Bundestagswahl 2025

TV-Quadrell zur Bundestagswahl: Aussagen von Merz, Scholz, Weidel und Habeck im Faktencheck

Beim sogenannten Quadrell am 16. Februar ging es um Migration, den Ukraine-Krieg und Fragen rund um Energie. Wir ordnen einige Aussagen von Olaf Scholz, Robert Habeck, Friedrich Merz und Alice Weidel ein, die so nicht stimmen – und die sie teils zum wiederholten Mal äußerten.

von Sarah Thust , Max Bernhard , Sophie Timmermann , Uschi Jonas

Am 16. Februar nahmen Olaf Scholz, Robert Habeck, Friedrich Merz und Alice Weidel am Live-Quadrell von RTL teil (Foto: Kay Nietfeld, DPA-Pool / Picture Alliance)
Am 16. Februar nahmen Olaf Scholz, Robert Habeck, Friedrich Merz und Alice Weidel am Live-Quadrell von RTL teil (Foto: Kay Nietfeld, DPA-Pool / Picture Alliance)

Wenige Tage sind es bis zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Der Wahlkampf ist in der Hochphase. Am 16. Februar stellten sich die Spitzenkandidaten von SPD, CDU/CSU, Grünen und AfD im TV-Duell bei RTL Fragen rund um ihr Wahlprogramm. Wir haben ausgewählte Aussagen der Politikerinnen und Politiker zu Migration, Energiewende und dem Ukraine-Krieg überprüft. Ihnen fehlte Kontext oder sie waren gänzlich falsch. Auffällig: Einige ihrer Falschaussagen wiederholen die Politiker wiederholen beharrlich.

Olaf Scholz nennt falsche Zahlen zu Migration und Flucht

Scholz: „Es geht darum, dass wir alles dafür tun, die irreguläre Migration zu begrenzen. Deshalb haben wir sie um 100.000 im letzten Jahr reduziert. […] Was die Abschiebungen betrifft, haben wir eine Steigerung von 70 Prozent seit Beginn meiner Amtszeit.“

Bewertung: Falsch

Schon im TV-Duell mit Merz am 9. Februar 2025 hatte Scholz behauptet, die irreguläre Migration nach Deutschland sei 2024 um 100.000 reduziert worden. Hier ist es wichtig, auf die Begrifflichkeiten zu achten. 

Was ist irreguläre Migration? Laut dem Mediendienst Integration reisen die meisten Geflüchteten aus Nicht-EU-Ländern zunächst irregulär ein. Das bedeutet, sie nutzen keine legale Einreisemöglichkeit wie einen Reisepass von einem Land, der eine visafreie Einreise erlaubt, oder ein gültiges Visum. Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention verbietet, Geflüchtete für die irreguläre Einreise strafrechtlich zu verfolgen. 

Wer dagegen in Deutschland angekommen einen Asylantrag stellt, gilt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als „irregulär“ – ab dann ist der Aufenthalt vorerst legal.

Laut der Bundespolizei gab es im Jahr 2023 127.549 unerlaubte Einreisen – das ist, was laut Mediendienst Integration unter „irreguläre Einreisen“ fällt – im Jahr 2024 waren es 83.572 – das ergibt eine Differenz von rund 44.000, nicht 100.000 wie vom Bundeskanzler behauptet. Um 100.000 geringer ist hingegen die Zahl der Asylanträge, wenn man die Jahre 2023 und 2024 vergleicht.

Weiter sagt Scholz, seit Beginn seiner Amtszeit sei die Zahl der Abschiebungen um 70 Prozent gestiegen. Olaf Scholz wurde im Dezember 2021 Kanzler. Wir verglichen daher die Zahl der Abschiebungen im Jahr 2022 mit denen im Jahr 2024. So ergibt sich ein Anstieg von rund 42 Prozent. Verglichen mit dem Jahr 2021, also dem Jahr vor Scholz’ Kanzlerschaft, beträgt der Anstieg 53 Prozent.

Friedrich Merz verzerrt Angaben zur Abschaltung von Atomkraftwerken 

Merz: „Mitten in der größten Energiekrise unseres Landes schaltet diese Koalition drei gut funktionierende Kernkraftwerke ab.“

Bewertung: Fehlender Kontext

Merz wiederholt damit eine Behauptung, die er bereits im TV-Duell mit SPD-Kandidat Olaf Scholz vom 9. Februar 2025 aufgestellt hatte. Es fehlt Kontext. 

Die Entscheidung, dass die Kernkraftwerke zeitlich gestaffelt „bis Ende 2022“ stillgelegt werden sollten, fiel bereits im Sommer 2011, wie die Frankfurter Rundschau bereits nach dem Duell von Merz und Scholz einordnete. Sie war eine Reaktion auf die Nuklear-Katastrophe in Fukushima und wurde von der damals regierenden CDU unterstützt. Angesichts der Energiekrise infolge des Krieges in der Ukraine beschloss der Bundestag unter SPD-Bundeskanzler Scholz im November 2022 eine Verlängerung der geplanten Laufzeit der Kraftwerke bis zum 15. April 2023, danach wurden sie abgeschaltet.

