Keine Belege für geplante Kindergeld-Abschaffung durch CDU-Chef Friedrich Merz
Tiktok-Videos mit dramatischer Musik berichten davon, dass CDU-Chef Friedrich Merz plane, das Kindergeld abzuschaffen. Doch dafür gibt es keine Belege. Die Union hat laut Wahlprogramm andere Pläne.

Angeblich plant CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz, das Kindergeld abzuschaffen. Das zumindest behaupten mehrere Nutzer im März 2025 auf Tiktok. Ihre Videos zu dramatischer Musik erreichten etwa drei Millionen Aufrufe.
Darin heißt es: „Radikale Reformvorschläge aus der CDU: Friedrich Merz will das Kindergeld abschaffen. Seine Begründung: Kinder sind eine Investition und Investitionen sollten sich selbst tragen. In einer aktuellen Rede erklärte Merz: Wir können nicht länger Geld für Menschen ausgeben, die nichts zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Wer Kinder in die Welt setzt, sollte sich vorher überlegen, ob sich das finanziell lohnt.“ Merz’ Lösungsvorschlag sei, Kinder könnten frühzeitig anfangen zu arbeiten, zum Beispiel als Amazon-Paketboten.
Diese und andere Formulierungen in den Videos wie „Bildung durch Selbststudium – wer wirklich etwas lernen will, kann sich Youtube-Videos anschauen“ sind Hinweise darauf, dass es sich um Satire handelt. Der Ursprung ist mutmaßlich ein Satire-Profil auf Tiktok, dort trägt das Video den Hashtag #satire.

Satire-Hinweis ging verloren
Doch mehrere Beiträge mit derselben Tonspur belegen, dass dieser Satire-Hinweis bei der weiteren Verbreitung der Behauptung verloren gegangen ist. Viele Nutzer nehmen die Aussagen offenbar ernst. In den Kommentaren fragen manche nach der Quelle der Behauptung, andere regen sich sichtlich auf oder fordern eine Neuwahl.
Die Behauptung über die Abschaffung des Kindergelds wird zudem, zum Beispiel auf Facebook, auch ohne das satirische Video verbreitet. Auf X beruft sich jemand als Quelle dafür auf einen Artikel des Nachrichtenportals Ruhr24 mit dem Titel „Merz will ans Kindergeld“. Doch dieser ist kein Beleg für die Behauptung, es geht darin nicht um eine generelle Abschaffung des Kindergelds.

Tiktok-Videos schieben Friedrich Merz Fake-Zitate unter
Mehrere Stichwortsuchen über Google und auf Merz’ Social-Media-Profilen (X, Instagram, Facebook, Tiktok und Threads) belegen: Es gibt keinerlei Quellen dafür, dass CDU-Chef Friedrich Merz das Kindergeld abschaffen wolle und eine solche angebliche Begründung dazu geäußert hätte. Die angeblichen Zitate sind auch nicht in der Pressedatenbank Genios auffindbar.
Hier haben wir Tipps für die Stichwort-Suche bei Google und Co. zusammengestellt:
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Auf Anfrage schreibt uns die CDU-Pressestelle: „Wir bestätigen, dass die auf Tiktok verbreiteten Aussagen vollständig gefälscht sind. Der Parteivorsitzende hat derartige Äußerungen zu keinem Zeitpunkt getätigt. Hinsichtlich des Kindergelds bitten wir um Ihr Verständnis, dass wir uns aufgrund der laufenden Koalitionsverhandlungen derzeit nicht äußern können.“ Merz hatte geplant, bis Ostern eine neue Regierung zu bilden, ob dieser Zeitplan hält, ist offen.
Was plant die Union zum Kindergeld?
Im Wahlprogramm der Union zur Bundestagswahl 2025 steht nichts von einer angeblich geplanten Abschaffung des Kindergeldes. Stattdessen will die Union das Kindergeld anheben und dafür sorgen, dass es künftig nach der Geburt automatisch ausgezahlt wird. Welche Erhöhungen konkret geplant sind und wie eine solche Auszahlung in der Praxis aussehen soll, beantwortete uns die CDU-Pressestelle mit Verweis auf die laufenden Koalitionsverhandlungen nicht.
Im Wahlprogramm der Union heißt es weiter: „Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass das Kindergeld für im EU-Ausland lebende Kinder an die Unterhaltskosten des jeweiligen Landes angepasst werden kann.“ Wir wollten wissen, ob die Union neben Kürzungen auch Erhöhungen des Kindergeldes vorsehen würde. Denn: Die Unterhaltskosten in Dänemark sind zum Beispiel höher als in Deutschland. Doch auch dazu äußerte sich die CDU-Pressestelle nicht.
Europäischer Gerichtshof: Anpassung des Kindergelds an Unterhaltskosten im Ausland nicht europarechtskonform
Ob eine solche Anpassung des Kindergeldes überhaupt umgesetzt werden kann, ist fraglich. Denn laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags (hier und hier) gibt es sogenannte Rangfolgeregelungen, die festlegen, welcher Staat zuständig ist, um das Kindergeld zu bezahlen. Ist das Kindergeld dort niedriger als im zweiten Staat, bezahlt der zweite (nachrangige Staat) im Regelfall die Differenz.
Dennoch führte Österreich 2019 eine Anpassung des Kindergelds an die Unterhaltskosten im jeweiligen EU-Ausland ein. Das wertete der Europäische Gerichtshof 2022 als „ungerechtfertigte mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit von Wanderarbeitnehmern“. Wie das Bundeskanzleramt informiert, musste Österreich die Anpassungsvorschriften aufheben und Beiträge an den Personenkreis zurückzahlen, die von einer Anpassung „nach unten“ betroffen waren. Wessen Kindergeld „nach oben“ geändert wurde, musste die Differenz nicht zurückzahlen.
Den Versuch, das EU-Recht so zu ändern, dass eine Anpassung des Kindergelds an das Preisniveau des jeweiligen EU-Landes möglich wäre, gab es schon 2018. Medienberichten zufolge scheiterte der Vorstoß aus Deutschland, Österreich und Dänemark jedoch im Sozialausschuss des EU-Parlaments.
Redigatur: Gabriele Scherndl, Alice Echtermann