Faktencheck

Irreführendes Video von „Immo Tommy“: Gesetzesentwurf zu „Vaterschaftsurlaub“ ist bislang nicht beschlossen

Der Influencer „Immo Tommy“ behauptet auf Instagram, ab 1. Dezember 2024 trete ein Gesetz zum „Vaterschaftsurlaub“ in Kraft. Väter könnten nach der Geburt des Kindes dann zusätzlich zwei Wochen bezahlten Urlaub nehmen. Zwar steht das Vorhaben im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, doch eine Einigung gibt es bislang nicht.

von Paulina Thom

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Anders als online behauptet, ist bislang unklar, ob und wann der sogenannte Vaterschaftsurlaub kommen wird (Quelle: Christina Klose / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Ab dem 1. Dezember 2024 trete der „Vaterschaftsurlaub“ in Kraft. Deutschland müsse 2024 reagieren. Väter beziehungsweise eine von der Mutter ausgewählte Person erhielten nach Geburt des Kindes zwei Wochen zusätzlich bezahlten Urlaub. Organisationen, wie zum Beispiel die Caritas, stellten zudem bis zu 2.000 Euro für die Erstausstattung des Kindes zur Verfügung.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Der „Vaterschaftsurlaub“ ist Teil des geplanten sogenannten Familienstartzeitgesetzes. Das Gesetz befindet sich aktuell im Referentenentwurf, vorgelegt durch das Bundesfamilienministerium, und wurde noch nicht verabschiedet. Laut dem ARD-Hauptstadtstudio heißt es in dem Entwurf, der zweite Elternteil oder, im Fall einer Alleinerziehenden, eine von ihr ernannte Person, soll nach Geburt des Kindes zwei Wochen zusätzlich bezahlten Urlaub erhalten. Ob und wann das Gesetz in Kraft tritt, ist unklar. Organisationen, wie die Caritas, geben bis zu 2.000 Euro Unterstützung, aber nicht an alle Eltern, sondern nur an Schwangere mit geringem Einkommen, die ihre wirtschaftliche Situation in einem entsprechenden Antrag nachweisen.

Es klingt nach guten Neuigkeiten für werdende Eltern, was der Immobilien-Influencer „Immo Tommy“ in einem Instagram-Video verspricht: Ab 1. Dezember 2024 trete der „Vaterschaftsurlaub“ in Kraft. Die Regierung müsse noch 2024 „reagieren“, sagt er. Väter könnten dann nach Geburt des Kindes zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub zusätzlich zu ihrem regulären Urlaub bekommen. Und Mütter könnten laut „Immo Tommy“ eine beliebige Person aus ihrem Umfeld auswählen, die zwei Wochen bezahlten Urlaub zusätzlich nehmen darf, um Zeit mit ihr und dem Kind zu verbringen. 

„Immo Tommy“ heißt eigentlich Tomislav Primorac und gibt unter anderem auf Tiktok und Instagram Tipps zu Finanzen und Immobilien. Wie Recherchen des NDR und des Spiegel im August 2024 offenlegten, wurden zahlreiche Käufer von ihm und dem Netzwerk des Influencers unter anderem mit überteuerten Immobilien und versteckten Provisionen getäuscht und betrogen.  

Mehr als 3.000 Likes und über 400.000 Aufrufe hat das Video von „Immo Tommy“ zum „Vaterschaftsurlaub“, doch in den Kommentaren fragen viele nach einer Quelle für seine Behauptung und manche ärgern sich: „Ich glaube, du solltest klarstellen, dass dieses Gesetz noch gar nicht existiert“, schreibt eine Nutzerin – und jemand anderes: „Bitte aufhören, Hoffnung zu schüren, wenn es noch gar nicht soweit ist.“ 

Sie haben Recht, denn anders als der Influencer behauptet, gibt es das Gesetz zum „Vaterschaftsurlaub“ noch nicht – bislang ist es ein Entwurf. Wann und ob der Gesetzesentwurf in Kraft tritt, ist unklar. 

Screenshot des Instagram-Videos von „Immo Tommy“
Mehr als 3.000 Likes hat das Instagram-Video des Influencers „Immo Tommy“. Doch das Gesetz zum Vaterschaftsurlaub, das laut ihm Anfang Dezember in Kraft treten soll, ist bislang nur ein Entwurf. Einige Nutzerinnen und Nutzer fragen ihn in den Kommentaren nach seiner Quelle. (Quelle: Instagram; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Gesetzesentwurf zu „Vaterschaftsurlaub“ wird noch beraten, einen Beschluss gibt es bislang nicht

Die Ampelregierung hatte im Koalitionsvertrag eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes als Vorhaben angekündigt. Dazu legte Familienministerin Lisa Paus (Die Grünen) im Frühjahr 2023 mit dem sogenannten Familienstartzeitgesetz einen Entwurf vor. Doch bislang gibt es zu dem Entwurf noch keine Einigung oder einen Beschluss. 

