Bundestagswahl 2025

Merz und Schuldenbremse: Falsche Wahlversprechen sind keine Wählertäuschung nach Strafgesetz

Weil die CDU an der Schuldenbremse festhalten wollte und Merz nun ein Sondervermögen durchsetzt, bringen manche das Strafgesetz ins Spiel. Doch bei Paragraf 108a geht es nicht um falsche Wahlversprechen.

von Gabriele Scherndl

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Friedrich Merz im Bundestag – der CDU-Politiker setzt eine Verfassungsänderung durch, die eine Reform der Schuldenbremse möglich macht. (Quelle: Ebrahim Noroozi / Associated Press / Picture Alliance )
Behauptung
Friedrich Merz habe sich mit seinen Entscheidungen zur Schuldenbremse des Paragrafen 108a im Strafgesetzbuch – der Wählertäuschung – strafbar gemacht.
Bewertung
Falsch. Laut Fachleuten geht es beim Straftatbestand der Wählertäuschung (Paragraf 108a StGB) nicht um Wahlversprechen, sondern um eine Beeinflussung bei der konkreten Abstimmung – etwa, wenn jemand dazu gebracht wird, den Stimmzettel durch Unterschrift ungültig zu machen.

Am 18. März 2025 beschloss der Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes und damit eine Reform der Schuldenbremse. Diese Entscheidung scheint jedoch nicht zu den Aussagen der CDU/CSU und ihrem Bundesvorsitzenden Friedrich Merz zu passen, die noch im Bundestagswahlkampf fielen. Grund für einige, einen Verstoß gegen das Strafrecht zu wittern.

Auf Tiktok, Instagram und X wird vielfach Paragraf 108a des Strafgesetzbuches – Wählertäuschung – zitiert: „Wer durch Täuschung bewirkt, daß [sic] jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt“, erhält demnach eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Haft. 

Doch laut Einschätzung von Fachleuten greift der Paragraf nicht, wenn es um Wahlversprechen geht. 

Screenshot eines Tiktok-Beitrags, in dem der Paragraf 108a StGB zitiert wird.
Auf Tiktok und anderen Plattformen wird dem Unionsvorsitzenden Friedrich Merz die Straftat der Wählertäuschung unterstellt – doch der Paragraf greift laut Fachleuten bei Wahlversprechen nicht (Quelle: Tiktok; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Strafanzeige alleine ist kein Beleg für eine Straftat

Unter den Verbreitern der Behauptung fallen gleich zwei Anwälte mit ihren Beiträgen auf X auf. Tobias Ulbrich ist eigenen Angaben nach Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht in Düsseldorf. Er kandidierte zur Bundestagswahl für die rechtskonservative Partei Bündnis Deutschland und schreibt Anfang März auf X, es sei Rechtsmissbrauch passiert. Er argumentiert, dass die CDU in ihrem Wahlprogramm vor der Bundestagswahl an der Schuldenbremse festgehalten hatte, ab dem ersten Tag nach der Wahl aber exakt das Gegenteil tat. 

Mathias Markert, Anwalt in München, gibt an, wegen Verdachts auf Wählertäuschung gemäß Paragraf 108a Strafgesetzbuch eine Anzeige gegen Merz gestellt zu haben. Das wiederum griff etwa der AfD-nahe Deutschland Kurier auf. Eine Anzeige sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob eine Straftat begangen wurde – die Polizei leitet erst dann ein Ermittlungsverfahren ein, wenn sie einen Anfangsverdacht sieht. Die Staatsanwaltschaft Berlin antwortete bis zur Veröffentlichung nicht auf eine Anfrage dazu.

Markert bleibt nach Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck bei der Rechtsauffassung, dass der Schutzzweck des Paragrafen die Wählertäuschung, die Merz seiner Ansicht nach begangen habe, umfasse. Ulbrich antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage.

