Chemnitz: Müll-Video hetzt mit falschen Angaben gegen Migranten
Ein Video aus Chemnitz soll angeblich die Vermüllung eines Hinterhofs durch Migranten zeigen. Doch das stimmt nicht. Der Müll entstand bei Wohnungs-Räumungen.

Ein „überwältigender Kulturbeitrag“ sei das, sagt eine Frauenstimme zu Beginn eines Videos. Zu sehen sind darin Sofas, die sich übereinander türmen und weiterer Sperrmüll im Hinterhof eines Gebäudes. Sie wolle sich für diesen Beitrag zur Kulturstadt Chemnitz „ganz herzlich“ bei den „Kulturschaffenden Ali, Mohammed und Mustafa“ bedanken.
In den Videobeschreibungen stehen Hashtags wie Asylbewerber, Migration, Kriminelle und Rückführung. Auch Kommentare zu dem Video zeigen, wie gegen Migrantinnen und Migranten gehetzt wird.
Das Video verbreitet sich seit Ende Februar 2025 bei Tiktok, Youtube und X. Allein auf Instagram erreichte es fast 800.000 Aufrufe und rund 23.000 „Gefällt mir“-Angaben. Personen baten uns mehrfach über den Whatsapp-Chatbot um eine Aufklärung.
Wir konnten den Ort der Aufnahme verifizieren und schickten Anfragen an die Stadt Chemnitz sowie an Vereine, die in der Nähe aktiv sind. Daraus zeichnet sich ein anderes Bild als im Video dargestellt. Zuvor berichtete die Freie Presse, die Regionalzeitung in Chemnitz.

Chemnitzer AfD-Politiker Köhler suggeriert fälschlich, Geflüchtete hätten Müll hinterlassen
Der Ursprung des Videos lässt sich nicht eindeutig feststellen. Doch auf der Suche danach begegnet man auch Beiträgen von Nico Köhler auf Tiktok. Er ist AfD-Politiker und sitzt im Stadtrat von Chemnitz. In seinem Video, veröffentlicht am 28. Februar 2025, sind die gleichen Szenen sichtbar, sowie ein Schild mit der Aufschrift der genauen Adresse. Ein Abgleich mit Aufnahmen von Google Maps bestätigt, dass die Videos dort aufgenommen wurden.
Köhler sagt in seinem Video, er werde der Sache nachgehen und sich beim Ordnungsamt erkundigen. Er sagt, der Verein Domizil e.V. und die Bürgerplattform seien für dieses Stadtgebiet zuständig „und irgendwie passiert hier nichts“. Er fügt hinzu, „das haben wir vor 2015 hier in unserem Land nicht erlebt“ – offenbar eine Anspielung auf Geflüchtete, deren Zahl in diesem Jahr besonders hoch lag.
Doch wer hat überhaupt den Müll im Hinterhof abgeladen?
Stadt Chemnitz und Mitarbeiter der Hausverwaltung Atlas sprechen von Räumungsarbeiten
Aufschluss darüber gibt das öffentlich einsehbare Antwortschreiben des Bürgermeisters Knut Kunze (PDF, Download) zu einer Anfrage von Köhler (PDF, Download). Demnach gab es bereits am 25. Februar eine Kontrolle in der Straße. Dabei wurden Mitarbeiter der zuständigen Hausverwaltung Atlas angetroffen, die Container mit Möbel- und Sperrholz beluden. Einer von ihnen erklärte, dass etwa hundert Wohnungen geräumt und vorhandene Sperrmüllanteile im Hofbereich abgelagert würden.
Die Pressestelle der Stadt Chemnitz schreibt auf Anfrage: „Es handelt sich dementsprechend nicht wie in verschiedenen sozialen Medien dargestellt um eine wilde Ablagerung von unterschiedlichen Verursachern, sondern um eine Aktion der vom Eigentümer beauftragten Hausverwaltung.“
Gegenüber der Freien Presse bestätigte ein Atlas-Mitarbeiter Anfang März: „Das wird auf irgendwelche bösen Ausländer geschoben, aber das stimmt so nicht.“ Auch ein anderer Mitarbeiter sagte: „Das waren wir.“ Die Zustände im Hinterhof seien wegen der Vorbereitungen für anstehende Modernisierungsarbeiten.
Mitarbeitende ortsansässiger Vereine bestätigen Räumungsarbeiten durch Hausverwaltung
Gleiches berichten Annett Illert und Antje Richter aus dem Bürgerzentrum und der Bürgerplattform Chemnitz Mitte-West sowie Stephan Kämpf, Mitarbeiter des Projekts Mobile Jugendarbeit im Verein Domizil e.V. Ihre Büroräume liegen auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Hinterhofs.
Illert und Richter schildern: Zum Zeitpunkt, als die Videos in Sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden, hätten sie den Sperrmüll auch gesehen, der sei aber nach und nach abtransportiert worden. Sie hätten vor Ort mit dem Hausmeister gesprochen. Laut ihm soll das Gebäude saniert und die freistehenden Wohnungen ausgeräumt werden. Es sei ersichtlich gewesen, dass nicht Mieter, sondern Mitarbeitende der Hausverwaltung in entsprechender Arbeitskleidung die Altmöbel rausstellten. So erinnert sich auch Kämpf: „Für mich war das zu erkennen, dass da nicht einfach Bewohner ihren Müll rausstellen, sondern dass dort großflächig gearbeitet wird.“ Auch Mitarbeitende des Ordnungsamts seien vor Ort gewesen.
Die Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten, die durch das Video in Sozialen Netzwerken geschaffen wird, beruht also auf falschen Angaben. Auch die Schilderungen des AfD-Politikers Nico Köhler hinterlassen einen falschen Eindruck. In keinem seiner Tiktok-Videos hat er bislang darüber aufgeklärt, dass die Hausverwaltung den Müll verursacht hat. Lediglich in einem Beitrag teilte er in der Videobeschreibung kommentarlos die Antwort des Bürgermeisters. Auf unsere Fragen dazu reagierte Köhler ausweichend, indem er andere Aspekte anführt. Er schreibt: Die Hausverwaltung hätte den Müll auch sofort in Containern entsorgen können. Seiner Ansicht nach seien darunter Elektrogeräte gewesen – eine potenzielle Gefahr für die Umwelt. Dass die ortsansässigen Vereine nichts weiter unternommen haben, könne er weiterhin nicht nachvollziehen.
Redigatur: Max Bernhard, Gabriele Scherndl