Faktencheck

Nein, Island hat die Covid-19-Impfung nicht verboten

Wegen eines sprunghaften Anstiegs von Todesfällen soll die Regierung in Island angeblich die Covid-19-Impfung eingestellt haben. So heißt es in Blog-Artikeln und Beiträgen in Sozialen Netzwerken. Doch beides stimmt nicht: Weder sind die Todeszahlen sprunghaft angestiegen, noch gibt es ein Impfverbot.

von Paulina Thom

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Anders als online behauptet ist die Covid-19-Impfung in Island nicht verboten. Eine Impfung ist für Risikogruppen empfohlen. (Symbolbild: Durand Thibaut / ABACA / Picture Alliance)
Behauptung
Die isländische Regierung habe die mRNA-Impfung gegen Covid-19 verboten, weil es einen sprunghaften Anstieg der Übersterblichkeit gegeben habe.
Bewertung
Falsch. Die Covid-19-Impfung ist in Island nicht verboten. Die isländische Gesundheitsbehörde empfiehlt Risikogruppen weiterhin eine Impfung gegen Covid-19. Daten belegen keinen sprunghaften Anstieg der Übersterblichkeit in Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung.

„Entschlossene Maßnahmen“ habe die isländische Regierung Anfang Dezember 2023 angeblich ergriffen: Weil „plötzliche Todesfälle“ sprunghaft ansteigen würden, soll Island die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 verboten haben, heißt es in Beiträgen auf X und Facebook. Hunderttausende Aufrufe verzeichnet allein der X-Beitrag. 

Die Behauptung stammt von einem Artikel der US-Webseite Slay News, veröffentlicht am 30. November 2023, doch mittlerweile gelöscht. Die Webseite fiel schon mehrfach mit Desinformation auf – so auch diesmal, wie unsere Recherche zeigt.

Screenshot des übersetzten Artikels von Slay News
Nutzerinnen und Nutzer von Sozialen Netzwerken verbreiten die deutsche Übersetzung einer Falschbehauptung zu Covid-19, die die US-Webseite Slay News veröffentlichte (Quelle: X, Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Artikel falsch interpretiert – Island empfiehlt weiterhin Covid-19-Impfung für Risikogruppen

Slay News schreibt, die isländische Regierung habe die Bürgerinnen und Bürger über das Verbot der mRNA-Impfstoffe in einer Mitteilung informiert, die am 17. November 2023 in einem Artikel der isländischen Tageszeitung Morgunbladid erschienen sei. Auf diese Quelle beruft sich auch der englischsprachige Blog Newsaddicts, der die Behauptung ebenfalls teilte. 

Doch in dem Artikel von Morgunbladid – der hinter einer Paywall ist – steht nichts von einem Verbot der Covid-19-Impfstoffe, wie uns die Zeitung auf Anfrage bestätigt. Darin heißt es lediglich, dass sich die breite Öffentlichkeit „nächste Woche“ gegen Grippe impfen lassen könne, aber „im Moment“ nicht gegen Covid-19.

Auf der Webseite der isländischen Gesundheitsbehörde steht ebenfalls nichts von einem Verbot der Covid-19-Impfung. 

Im Gegenteil: Laut einer Pressemitteilung und den neuesten Richtlinien zur Covid-19-Impfung vom 2. Oktober 2023 empfiehlt die isländische Chef-Epidemiologin Guðrún Aspelund Vorerkrankten, medizinischem Personal mit Kontakt zu Risikogruppen, Schwangeren und allen Menschen ab 60 Jahren eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer gegen die Omikron-Variante XBB.1.5. Auf Anfrage bestätigt uns Margrét Erlendsdóttir, Pressesprecherin des isländischen Gesundheitsministeriums: „Die Impfungen gegen Covid-19 laufen weiter.“ 

Kein sprunghafter Anstieg der Übersterblichkeit in Island

Als Grund für das angebliche Verbot der Covid-19-Impfung in Island nennen die Blog-Beiträge einen sprunghaften Anstieg der Übersterblichkeit aufgrund „plötzlicher Todesfälle“. Doch auch das stimmt nicht, sagte Guðrún Aspelund gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Der Begriff „Übersterblichkeit“ soll in diesem Kontext ausdrücken, dass in einem bestimmten Zeitraum mehr Menschen starben, als nach durchschnittlichen Sterbefallzahlen vergangener Jahre im selben Zeitraum zu erwarten gewesen wäre. 

Die Impfungen in Island begannen Ende Dezember 2020 und tatsächlich zeigt die in den Blog-Beiträgen angeführte Grafik von der Webseite „Our World in Data“ in diesem Zeitraum einen leichten Anstieg der Übersterblichkeit, allerdings schon im Oktober 2020. Nach Beginn der Impfungen bleibt sie in den Folgemonaten auf einem relativ gleichbleibenden, niedrigen Level.