CDU war lange gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse

Jahrelang betonten Merz und die Union, die Schuldenbremse nicht lockern zu wollen. Im November 2024 sagte Merz jedoch, unter bestimmten Bedingungen könne man über eine Reform „selbstverständlich reden“. Im Wahlprogramm der Union zur Bundestagswahl 2025 hieß es dann allerdings: „Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest“. Demnach gilt, Deutschland darf jährlich neue Schulden in Höhe von maximal bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts machen. 

Nach der Wahl brachten CDU und SPD eine Änderung des Grundgesetzes auf den Weg, die die Schuldenbremse reformieren soll. Nach Zustimmung des Bundestags muss nun noch der Bundesrat zustimmen. Sollte die Änderung durchgehen, könnten künftig die Kosten für Verteidigung und Sicherheit ab einer bestimmten Höhe von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Außerdem soll ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz bereitgestellt werden und die Bundesländer sollen künftig zusammen Kredite bis zu einer bestimmten Höhe aufnehmen dürfen.

Paragraf 108a Strafgesetzbuch greift laut Fachleuten nicht bei falschen Wahlversprechen

Dass Merz nun eine Reform der Schuldenbremse durchsetzen will, ist aber laut Fachleuten keine Wählertäuschung nach dem Strafgesetzbuch. In einem Beitrag aus 2013 in der Zeitschrift für Wahlorganisation und Wahlrecht schreibt Karoline Starkgraff, die Strafrecht an der Polizeiakademie Hamburg lehrt: „Umgangssprachlich mag der Laie unter ‚Wählertäuschung‘ nicht eingehaltene Wahlversprechen vermuten. Diese zum Teil subjektiv empfundenen, zum Teil offensichtlichen Abweichungen von Wahlwerbeaussagen sind allenfalls politisch, nicht strafrechtlich erfassbar.“

Das hat sich seither auch nicht geändert, wie eine Experten-Einschätzung auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck zeigt. Dominik Lück ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und publizierte auch zu Wahlrechtsthemen, er schreibt: Der Paragraf habe nicht das Ziel „den Wähler in seiner Willensbildungsfreiheit zu schützen“, sondern stelle ein Verhalten unter Strafe, bei dem ein Wähler dazu gebracht wird ein seinem Willen nicht entsprechendes Feld im Wahlzettel anzukreuzen, durch Anbringen mehrerer Kreuze ungültig zu wählen oder eine Handlung vorzunehmen, von der er nicht erkennt, dass sie eine Wahl bedeutet. Als Beispiel nennt Lück eine Situation, in der etwa die Betreuungsperson einer sehbehinderten Person deren Stift beim Wählen in ein anderes Feld führt, als diese es beabsichtigt. 

So heißt es auch im Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch 2021, die praktische Bedeutung des Paragrafen liege im Schutz von „auf Rat oder Hilfe bei der Abstimmung angewiesener Personen vor Irreführungen hinsichtlich ihrer Willensbildung oder Willensbetätigung“. In dem Kommentar wird ausgeführt: Bei 108a StGB geht es um die „konkrete Abstimmung“, also wenn jemand so getäuscht wird, dass er oder sie zum Beispiel gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt. Wie wir berichteten, macht zum Beispiel eine Unterschrift den eigenen Stimmzettel ungültig. Um Wahlversprechen geht es in den aufgeführten Tathandlungen nicht.

Im Interview mit dem MDR warnt Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke davor, Begriffe wie Wahlbetrug oder Wählertäuschung in Zusammenhang mit nicht eingehaltenen Wahlversprechen zu verwenden: „Wenn man den Eindruck erweckt, das wäre irgendwie rechtlich ahnbar, geht man an der Sache vorbei.“

Alle Faktenchecks rund um die Bundestagswahl 2025 lesen Sie hier.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Max Bernhard

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Wahlprogramm der Union zur Bundestagswahl 2025: Link (archiviert)
  • „Straftaten bei Wahlen: Ein Überblick über die §§ 107 bis 108d StGB“, Zeitschrift für Wahlorganisation und Wahlrecht, 1/2013: Link (archiviert)
  • Paragraf 108a, Strafgesetzbuch, Fassung vom 19. März 2025: Link (archiviert)
  • Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2021: Link (archiviert)
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