Nein, die Verkehrskameras in Deutschland wurden nicht wegen der Bauernproteste ausgeschaltet
Auf seinem Verschwörungssender Auf1 kommentiert Stefan Magnet die aktuellen Bauernproteste und meint, alle Verkehrskameras in Deutschland seien plötzlich abgeschaltet worden. Dass viele Kameras keine öffentlichen Bilder liefern, hat jedoch einen anderen Hintergrund – und ist nicht neu.
Tausende Landwirtinnen und Landwirte protestieren aktuell gegen Sparpläne der Bundesregierung. Vielerorts sind Traktor-Kolonnen unterwegs. Doch um „die Macht der Masse“ nicht zu zeigen, seien Verkehrskameras „heute plötzlich alle abgeschaltet gewesen“, behauptet der Österreicher Stefan Magnet in einem Telegram-Beitrag vom 9. Januar. Als Beleg blendet er Screenshots von Verkehrsinfoseiten verschiedener Bundesländer im Video ein, auf denen scheinbar keine Kamerabilder zur Verfügung stehen.
Der Ausschnitt, der auch auf Facebook kursiert, stammt aus einem längeren Video von Magnets Sender Auf1. Der Sender verbreitet Desinformation, Verschwörungserzählungen und rechte bis rechtsextreme Inhalte. Einige Nutzer behaupten auch unabhängig von Magnets Video, dass Verkehrskameras, etwa in Hamburg, wegen der Bauernproteste abgeschaltet worden seien. Das ist falsch.
Verkehrskameras wegen Ukraine-Krieg seit März 2022 abgeschaltet
Eine Stichwortsuche, ob Verkehrskameras abgeschaltet wurden, liefert zahlreiche Medienberichte vom letzten Jahr. T-Online berichtete im März 2022, das gehe auf eine Bitte des Bundesverkehrsministeriums aufgrund des Ukraine-Kriegs zurück.
Der Bund habe nach dem russischen Angriff entschieden, keine Webcam-Bilder mehr im Internet zu übertragen, die „Verkehrsbewegungen auf den Verkehrsmagistralen zeigen“, teilt das Bundesverkehrsministerium CORRECTIV.Faktencheck auf Anfrage mit. Die Straßenbaubehörden der Bundesländer und die Autobahn GmbH seien im März 2022 gebeten worden, keine Bilder mehr zu veröffentlichen.
Das bestätigen uns die Stadt Hamburg, das bayerische Verkehrsministerium sowie das Verkehrsministerium in Baden-Württemberg – Verkehrsseiten der Bundesländer werden im Video eingeblendet. Mit den Abschaltungen soll verhindert werden, dass Truppenbewegungen des Militärs weltweit im Internet zu sehen sind, erklärt Ludger Kühnhenrich von der Stadt Hamburg. Speziell etwa, dass ausländische Nachrichtendienste die Bewegungsprofile von zivilen oder militärischen Konvois rekonstruieren, schreibt Edgar Neumann, Leiter der Pressestelle des Verkehrsministeriums in Baden-Württemberg.
Das Abschalten der Webcam-Bilder stehe in keiner Verbindung mit den Bauernprotesten, so Neumann, auch Kühnhenrich betont, es sei „vollkommen unabhängig davon erfolgt“. Wie lange die Livestreams eingeschränkt bleiben, ist laut Bundesverkehrsministerium noch offen.
Fragen von CORRECTIV.Faktencheck wollte Stefan Magnet nicht beantworten.
Eingeblendete Verkehrskamera-Screenshots führen in die Irre
Stefan Magnet blendet in seinem Video Screenshots der Verkehrsseiten von Hamburg, Berlin, Baden-Württemberg und Bayern ein.
Der eingeblendete Screenshot aus Berlin stammt von der Tourismus-Seite. Unter der Verkehrslagekarte heißt es „dieser Service ist zur Zeit leider nicht verfügbar“. Dieser Verweis stand zeitweise schon 2021 da, wie ein Blick auf eine archivierte Version der Seite zeigt. „Offenbar kam es auf der Tourismus-Seite zu einem Verlinkungsfehler“, schreibt Michael Herden, stellvertretender Pressesprecher der Berliner Senatsverwaltung für Verkehr. Die Verkehrslagekarte, die Angaben über Stau und den Verkehrsfluss macht, war und ist auf der Seite der Berliner Verkehrsregelungszentrale verfügbar. Magnets Aussage es gebe „keine Verkehrslagekarte in Berlin“ ist somit falsch.
Auf der Hamburg-Seite sei laut Magnet zu lesen, dass die Kameras wegen „politischer Vorgaben“ ausgeschaltet worden seien. Diese Worte finden sich dort (aktuell zumindest) nicht, es heißt (Stand 17. Januar) „aufgrund von rechtlichen Vorgaben stehen die Kamerabilder aktuell nicht zur Verfügung“. Ob es zu einer Formulierungsänderung kam, ist unklar, ein Bezug zu den Bauernprotesten hat die Bilder-Einschränkung in jedem Fall nicht.
Livebilder über Städte-Webcams weiter möglich
Der Verweis auf die bayerische Seite führt ebenfalls in die Irre. Richtig ist, dass ein paar Kameras der B2 nicht verfügbar sind — doch der eingeblendete Screenshot bildet nur zwei der sechs Kameras für diese Bundesstraße ab. Und die anderen vier, wie auch Webcams anderer Bundesstraßen, funktionieren.
Auf Nachfrage, wie sich entscheidet, welche Kameras eingeschränkt werden, schreibt das Bundesverkehrsministerium, die Entscheidung betreffe „wichtige Verkehrsmagistralen, konkret also Bundesautobahnen und vergleichbar ausgebaute Bundesstraßen“.
Städte-Webcams, die nicht der Verkehrsüberwachung dienen, liefern zudem weiter Livebilder: In Hamburg gibt es Bilder direkt aus der Speicherstadt, eine Livecam am Hotel Adlon Kempinski in Berlin bietet und bot einen direkten Blick auf das Brandenburger Tor und die dahinter liegende Straße des 17. Juli – und somit auch auf die Proteste.
Redigatur: Steffen Kutzner, Max Bernhard