Der Anstieg ist auch nicht „sprunghaft“, wie es in den Blog-Beiträgen heißt. Weil in der Grafik der Startzeitpunkt März 2020 eingestellt ist (Grafik oben), zeichnet der Anstieg der Übersterblichkeit in den Monaten bis September 2023 ein verzerrtes Bild ab. Das lässt sich mit Blick auf die Prozentangaben (links in der Grafik) erkennen, wenn die Grafik auf den Startzeitpunkt 5. Januar 2020 (Grafik unten) eingestellt ist.

Vergleich der Grafik mit unterschiedlichen Zeitpunkten
In den Blog-Artikeln ist als Zeitpunkt der 1. März 2020 gewählt (oben). Betrachtet man den gesamten Zeitraum ab dem 5. Januar 2020 (unten), erscheint der Anstieg ab Februar 2022 weniger drastisch. (Quelle: Our World in Data; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch Kristjana Hrönn Ásbjörnsdóttir, Epidemiologin an der Universität von Island, schreibt uns, dass es sich bei der Behauptung um eine Falschinformation handele.

Epidemiologin: Anstieg der Übersterblichkeit ab Februar 2022 nicht wegen Covid-19-Impfungen

In der Grafik ist zu erkennen, dass etwa ab Februar 2022 die Sterberate in Island leicht angestiegen ist. Das sei aber nicht auf die Covid-19-Impfungen zurückzuführen, schreibt Ásbjörnsdóttir. „Nach den umfassenden Impfungen in Island wurden im Februar 2022 alle Beschränkungen im Zusammenhang mit Covid aufgehoben, was zu einer erneuten Übertragung der Influenza und einer verstärkten Übertragung von Covid führte.“ 

Hinzu kam im selben Zeitraum die besonders ansteckende Omikron-Variante, wie Chef-Epidemiologin Guðrún Aspelund dem Sender RÚV erklärte: „Im Jahr 2022 kam es zu einer Übersterblichkeit, etwa zur gleichen Zeit, als die große Omikron-Welle zwischen Februar und März auftrat.“ 

„Wenn die Impfung eine Flut von Todesfällen verursacht hätte“, schreibt uns Ásbjörnsdóttir, „müsste sich dies in den Mustern der Todesursachen auf den Totenscheinen widerspiegeln, was aber nicht der Fall ist.“ 

OECD-Zahlen zeigen, dass die Übersterblichkeit in Island im weltweiten Vergleich gering ist

Der Grafik von „Our World in Data“ lägen zudem absolute Todeszahlen zugrunde, die keine Veränderungen in der Bevölkerung, wie das Wachstum oder die Alterung, berücksichtigten. „Solche Faktoren können sich stark auf die beobachteten Trends auswirken, insbesondere in Island, wo die Bevölkerung so klein ist“, schreibt Ásbjörnsdóttir. So könne eine „kleine absolute Zahl von Todesfällen“ zu einer „großen proportionalen Abweichung“ vom Vergleichsjahr führen.

Eine differenziertere Auswertung (Seite 19, Grafik 3.3) habe die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erstellt. Sie zeige, dass die Übersterblichkeit in Island in den letzten Jahren im weltweiten Vergleich gering sei, schreibt uns Ásbjörnsdóttir weiter: 2020 und 2021 lag die Sterblichkeit deutlich unter dem Vergleichszeitraum (2015 bis 2019), im Jahr 2022 leicht darüber, aber innerhalb der normalen Schwankungsbreite, so Ásbjörnsdóttir. Verglichen mit den anderen OECD-Ländern hatte Island nach Neuseeland die geringste Übersterblichkeit in den Jahren 2020 bis 2022. 

Island hat eine besonders hohe Impfquote gegen Covid-19 im europäischen und weltweiten Vergleichlaut Medienberichten waren im November 2021 mehr als 90 Prozent der Personen über 16 Jahren geimpft. 

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilung des isländischen Gesundheitsministeriums, 2. Oktober 2023: Link (Englisch, archiviert)
  • Richtlinien zur Covid-19-Impfung, Isländische Gesundheitsbehörde, 2. Oktober 2023: Link (Englisch, PDF, archiviert)
  • Auswertung OECD: „OECD Health Working Paper No. 163“, 17. November 2023: Link (Englisch, PDF, archiviert)

Korrektur, 24. Januar 2024: In dem Text hieß es fälschlicherweise, die Grafik in den Blogbeiträgen würde erst am 1. Mai 2020 starten und damit den Anfang der Pandemie nicht abbilden. Tatsächlich startet die Grafik am 1. März 2020, der erste bekannte Corona-Fall in Island wurde Ende Februar 2020 entdeckt. Wir konkretisierten außerdem, dass in der Grafik ab Oktober 2020 die Übersterblichkeit leicht anstieg und dann einige Monate auf einem relativ gleichbleibenden Level blieb.