Faktencheck

Nein, Schleswig-Holstein hat die Rechtschreibung nicht abgeschafft

Der für Desinformation bekannte Youtuber Alexander Raue verdreht eine Änderung für Schulen in Schleswig-Holstein: Er behauptet, dort sei die Rechtschreibung abgeschafft worden. Das stimmt nicht.

von Gabriele Scherndl

duden
Die deutsche Rechtschreibung wird auch in Schleswig-Holstein weiter gelten. Geändert werden soll lediglich, wie dort in Schulen Rechtschreibfehler gezählt werden. (Quelle: Jens Büttner / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Mit Schleswig-Holstein habe das erste Bundesland Deutschlands die Rechtschreibung abgeschafft. Jedes Kind dürfe so schreiben, wie es will, die Fehler würden nicht mehr gezählt.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. In Schleswig-Holsteins Schulen soll lediglich das Bewertungssystem für Rechtschreibfehler geändert werden; der sogenannte Fehlerquotient soll abgeschafft werden. Rechtschreibung gibt es also weiterhin, sie wird auch weiterhin bewertet. Schleswig-Holstein ist zudem nicht das erste Bundesland, das den Fehlerquotienten abschafft, sondern das vorletzte.

Alexander Raue hat von einer „katastrophalen Meldung“ zu berichten, wie er auf seinem Youtube-Kanal „Vermietertagebuch“ in einem Video sagt: Das erste Bundesland schaffe jetzt offiziell die Rechtschreibung ab, behauptet er. Jedes Kind dürfe nun so schreiben wie es will, Fehler würden nicht mehr gezählt. 

Zehntausende sahen sein Video, es landete, teilweise nur in Auszügen, auch auf Tiktok, Facebook, X und Telegram. Auch andere Nutzerinnen und Nutzer verbreiteten die Behauptung.

Es geht um Schleswig-Holstein. Doch dort wurde nicht die Rechtschreibung abgeschafft. Sondern die Art, wie Rechtschreibfehler in Schulen bewertet werden, soll geändert werden. Es ist damit laut Medienberichten nicht das erste, sondern das vorletzte Bundesland in Deutschland. 

Screenshot aus dem Youtube-Video von Vermietertagebuch.
Alexander Raue verbreitet unter dem Youtube-Account „Vermietertagebuch“ regelmäßig Desinformation. So auch zur Rechtschreibung in Schleswig-Holstein. (Quelle: Youtube; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Rechtschreibung soll in Schleswig-Holstein künftig mit Analysebögen bewertet werden

All das müsste Raue eigentlich wissen. Denn er zeigt selbst die Artikel, in denen das steht. Etwa einen Bild-Bericht, den Raue ab Minute 1:27 im Video auszugsweise einblendet. Er zitiert daraus: „Lehrer sollen keine Fehler mehr zählen. Ist es nicht mehr so wichtig, ob unsere Kinder und Jugendlichen korrekt schreiben können?“ 

Was er nicht dazu sagt oder zeigt: Im nächsten Absatz heißt es, stattdessen solle ein Analysebogen eingesetzt werden, durch den Schülerinnen und Schüler eine „qualitative Rückmeldung erhalten über Fehlerschwerpunkte und über die Systematik ihrer Fehler.“ Im Anschluss wird Schleswig-Holsteins Schulministerin Karin Prien (CDU) mit folgender Aussage zitiert: „Unabhängig davon bleibt die Bewertung der Rechtschreibung und Zeichensetzung weiterhin wichtiger Bestandteil der Note“. 

Es stimmt also nicht, dass in Schleswig-Holstein die Rechtschreibung abgeschafft werden oder Rechtschreibfehler nicht mehr Teil der Benotung sein sollen. 