Doch welche Auswirkungen hätte eine weitere Verlängerung auf die Energieversorgung in Deutschland gehabt? Betrachten wir zunächst den Anteil von Kernkraftwerken an der gesamten Stromproduktion: Die letzten drei Kernkraftwerke Emsland A, Isar 2, Neckarwestheim 2 deckten Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE zufolge in ihrem letzten Betriebsjahr bis April 2023 6,3 Prozent der gesamten deutschen Last (Stromverbrauch plus Netzverluste).

Und bezüglich des Strompreises? „Die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke hatte insgesamt nur geringe Auswirkungen auf den Strompreis, was auf den geringen Anteil der installierten Leistung an der Gesamtleistung zurückzuführen ist“, heißt es in einer Analyse des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Dennoch: Laut der Analyse hätte ein Weiterlaufen von 16. April 2023 bis 31. Dezember 2023 die Großhandels-Strompreise um 1,0 Prozent bis 8,0 Prozent senken können. 

Weidels Aussage über Staatsbürgerschaft von Menschen, die Bürgergeld beziehen, trifft so nicht zu

Weidel: Das Bürgergeld würde „an jeden […] und vor allen Dingen an ausländische Staatsbürger […]“ ausgezahlt.

Bewertung: Größtenteils falsch

Weidel machte in der TV-Debatte pauschale Angaben zum Bürgergeld und der Staatsbürgerschaft von Empfängerinnen und -Empfängern. Die halten einer genauen Betrachtung nicht stand. 

Das Bürgergeld ist seit Januar 2023 in Kraft und soll laut Bundesregierung ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ sichern und steht Menschen zu, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt mit dem eigenen Einkommen zu decken. Wer kann Bürgergeld beziehen? Laut der Bundesagentur für Arbeit kann jede Person das Bürgergeld beantragen, die mindestens 15 Jahre alt und noch nicht im Rentenalter ist, in Deutschland wohnt, mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten kann oder hilfsbedürftig ist, weil sie zu wenig verdient. Auch wer in einer Bedarfsgemeinschaft mit einer hilfsbedürftigen Person lebt, kann Bürgergeld beantragen. 

Immer wieder werden Sozialleistungen durch Rechte instrumentalisiert, um Stimmung gegen ausländische Staatsbürger und Geflüchtete zu machen. So bewerteten wir bereits im August 2023 eine Grafik zu Bezügen von Bürgergeld durch Geflüchtete als irreführend.

Auch Weidels Behauptung im Quadrell stimmt nicht. Aus einer Antwort der Bundesregierung von Dezember 2024 auf eine kleine Anfrage der AfD geht hervor, dass Stand Juli 2024 von knapp 5,5 Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen, rund 52,1 Prozent die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und 47,9 Prozent eine nicht-deutsche Staatsbürgerschaft. Rund 715.000 Bürgergeld-Beziehende kommen aus der Ukraine, rund 518.000 aus Syrien und rund 401.000 aus dem EU-Ausland.

Behauptung von Habeck zu Arbeitsmöglichkeiten für Geflüchtete fehlt Kontext

Habeck: „Bis die Ampel es geändert hat, war es den Geflüchteten verboten […] oder so schwer wie möglich gemacht, rauszugehen aus dem Sozialleistungsbezug, hin zur Arbeit.“

Bewertung: Fehlender Kontext 

Habeck relativiert seine Aussage im Satz selbst. Richtig ist, die Ampel-Koalition hat die geltenden Regelungen zum Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete im November 2023 teilweise verändert, um den Prozess zu beschleunigen. Generell verboten zu arbeiten war es ihnen vorher aber nicht:  

  • So dürfen Menschen, die sich auf Asyl bewerben, kinderlos sind und in einer Erstaufnahmeeinrichtung bleiben müssen, nicht wie zuvor erst ab neun, sondern bereits nach sechs Monaten arbeiten. 
  • Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, aber die zum Beispiel aufgrund humanitärer Umstände oder der Sicherheitslage in ihrer Heimat nicht abgeschoben werden können, kann eine längerfristige Duldung für Beschäftigung gewährt werden. Für sie gilt neu:
    • Verkürzte Vorbeschäftigungszeit (12 statt 18 Monate)
    • Kürzere Mindestbeschäftigungszeit (20 statt 35 Stunden pro Woche)
    • Der Stichtag, für wen die Regelungen greift, wurde auf 31. Dezember 2022 verlängert.
    • Die Ausländerbehörde soll der Beschäftigung Geduldeter jetzt „im Regelfall“ zustimmen – zuvor war es eine Ermessensentscheidung.

