Faktencheck

Verfassungsschutz kann Einstufung unabhängig vom Verfassungsgericht vornehmen

Online stellen Nutzerinnen und Nutzer in Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bewegung“ einstufen durfte. Angeblich müsse erst das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsfeindlichkeit feststellen. Das stimmt nicht.

von Matthias Bau

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Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat seinen Sitz in Köln Chorweiler (Quelle: Christoph Hardt/Panama Picture/Picture Alliance)
Behauptung
Das Bundesverfassungsgericht müsse die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei feststellen, bevor das Bundesamt für Verfassungsschutz eine politische Partei einordnen oder beurteilen dürfe.
Bewertung
Falsch. Das Bundesamt für Verfassungsschutz nimmt seine Beurteilung und Einstufung von Parteien unabhängig von Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes vor.

Am 2. Mai 2025 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Das begründete das Amt damit, dass das in der Partei „vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis“ nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sei. Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen.

Gegen die Einstufung durch den Verfassungsschutz reichte die AfD am 5. Mai Klage ein. Daraufhin gab der Verfassungsschutz am 8. Mai eine sogenannte „Stillhaltezusage“ ab: Bis der Fall vor Gericht geklärt sei, werde das Amt die Partei offiziell weiterhin als Verdachtsfall führen und die Aussage öffentlich nicht wiederholen, dass es die AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung einstufe. Infolgedessen wurde auch die Pressemitteilung des Amtes über die Einstufung von dessen Webseite entfernt.

Online schreibt ein Instagram-Account, der behauptet, über „Zeitgeschehen“ zu berichten derweil: Der Verfassungsschutz dürfe politische Parteien ohnehin nur dann einstufen, wenn es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebe, das die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei feststelle. Das ist falsch.

Anders als auf Instagram behauptet, kann das Bundesamt für Verfassungsschutz Parteien unabhängig von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einstufen oder beurteilen
Anders als auf Instagram behauptet, kann das Bundesamt für Verfassungsschutz Parteien unabhängig von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einstufen oder beurteilen (Quelle: Instagram; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet unabhängig vom Bundesverfassungsgericht

Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz regelt das Bundesverfassungsschutzgesetz. Darin ist festgelegt, dass das Amt dem Bundesinnenministerium untersteht (Paragraf 2). Nach Paragraf 16 ist es die Pflicht des Verfassungsschutzes, die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten zu unterrichten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Dafür darf der Verfassungsschutz auch personenbezogene Daten bekannt geben, „wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhangs oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen“.

Voraussetzung für eine Einstufung ist laut Paragraf 4 aber nicht, was das Bundesverfassungsgericht sagt, sondern „das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte“. Diese sieht der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in „konkreten, in gewissem Umfang verdichteten Umständen, die bei vernünftiger Betrachtung auf das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen hindeuten“. Eine „Gewissheit“ sei dafür nicht notwendig, gleichzeitig würden bloße Vermutungen aber nicht ausreichen.

Wird eine Partei als gesichert rechtsextremistisch eingestuft, bedeutet das erstmal, dass der Verfassungsschutz seine Entscheidung öffentlich macht. Je nach Einstufung darf der Verfassungsschutz unterschiedliche nachrichtendienstliche Mittel einsetzen – und je höher die Einstufung, desto eher wird er eingreifen, wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags beschreibt. 

Parteiverbotsverfahren ist Sache des Bundesverfassungsgerichts

Ob eine Partei verboten wird oder nicht, liegt nicht in der Hand des Verfassungsschutzes, sondern beim Bundesverfassungsgericht. Das Grundgesetz hat Parteiverbotsverfahren dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen. Laut Webseite des Gerichts ist so gewährleistet, „dass ein unabhängiges Gericht alleine nach verfassungsrechtlichen Maßstäben entscheidet“. Wird eine Partei vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft, kann das als Beweis in das Verfahren einfließen. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist im Vergleich zum Verbot das „mildere Mittel“, schrieb etwa auch das Verwaltungsgericht Köln schon 2004. 

Das Bundesverfassungsgericht prüft auf Antrag des Bundestages, des Bundesrats oder der Bundesregierung in einem eigenen Verfahren, ob eine Partei verfassungsfeindlich ist und verboten werden kann. Das legen die Paragrafen 43 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und 21 des Grundgesetzes fest.

Ein Verbot sprach das Gericht bisher erst zweimal aus: 1952 gegen die Sozialistische Reichspartei und 1956 gegen die Kommunistische Partei Deutschlands. 2017 stellt das Gericht zwar die Verfassungsfeindlichkeit der Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD, jetzt „Die Heimat“) fest, da die Partei aber keine Aussicht darauf habe, ihre Ziele auch durchzusetzen, sprach das Verfassungsgericht kein Verbot aus.

Der Instagram-Account antwortete nicht auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck.

Redigatur: Sarah Thust, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, „Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die ‚Alternative für Deutschland‘ als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein“ vom 2. Mai 2025: Link (archiviert)
  • Bundesverfassungsschutzgesetz, Stand 12. Mai 2025: Link (archiviert)
  • Informationsseite des Bundesverfassungsgerichts über den Ablauf von Parteiverbotsverfahren: Link
  • Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, 2024: Link (archiviert)
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