Fachleute betonen, dass Rechtschreibung weiterhin relevant bleibt

Der bislang geltende Fehlerquotient ist eine Zählweise, bei der das Verhältnis von geschriebenen Wörtern zu Fehlern errechnet wird. Auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck erklärt David Ermes, Sprecher im Bildungsministerium Schleswig-Holstein, Details dazu: Diese Zählweise werde aktuell bei Deutsch-Texten in allen weiterführenden Schulen in den letzten beiden Jahren vor den Abschlussprüfungen bzw. in der Sekundarstufe II angewandt. In der gymnasialen Oberstufe und bei den Abiturprüfungen würden auch Texte in anderen Fächern so bewertet. 

Schleswig-Holsten hat laut Ermes einen besonders strengen Fehlerquotienten: In der Oberstufe würde schon bei drei Fehlern auf 100 Wörter eine „mangelhafte Leistung in der Sprachrichtigkeit“ attestiert. Bei T-Online schreibt Lehrer Bob Blume als Gastautor zudem: „In Wirklichkeit soll der Fehlerquotient Objektivität suggerieren – tut es aber nicht.“ Denn weder müsse ein Text gut sein, wenn er formal richtig ist, noch müsse er schlecht sein, wenn sich dort einige Fehler finden. 

Im NDR warnt Kirsten Schmöckel, Vorsitzende des Philologenverbandes, anlässlich der Abschaffung vor dem Eindruck, „dass Rechtschreibung und Zeichensetzung dann nicht mehr wichtig sind“. 

Auch laut Bildungsministeriumssprecher Emser sei ist die Qualität der Rechtschreibung weiterhin relevant. Ob Rechtschreibfehler mit dem neuen System weniger schwer wiegen, lasse sich nicht pauschal beantworten: Rechtschreibschwache Schülerinnen und Schüler, die viele Fehler machen, die sich auch über alle Bereiche erstrecken und den Lesefluss erschweren, würden davon nicht profitieren. „Aber die guten und sehr guten Schülerinnen und Schüler, die eigentlich grundsätzlich rechtschreibkompetent sind, werden angemessener bewertet werden können“, schreibt Ermes. 

Schleswig-Holstein vorletztes Bundesland, das den Fehlerquotienten abschafft

„Kurz nach dieser katastrophalen Meldung“, sagt Youtuber Alexander Raue zudem ab Minute 2, hätten sogar noch die anderen Bundesländer nachgezogen. Er zeigt dazu einen Welt-Artikel vom 10. April. Darin steht jedoch, dass Schleswig-Holstein neben Hessen aktuell das einzige Bundesland sei, das überhaupt noch einen Fehlerquotienten zur Bewertung der Rechtschreibkompetenz verwende. Diese Passage zeigt Raue jedoch nicht. 

Schleswig-Holstein war also laut Medienberichten nicht das erste Land, das diesen Schritt machte, sondern das vorletzte. In Sachsen etwa gab es diese Änderung laut Bild schon vor Jahren. In Brandenburg wurde der Fehlerquotient laut der Märkischen Allgemeinen schon 2012 abgeschafft.

Der Hintergrund für die Änderung in Schleswig-Holstein ist laut Kieler Nachrichten eine angestrebte Vereinheitlichung der Prüfungsbedingungen. Im Bildungsministerium Schleswig-Holstein verweist man dazu auf einen Beschluss der Kulturministerkonferenz, wonach das Abitur durch sogenannte Pool-Aufgaben vereinheitlicht werden soll. Aktuell sind die Abiturbedingungen in den Bundesländern aber teils noch unterschiedlich.

Raue antwortete nicht auf eine Anfrage danach, warum er eine Falschbehauptung verbreitet, obwohl ihm offensichtlich Quellen vorliegen, die korrekt über die Thematik berichten. Es ist nicht das erste mal, dass er mit verkürzten oder zumindest teilweise falschen Aussagen auffällt. CORRECTIV.Faktencheck hat schon mehrere seiner Aussagen überprüft. Die Frage, ob er gezielt Desinformation verbreitet, um damit Klicks und Geld zu verdienen, beantwortete Raue ebenfalls nicht.

Redigatur: Uschi Jonas, Steffen Kutzner