bleiben. Sie selbst sei von der Hamas mit dem Tod bedroht worden, falls sie fliehe.
Das Video verbreitet sich seit dem 10. November 2023 international in Sozialen Netzwerken, etwa auf Tiktok, Telegram oder Facebook. Allein auf X hat es mehr als 300.000 Aufrufe. Die israelische Botschaft in den USA teilte das Video auf X, hat es inzwischen aber gelöscht.
Die englischen Untertitel geben die Äußerungen der Frau falsch wieder. Sie spricht nicht über die Hamas, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Sie sagt auch nicht, sie „bevorzuge die Juden“. Tatsächlich erzählt sie in dem 30 Sekunden langen Video, wie sie die Leiche ihres Sohnes geborgen hat.
Worte der Palästinenserin im Video wurden falsch ins Englische übersetzt
Unter einigen Beiträgen in Sozialen Netzwerken weisen Nutzerinnen und Nutzer auf die falschen Untertitel hin. Sie kommentieren andere Übersetzungen, die sich teils leicht unterscheiden, im Kern jedoch übereinstimmen.
Demnach erzählt die Frau, dass sie ihren 30-jährigen toten Sohn auf einer Straße geborgen habe. Sie habe ihn an seinem Gürtel und dem Handy erkannt. Dort seien israelische Soldatinnen und Soldaten und weitere Leichen gewesen. Wir haben das Video ebenfalls einem arabischen Muttersprachler vorgelegt, der diese Übersetzung bestätigte.
Die palästinensische Webseite Tahaqaq fand eine längere Version des Videos bei dem katarischen Fernsehsender Alaraby TV. Das einminütige Video wurde am 7. November auf Youtube veröffentlicht und zeigt dieselbe Frau aus einer anderen Perspektive. Der Titel des Videos lautet übersetzt: „Seltener Mut … eine ältere Palästinenserin riskiert ihr Leben, um an die Leiche ihres gemarterten Sohnes zu gelangen.“
Palästinensische Frau im Video spricht nicht über die Hamas
Tahaqaq und die indische Faktencheck-Redaktion AltNews haben jeweils Übersetzungen der längeren Version des Videos veröffentlicht, die größtenteils übereinstimmen. Die Frau erzählt, dass sie die Leiche ihres Sohnes zusammen mit vier weiteren Leichen in Netzarim gefunden habe, einem Ort im Gazastreifen.
Einige israelische Soldatinnen und Soldaten seien aus den Panzern herausgekommen. Sie habe ihnen durch Winken signalisiert, dass sie die Leiche bergen wolle. „Ich wickelte meinen Sohn in eine Decke und zog ihn heraus. Direkt vor den Augen der israelischen Soldaten, damit sie wissen, dass ich meinen Sohn abholen wollte.“
In beiden Übersetzungen ist kein Hinweis, dass die Palästinenserin – wie in Sozialen Netzwerken behauptet – gesagt hat, sie „bevorzuge die Juden“ oder sei eine „Gefangene der Hamas“. Ebenso wenig spricht sie darüber, dass die Hamas eine Flucht der Menschen verhindere oder ihr mit dem Tod gedroht habe.
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Redigatur: Viktor Marinov, Gabriele Scherndl