Faktencheck

Ukraine statt Israel: Video zeigt keinen Luftangriff in Tel Aviv, sondern in Sewastopol

Im Zuge der Luftangriffe im Nahen Osten kursieren in Sozialen Netzwerken manche Videos, die etwas völlig anderes zeigen. So tauchte bereits Tage vor den iranischen Luftangriffen auf Tel Aviv ein Video auf, das eigentlich die Krim zeigt. Dabei hat auch „Grok“ eine Rolle gespielt – die Künstliche Intelligenz von Elon Musk.

von Sarah Thust

Video aus Sewastopol Ukraine – nicht Iran in Tel Aviv
In Sozialen Netzwerken verbreitet sich im April dieses Video aus der Stadt Sewastopol – dazu wird fälschlicherweise behauptet, es zeige einen Angriff auf Tel Aviv (Quelle: Telegram; Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Video zeige, wie der Iran die Stadt Tel Aviv in Israel mit Raketen angriff und mehrere Gebäude zerstörte.
Bewertung
Falscher Kontext
Über diese Bewertung
Falscher Kontext. Das Video zeigt einen Angriff auf die Stadt Sewastopol auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim.

Die Lage im Nahen Osten bleibt angespannt: Zahlreiche Bilder im Netz zeigen Luftangriffe auf Israel, den Iran und Nachbarländer wie Syrien oder den Libanon. Doch welche davon sind echt – und welche nicht? Ein Beispiel zeigt, wie sich das überprüfen lässt und warum sich manchmal die falschen Bilder viral verbreiten. 

In der Nacht zum 5. April 2024 veröffentlichte der englischsprachige Telegram-Kanal „WW3INFO“ ein Video, das angeblich einen iranischen Angriff auf die Stadt Tel Aviv in Israel zeigt und sich rasant in Sozialen Netzwerken verbreitete. In dem zehn Sekunden langen Video sind mehrere Explosionen zu sehen, zudem einige Häuser und Stadtlichter.

Es wurde auch auf Spanisch und auf Deutsch geteilt, auf Plattformen wie X oder Facebook. Die Behauptung scheint dazu zu passen, dass der oberste Führer des Irans, Ali Khamenei, Israel nach einem Luftangriff auf die iranische Botschaft in Syrien am 1. April 2024 mit Vergeltung gedroht hatte. 

Nicht Tel Aviv – Spur des Videos führt nach Sewastopol 

Schon eine kurze Google-Suche zeigt, dass der Iran Anfang April Tel Aviv nicht angegriffen hat. 

Die Suche nach einzelnen Aufnahmen aus dem Video führt zu mehreren Medienberichten vom 24. März 2024. Demnach kursierte es auf X bereits Wochen vor einem Angriff auf Tel Aviv und zeigt Explosionen in Sewastopol auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim. Der Clip findet sich nicht nur in russischen Medienberichten, sondern auch auf ukrainischen News-Webseiten und in deutschsprachigen Medienberichten. Demnach handelt es sich um einen Angriff der ukrainischen Luftwaffe.

Tweet: BREAKING: Massive Ukrainian strikes in Crimea. A massive attack on Russian-controlled Sevastopol by Ukraine has resulted in one fatality and four injuries, according to the city's governor. Source: TASS
Russische Medien berichteten am 24. März 2024 von einem Angriff auf Sewastopol auf der Krim – auch die ukrainische Armee bestätigte den Schlag auf die Hafenstadt. In diesem Kontext wurde das Video verbreitet. (Quelle: X; Screenshot und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

In einem X-Beitrag hat ein Nutzer den Ort des Videos in Sewastopol herausgefunden. Dieser lässt sich über den Kartendienst der russischen Suchmaschine Yandex nachvollziehen. Die markanten Punkte haben wir in diesem Bild zum Vergleich markiert: In beiden Aufnahmen – einmal bei Nacht und einmal bei Tag – ist links ein Türmchen auf dem niedrigeren Gebäude zu sehen (gelb markiert) sowie die höhere Hauswand ohne Fenster (blau markiert) und rechts daneben ein Hochhaus mit einer Glasfassade (rot markiert, auch hier zu erkennen).

der gelbe Pfeil zeigt auf das Türmchen, der blaue Kreis die Fassade ohne Fenster, und das rote Rechteck das Hochhaus mit der Glasfront
Eine Aufnahme aus dem Video, das angeblich Tel Aviv zeigen soll. Es zeigt aber eine Straße in Sewastopol, wie sich anhand der markierten Bauten erkennen lässt – der gelbe Pfeil zeigt auf das Türmchen, der blaue Kreis die Fassade ohne Fenster, und das rote Rechteck das Hochhaus mit der Glasfront (Quelle: X; Screenshot, Aufhellung und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)
Yandex Maps zeigt dieselben Gebäude wie das Video
Hier findet sich eine Aufnahme derselben Gebäude in Sewastopol – zum Vergleich zeigt hier ebenfalls der gelbe Pfeil auf das Türmchen, der blaue Kreis auf die Fassade ohne Fenster, und das rote Rechteck auf das Hochhaus mit der Glasfront (Quelle: Yandex Maps; Screenshot und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Warum verbreitete sich das Video so stark auf X? 

Wie die Nachrichtenseiten Mashable und Euronews berichteten, spielte ein Update auf X bei der Verbreitung des Videos eine Rolle: Am 4. April sei in den englischen Suchvorschlägen das Thema „Iran beschießt Tel Aviv mit schweren Raketen“ angezeigt worden, obwohl es so einen Angriff nicht gab. Grund für den Fehler sei der Einsatz von der hauseigenen Künstlichen Intelligenz „Grok“, deren Textvorschlag nicht überprüft wurde. 

Hinter dem Video, das unterschiedliche Accounts mit blauem Haken mit der falschen Behauptung teilten, generierte die KI daraus eine Art Zusammenfassung und verfasste dazu einen passenden Text und Überschrift. Den blauen Haken erhalten Nutzende bei X gegen Bezahlung. 

Der KI-Chatbot Grok von X hat am 4. und 5. April 2024 ein eigenes Thema erstellt: Iran stirkes Tel Aviov with heavy missiles - eine Falschmeldung
Künstliche Intelligenz macht Fehler: Am 4. April teilten mehrere X-Profile das Video von der Krim in der Ukraine mit der falschen Beschreibung, worauf das Thema in den Suchvorschlägen mit einem Text von X-Chatbot „Grok“ gelistet wurde (Quelle: Matt Binder / Mashable)

Doch mit dem Fake war es nicht vorbei. In der Nacht zum 14. April griff der Iran Israel erstmals direkt an. Obwohl Nutzerinnen und Nutzer sowie mehrere Faktenchecks inzwischen auf den falschen Kontext zum Video hingewiesen hatten, wurde es auch an diesem Tag wieder verbreitet. Beiträge damit tauchten in arabischer Sprache auf Instagram und auf der russischen Plattform VK auf.  

Alle Faktenchecks zu Falschmeldungen und Gerüchten zum Krieg im Nahen Osten finden Sie hier.

Redigatur: Steffen Kutzner, Viktor Marinov