Verboten zu arbeiten, war es Geflüchteten aber, anders als von Habeck suggeriert, auch zuvor nicht. Nach drei Monaten durften und dürfen Asylsuchende und Geduldete arbeiten – sofern sie nicht verpflichtet sind, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen. Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland stammt, darf außerdem weiterhin nicht arbeiten.

Im Oktober 2023 wurde zudem der sogenannte Jobturbo gestartet. Das Ziel: Geflüchtete, die Bürgergeld beziehen und einen Integrationssprachkurs abgeschlossen haben, sollen schneller einer Arbeit nachgehen. Wie die Bundesregierung berichtet, erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten aus der Ukraine seit dieser Einführung im Herbst 2023 bis Juli 2024 um 71.000 auf 266.000; bei Geflüchteten aus den acht Herkunftsländern mit den meisten Geflüchteten wie Syrien oder Afghanistan stieg die Zahl auch um 71.000 auf 704.000. 

Die Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt bleibt aber weiterhin mit zahlreichen Hindernissen verknüpft. So gibt die Bundesregierung selbst zu bedenken, dass das Anerkennungsverfahren ausländischer Ausbildungs- und Berufsabschlüsse zu langwierig bleibt. Oder die Anerkennung wird ganz abgelehnt. Auch fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder sind laut Bundesregierung ein Problem.

Taurus-Lieferungen würden Deutschland nicht – wie von Weidel behauptet – zur Kriegspartei machen 

Weidel: „Die Taurus-Raketensysteme – ein deutsches Waffensystem – würden mit deutschen Soldaten geliefert und würde [sic] Deutschland zur direkten Kriegspartei machen.“ 

Bewertung: Falsch

Weidel behauptet, eine Taurus-Lieferung würde Deutschland zur Kriegspartei machen, weil deutsche Soldaten „mitgeliefert“ würden. Auch Olaf Scholz schloss eine Lieferung von Taurus bisher aus und begründete diese Entscheidung damit, dass deutsche Soldaten für die Bedienung der Raketen notwendig wären und Deutschland somit Gefahr laufe, in den Krieg verwickelt zu werden. 

Dieser Darstellung widersprachen aber sowohl Politikerinnen und Politiker der Union, der Grünen und der FDP, als auch verschiedene Experten, wie zum Beispiel der Chef des Rüstungsunternehmens Airbus Defence and Space, Michael Schöllhorn, oder Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München. Auch der Deutschland-Chef des Taurus-Herstellers MBDA, Thomas Gottschild, hat erklärt, dass es technisch möglich sei, dass die Ukraine das Waffensystem ohne deutsche Hilfe betreibt und bedient. 

Waffenlieferungen und die Ausbildung ukrainischer Soldaten machen Deutschland auch nicht zur „Kriegspartei“. Da Russland der Aggressor ist, der die Ukraine angegriffen hat, wäre eine Waffenlieferung nach dem Völkerrecht vielmehr eine Beihilfe zu Ukraines Recht der Selbstverteidigung, wie der Professor für Internationales Recht an der Uni Bonn, Stefan Talmon, in einem Beitrag für den Verfassungsblog erklärt.  

Energiepreise in Deutschland sind hoch, aber nicht die höchsten weltweit

Weidel: „Wir haben die höchsten Energiepreise weltweit.“

Bewertung: Größtenteils falsch

Weidel wiederholte eine Aussage, die sie kürzlich schon im ZDF tätigte: Deutschland habe die höchsten Energiepreise weltweit. Richtig ist, dass Deutschlands Energiepreise im internationalen Vergleich sehr hoch sind – am weltweit höchsten waren sie laut Daten bis zur Jahresmitte 2024 aber nicht. Und es gibt Unterschiede, wenn man sich den Preis für private Haushalte und Unternehmen anschaut. 

Im ersten Quartal 2024 lag Deutschland beim Preis von Haushaltsstrom weltweit auf Platz 9, hinter Ländern wie Italien und Irland. Das zeigen Daten von Global Petrol Prices, einem globalen Analyse-Team. Bis Juni 2024, das sind die bislang aktuellsten öffentlich verfügbaren Vergleichsdaten von Global Petrol Prices, lag Deutschland mit 38 Cent pro Kilowattstunde dann vor Italien und Irland auf Platz 3: aber immer noch hinter den Überseegebieten Bermuda und den Kaimaninseln. Beim Strompreis für Unternehmen landet Deutschland mit 24 Cent pro Kilowattstunde dagegen auf Platz 15, zum Beispiel hinter Großbritannien, Polen und Italien.

Im Europavergleich ist Deutschland weit vorne. Daten des europäischen Statistikamts für das erste Halbjahr 2024 zeigen, dass Deutschland beim Preis für Haushaltskunden auf Platz eins, beim Preis für Unternehmen auf Platz drei lag. Insgesamt sank der Strompreis 2024 im Vergleich zu 2023.

Redigatur: Gabriele Scherndl

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