Faktencheck

Kein Zusammenhang mit Solingen-Anschlag: Was hinter den Ermittlungen zur Schleuseraffäre in NRW steckt

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt gegen organisierte Schleuserkriminalität. Zu den dutzenden Beschuldigten gehört auch der Oberbürgermeister von Solingen, Tim Kurzbach. Auf X deuten einige Nutzer an, er habe den Attentäter von Solingen eingeschleust – doch bei den Ermittlungen geht es um etwas anderes.

von Sarah Thust

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Nach dem Anschlag auf dem Stadtfest in Solingen am 23. August 2024 kursieren in Sozialen Netzwerken mehrere Falschmeldungen (Quelle: Malte Ossowski / Sven Simon / Picture Alliance)
Behauptung
Es gebe einen Zusammenhang zwischen Ermittlungen gegen Solingens Oberbürgermeister Kurzbach im Rahmen der Schleuseraffäre und dem Anschlag auf dem Stadtfest am 23. August 2024, bei dem der Tatverdächtige Syrer ist.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Ein Medienbericht zur Schleuseraffäre wird ohne den Kontext verbreitet, dass laut Ermittlungen vor allem wohlhabende Personen aus China und dem Oman nach Deutschland geschleust worden seien. Laut Staatsanwaltschaft liegen keine Erkenntnisse auf eine Beteiligung von Personen mit syrischer Staatsbürgerschaft vor. Hauptbeschuldigte sind zwei Anwaltskanzleien, es wird auch gegen mehrere Kommunalpolitiker ermittelt, darunter auch Tim Kurzbach. Er selbst bestreitet die Vorwürfe.

Nach dem Anschlag auf dem Stadtfest in Solingen in Nordrhein-Westfalen kursieren in Sozialen Netzwerken etliche Spekulationen über den Täter. Laut Ermittlern soll der Tatverdächtige aus Syrien stammen und im Namen der Terrororganisation IS gehandelt haben.

In diesem Kontext verbreitete sich auf Telegram und X tausendfach ein Teil eines Medienberichts: „Oberbürgermeister Tim Kurzbach soll in die Machenschaften einer Schleuserbande verwickelt sein“, heißt es darin. Ein Nutzer schreibt auf X: „Je mehr man zu Solingen erfährt, desto wahnsinniger wird alles.“ Andere deuten an, Kurzbach habe den Attentäter eingeschleust. 

Der Original-Artikel stammt vom WDR – verlinkt wird er in den Beiträgen nicht, sie zeigen nur einen Teil davon. Ein Detail fehlt darin: In dem WDRArtikel von Juni ist keine Rede von Menschen aus Syrien. Es geht um eine Schleuserbande, gegen die bundesweit ermittelt wird, die vor allem wohlhabende Chinesen nach Deutschland gebracht haben soll. Der Tatverdächtige von Solingen ist dagegen laut Medienberichten als Asylsuchender über Bulgarien nach Deutschland eingereist.

Twitter-Beitrag mit irreführender Behauptung
Ein Medienbericht über laufende Ermittlungen in der Schleuseraffäre wird einen Tag nach dem Anschlag in Solingen auf X ohne Kontext verbreitet. Einige Nutzerinnen und Nutzer ziehen daraus falsche Schlüsse. (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Weiter heißt es, Solingens Oberbürgermeister Kurzbach habe von Ermittlungen gegen ihn im Zuge der Affäre erfahren. Über eine Internetsuche finden sich weitere Medienberichte zum Thema – die Staatsanwaltschaft ermittelt laut eigener Angabe deutschlandweit gegen mehr als 30 mutmaßliche Bandenmitglieder und rund 140 Personen, die die Bande mit illegal erworbenen Aufenthaltstiteln nach Deutschland geschleust haben soll. Die Schleuserbande soll auch Kontakte zu Lokalpolitikern, etwa aus Solingen, sowie zur Landesregierung von Nordrhein-Westfalen unterhalten haben. 

Wie die Deutsche Presse-Agentur (DPA) am 12. Juli berichtete, stammen 16 Beschuldigte aus dem Umfeld kommunaler Ämter – einer der mutmaßlichen Köpfe der Schleuserbande soll auch mehrere Amtsträger persönlich getroffen haben, darunter NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). 

Staatsanwaltschaft sieht keine Hinweise auf Beteiligung von Personen mit syrischer Staatsbürgerschaft 

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf nennt das Ermittlungsverfahren „Investor“ und hat dazu im April 2024 mehrere Pressemitteilungen veröffentlicht. Im April hatte die Polizei demnach bei zwei Razzien mehr als 200 Wohnungen in acht Bundesländern durchsucht, mehrere Personen festgenommen und Bargeld, Mobiltelefone und Dokumente sichergestellt. 

In den Pressemitteilungen wurde Kurzbach noch nicht erwähnt, aber die Stadt Solingen: „Die Ermittlungen richten sich zum jetzigen Zeitpunkt gegen 38 mutmaßliche Bandenmitglieder und 147 weitere Personen, die von der Bande geschleust worden sein sollen. Hauptbeschuldigte sind zwei Rechtsanwälte (42 und 46 Jahre) aus dem Kölner Raum. Diese sollen über ihre Rechtsanwaltskanzleien wohlhabende ausländische Staatsangehörige überwiegend aus China und dem arabischen Raum angeworben haben. […] Erlangt wurden die Aufenthaltserlaubnisse bei den Ausländerämtern der Städte Kerpen und Solingen sowie des Rhein-Erft-Kreises und des Kreises Düren.“ 

In einer Pressekonferenz am 17. April schilderte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, dass die geschleusten Personen, überwiegend aus China und dem Oman, im Internet angeworben worden seien. Ihnen sei eine Aufenthaltserlaubnis und teils sogar die Staatsbürgerschaft in Deutschland in Aussicht gestellt worden. 

Solingen: Oberbürgermeister Kurzbach weist Vorwürfe von sich

Pressesprecher Julius Sterzel bestätigte CORRECTIV.Faktencheck auf Nachfrage, dass „keinerlei Erkenntnisse auf eine Beteiligung von Personen mit syrischer Staatsbürgerschaft“ vorliegen würden.

Die Stadt Solingen verwies auf Nachfrage auf eine Stellungnahme von Kurzbach im Juni. Er schrieb darin: „Die Angelegenheit stellt sich derzeit für mich so dar, dass ein einzelner Beschuldigter mich gemeinsam mit weiteren Personen in eher allgemeiner Form insbesondere als angeblicher Mitwisser beschuldigt hat.“ Dies entspreche nicht den Tatsachen und er werde mit der Staatsanwaltschaft kooperieren. 

Update, 12. September 2024: Wir haben in der Bewertung deutlicher gemacht, dass der Medienbericht in Sozialen Netzwerken ohne den Kontext verbreitet wird, dass es sich bei den Geschleusten vor allem um wohlhabende Personen aus China und Oman handelt.

Redigatur: Paulina Thom, Viktor Marinov

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilungen zum Großeinsatz gegen Organisierte Schleuserkriminalität, Staatsanwaltschaft Düsseldorf, 18. April 2024: Link (archiviert)
  • Pressekonferenz, Staatsanwaltschaft Düsseldorf, 17. April 2024: Link (archiviert
  • Stellungnahme von Oberbürgermeister Tim Kurzbach, Stadt Solingen, Juni 2024: Link (archiviert)
  • Bericht „Schleuserbande: Solingens Oberbürgermeister Kurzbach bestätigt Ermittlungen“, WDR, 6. Juni 2024: Link (archiviert)
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