„Die Regelungen zur Einführung dieser sogenannten Familienstartzeit werden derzeit innerhalb der Bundesregierung ressortübergreifend beraten“, schreibt uns ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums auf Anfrage. Laut aktuellen Medienberichten herrscht innerhalb der Koalition Uneinigkeit bezüglich der Finanzierung: Der Entwurf verpflichte Arbeitgeber per Umlageverfahren zur Finanzierung des Vorhabens. Die FDP lehne diesen Vorschlag ab.

Der Sprecher des Familienministeriums schreibt uns weiter, dass der Referentenentwurf in diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens nicht eingesehen werden könne. Dem ARD-Hauptstadtstudio lag der Entwurf im März 2023 exklusiv vor. Wie die Tagesschau berichtete, sollen laut dem Gesetzesentwurf der angestellte Partner beziehungsweise die Partnerin der Mutter künftig zehn Arbeitstage nach der Geburt freigestellt werden. Die Partnerfreistellung gelte auch für Alleinerziehende. Wer sein Kind allein großzieht, erhalte die Möglichkeit, statt des zweiten Elternteils eine andere Person aus ihrem Umfeld für die bezahlte Freistellung zu benennen. 

Bislang ist im Mutterschutzgesetz geregelt, dass Mütter sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt von ihrer Arbeit freigestellt werden können oder müssen. 

EU-Richtlinie von 2019: Deutschland ist nicht dazu verpflichtet, den „Vaterschaftsurlaub“ umzusetzen

„Immo Tommy“ sagt in seinem Instagram-Video weiter, die Regierung „müsse“ den „Vaterschaftsurlaub“ umsetzen. Tatsächlich steht das auch in einigen Medienberichten

Hintergrund ist eine Richtlinie der EU von Juni 2019. Darin heißt es auf Seite 8: „Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile, Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss.“ Umgesetzt werden sollten diese und weitere Forderungen der Richtlinie bis August 2022. 

Weder die damals regierende Große Koalition noch die seit Dezember 2021 amtierende Ampelkoalition setzten die EU-Richtlinie bis zu diesem Zeitpunkt vollständig um. Die EU-Kommission leitete im September 2022 daher ein ​​Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Wenige Monate später, im Dezember 2022, billigte der Bundestag einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Richtlinie. Was darin fehlt: der „Vaterschaftsurlaub“.

Doch die EU-Richtlinie enthält Ausnahmeklauseln (Artikel 20, Absatz 7 und 8), wonach Deutschland nicht dazu verpflichtet ist, einen „Vaterschaftsurlaub“ einzuführen. Grund dafür ist, wie das Familienministerium auf seiner Webseite schreibt, dass bereits „umfassende Regelungen zur Elternzeit (hinsichtlich der Freistellung) und Elterngeld (hinsichtlich der Vergütung)“ bestünden. Das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland wurde im Juni 2023 laut der EU-Kommission nach einer Prüfung beendet. 

2.000 Euro Unterstützung der Caritas gilt nur für Schwangere mit einem geringen Einkommen

Es stimmt – wie „Immo Tommy“ sagt – dass die Caritas bis zu 2.000 Euro Unterstützung für die Erstausstattung des Babys zahlt. Allerdings nur an Schwangere mit geringem Einkommen. Sie müssen hierfür einen Antrag beim Jobcenter stellen. Alternativ können sich Schwangere mit geringem Einkommen, die keinen Anspruch auf Leistungen des Jobcenters haben, wie zum Beispiel Studierende, an den bischöflichen Hilfsfonds wenden. Über die Bundesstiftung „Mutter und Kind“ des Bundesfamilienministeriums kann zudem ein Antrag für ergänzende Hilfen gestellt werden.

„In jedem Fall der Unterstützung“, schreibt uns Mechthild Greten aus der Pressestelle der Caritas, „wird die Bedürftigkeit geprüft. Es muss die wirtschaftliche Situation nachgewiesen werden.“ 

Auf eine Anfrage von uns nach einer Quelle für seine Behauptung zum „Vaterschaftsurlaub“ reagierte „Immo Tommy“ bis zur Veröffentlichung nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass der Influencer falsche Angaben zu dem Thema macht. Im November 2023 behauptete er auf Tiktok, das Gesetz trete am 1. Januar 2024 in Kraft – eine Falschmeldung mit mehr als 30.000 Likes. 

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Mutterschutzgesetz: Link 
  • EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige, 20. Juni 2019: Link (archiviert)
  • Gesetzentwurf zur weiteren Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158, 19. September 2022: Link (archiviert)
  • Vertragsverletzungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarkeitsrichtlinie, Familienministerium, 19. September 2024: Link (archiviert)