Faktencheck

Doch, dieses Foto von Menschen an einer Essensausgabe in Gaza ist echt

Ein Foto, das zeigt, wie Frauen mit Töpfen in den Händen auf Essen in Gaza warten, soll laut Stimmen in Sozialen Netzwerken „fake“ und KI-generiert sein. Das stimmt nicht.

von Kimberly Nicolaus

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Anders als online behauptet, ist dieses Foto nicht KI-generiert, sondern wurde am 16. Juli 2025 in Gaza aufgenommen (Foto: Ahmed Jihad Ibrahim Al-arini / Anadolu / Picture Alliance)
Behauptung
Ein Foto aus Gaza, das Frauen mit Töpfen in den Händen bei einer Essensausgabe zeigt, sei „fake“ und KI-generiert.
Bewertung
Falsch. Ein Abgleich mit mehreren Fotos und einem Video derselben Szene belegen, dass das Foto echt ist.

Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Gaza war Ende Mai 2025 von akuter Ernährungsunsicherheit so stark betroffen, dass die IPC-Initiative (Integrated Food Security Phase Classification) von einer Notfall-Lage (Phase 4) beziehungsweise einer Hungersnot (Phase 5) sprach. Ende Juli 2025, folgte die Warnung, dass „das schlimmste Szenario“ einer Hungersnot in Gaza eintreten könnte. Es gebe immer mehr Belege dafür, dass Menschen unterernährt seien und verhungerten. Laut IPC-Prognose steigt aktuell der Anteil der Bevölkerung, der von einer Notfall-Lage oder Hungersnot betroffen ist, auf rund 76 Prozent – das sind etwa 1,6 Millionen Menschen. Auch Geiseln, die unter der Gewalt der Hamas stehen, erleiden Hunger, wie Propagandavideos zeigen. 

Anfang März 2025 verhängte Israel eine völkerrechtswidrige Blockade für Hilfsgüter in Gaza. Für die Menschen dort gab es israelischen Angaben zufolge dadurch mehr als zwei Monate lang überhaupt keine Essenslieferungen. Inzwischen kommen Lieferungen wieder durch, laut IPC jedoch bei Weitem nicht in ausreichender Menge. 

Fotografen vor Ort dokumentieren das Leid. Doch eines der Bilder soll laut Stimmen auf Tiktok und X, darunter pro-israelische Stimmen, „fake“ sein. Es heißt, das Bild sei KI-generiert, unter anderem weil eine Frau im Vordergrund angeblich drei Arme hätte. Das stimmt nicht. 

Einzelne versuchen auf X (links) und Tiktok (rechts) Zweifel an der Echtheit des Fotos zu säen. Anders als behauptet ist das Foto nicht KI-generiert. (Quelle: X / Tiktok; Foto: Ahmed Jihad Ibrahim Al-arini / Anadolu Images; Screenshot, Collage und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)
Einzelne versuchen auf X (links) und Tiktok (rechts) Zweifel an der Echtheit des Fotos zu säen. Anders als behauptet ist das Foto nicht KI-generiert. (Quelle: X / Tiktok; Foto: Ahmed Jihad Ibrahim Al-arini / Anadolu Images; Screenshot, Collage und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Gaza: Fotos und Videos derselben Szene belegen Echtheit

Eine Suche nach dem Foto in der Bilderdatenbank der Deutschen Presse-Agentur führt zu einem Treffer. Demnach wurde das Foto von Ahmed Jihad Ibrahim Al-arini am 16. Juli 2025 aufgenommen. Dieselben Angaben über das Foto macht auch die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Agency

Auf Anfrage bestätigt uns der Fotograf das Aufnahmedatum. Die Metadaten des Fotos, die uns vorliegen, belegen seine Angabe. Weil es weitere Fotos sowie ein Video von derselben Szene gibt, ist es eindeutig, dass das Foto nicht KI-generiert, sondern echt ist.

 

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Für den Vorwurf, das Foto in Gaza sei „gestellt“, gibt es keine Belege 

Andere Nutzer in Sozialen Netzwerken sprechen davon, dass das Foto „gestellt” sei und es demnach gar keine Hungersnot in Gaza gebe. Damit bedienen sich die Verbreiter einem bekannten Narrativ, das schon häufiger für Desinformation eingesetzt wurde: „Pallywood“ – eine Zusammensetzung aus den Worten „Palästina“ und „Hollywood“. Aufnahmen werden mit dem Begriff als inszeniert abgetan, die Menschen darin als Schauspieler bezeichnet. 

Belege für die angebliche Inszenierung des Fotos und der Hungersnot liefern die Nutzer hinter der Behauptung nicht. Stattdessen zeigen mehrere Aufnahmen von unterschiedlichen Fotografen zu verschiedenen Zeiten, dass die Situation, wie sie auf dem Foto in Gaza sichtbar ist, kein Einzelfall ist. 

Aufnahmen von unterschiedlichen Tagen und Fotografen zeigen Essensausgabe an demselben Ort in Gaza

So ist in der Bilderdatenbank der Anadolu Agency ein weiteres Foto der exakt selben Situation abrufbar. Der Unterschied: Die Frau in der Mitte schaut nicht erschöpft in die Leere, sondern schaut zu Boden und presst die Lippen zusammen. 

In einem anderen Foto vom 16. Juli 2025, das ebenso die gleiche Situation zeigt, ist ein zerstörtes Gebäude im Hintergrund erkennbar; mit diesem Anhaltspunkt lassen sich Fotos eines anderen Fotografen demselben Ort zuordnen. Sie wurden wenige Tage später, am 20. Juli 2025, aufgenommen und zeigen wieder dutzende Menschen, die mit Töpfen in ihren Händen auf Essen warten. 

Das Gleiche am 24. Juli 2025: Ein weiterer Fotograf dokumentiert, wie Menschen an demselben Ort auf Essen warten. Von dieser Situation veröffentlichte auch CNN ein Video online. Darin ist der Name der Hilfsorganisation sichtbar, die das Essen in die Töpfe der wartenden Palästinenser füllt. Mit diesen Hinweisen findet sich ein Video online, das bereits am 18. Mai 2025 von der Hilfsorganisation veröffentlicht wurde. Es zeigt wieder denselben Ort für die Essensausgabe. 

Diese Aufnahmen belegen, dass eine Hilfsorganisation an ein und demselben Ort in Gaza immer wieder, und zwar an mindestens vier unterschiedlichen Tagen, Essen verteilte.

Ausgewählte Fotos werden genutzt, um den Diskurs über die Hungerkrise in Gaza zu verschieben

Ein weiteres Foto von Al-arini, das eine Mutter mit ihrem abgemagerten Kind in einem Zelt zeigt, erlangte ebenfalls Bekanntheit. Zu den Hintergründen berichten wir ausführlich in diesem Artikel. Hierbei wurden Vorwürfe laut, das Foto sei missbräuchlich zur Bebilderung der Notlage in Gaza verwendet worden, weil das Kind an einer Muskelerkrankung leide. 

Doch Ärzte vor Ort berichteten gegenüber Medien, dass das Kind zusätzlich an einer Mangelernährung leide. Kinderarzt Nicolas Aschoff von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen schrieb uns dazu: „Die aktuellen Spekulationen darüber, ob einige Fotos möglicherweise Kinder zeigen, die an genetischen Erkrankungen oder Behinderungen leiden, sind aus meiner Sicht argumentative Blendgranaten.“ 

Alle Faktenchecks zu Falschmeldungen und Gerüchten zum Krieg im Nahen Osten finden Sie hier.

Redigatur: Matthias Bau, Paulina Thom