Hintergrund

Weiße Kittel und ein angebliches Covid-19-Heilmittel: Was hinter dem viralen Video der „America’s Frontline Doctors“ steckt

Eine Gruppe Mediziner, die sich „America’s Frontline Doctors“ nennen, ziehen weltweit Aufmerksamkeit mit der unbelegten Behauptung auf sich, Covid-19 könne mit dem Malaria-Medikament Hydroxychloroquin geheilt werden. Ärztin Stella Immanuel verbreitet schon seit Jahren unwissenschaftliche Mythen.

von Uschi Jonas

Stella Immanuel, eine der Ärztinnen der „America’s Frontline Doctors“ bei der Pressekonferenz am 27. Juli vor dem Supreme Court in Washington.
Stella Immanuel, eine der Ärztinnen der „America’s Frontline Doctors“ bei der Pressekonferenz am 27. Juli vor dem Supreme Court in Washington. (Screenshot: CORRECTIV)

In weißen Kitteln steht eine Gruppe Menschen vor dem US Supreme Court in Washington. Sie nennen sich America’s Frontline Doctors und sprechen davon, dass niemand an Covid-19 erkranken müsse. Es gebe ein Heilmittel, das Erkrankte gesund mache und Gesunde präventiv vor einer Erkrankung schütze: Hydroxychloroquin. Alle Schutzmaßnahmen vor dem Coronavirus seien zudem hinfällig und nutzlos. 

Hydroxychloroquin ist ein Medikament, das gegen Malaria eingesetzt wird, entzündungshemmend wirkt und auch gegen rheumatologische Erkrankungen helfen soll. Doch: Seit Monaten warnen Ärzte und Wissenschaftler vor der Einnahme von Hydroxychloroquin in Zusammenhang mit Covid-19. Es gibt keine Belege, dass es zur Behandlung der Krankheit geeignet ist. Das Video der „Frontline Doctors“ verbreitete sich trotzdem rasant in mehreren Ländern auch weil sich prominente Unterstützer fanden.

Am 27. Juli war die rechtspopulistische Nachrichtenseite Breitbart News laut Medienberichten live auf Facebook und übertrug die Pressekonferenz der „Frontline Doctors“. Unterstützt wurde die Veranstaltung von den „Tea Party Patriots“, einer rechtskonservativen politischen Organisation. Der Republikaner Ralph Norman eröffnete die Pressekonferenz. 

Youtube, Facebook und Twitter löschten Videos der „America’s Frontline Doctors“

Auch wenn das Video der Pressekonferenz mittlerweile von Youtube gelöscht wurde, findet sich auf dem Youtube-Kanal der „Tea Party Patriots“ noch ein über dreistündiges Video des sogenannten Gipfeltreffens der „Frontline Doctors“. Das Video tauchte auch in Deutschland auf: Die Pressekonferenz ist auf der Webseite „Corona-Datencheck“ zu finden. Ein Ausschnitt des Videos findet sich unter anderem mit deutscher Beschreibung auf der Plattform Bittube. Das Video dort trägt das Logo der Jugendorganisation „Turning Point USA“, die Donald Trump im Wahlkampf nahesteht.  

Nicht nur auf Youtube wurden die Videos der Pressekonferenz gelöscht, auch Facebook und Twitter löschten laut Medienberichten Posts, die Videos der „Frontline Doctors“ verbreiteten ­ darunter auch Tweets von US-Präsident Donald Trump und seinem Sohn Donald Trump Jr.. Auch Musikerin Madonna, die laut den Berichten schon häufiger Falschinformationen während der Corona-Pandemie verbreitete, veröffentlichte Botschaften der Gruppe und bezeichnete Stella Immanuel, eine der Ärztinnen im Video, als ihre Heldin

Facebook begründete die Löschung der Videos dem US-Nachrichtensender CNN zufolge damit, dass das Video falsche Informationen über die Heil- und Behandlungsmöglichkeiten von Covid-19 verbreite. Bevor das Facebook-Live-Video auf Breitbart News von Facebook gelöscht wurde, sei es mehr als 20 Millionen Mal angeklickt worden, schreibt NBC-Reporterin Brandy Zadrozny auf Twitter

Donald Trump verteidigte erneut den Einsatz von Hydroxychloroquin gegen Covid-19

Auf einer Pressekonferenz des Weißen Hauses am 28. Juli verteidigte Donald Trump die Tatsache, dass er das Video und das Statement einer der auftretenden Ärztinnen, Stella Immanuel, geteilt hatte: Sie sagte, sie habe enormen Erfolg bei hunderten von verschiedenen Patienten und ich hielt ihre Stimme für eine wichtige Stimme, aber ich weiß nichts über sie. Erneut betonte er, dass er selbst 14 Tage lang im Mai präventiv Hydroxychloroquin eingenommen habe und es ihm gut gehe. Immer wieder pries Donald Trump in den vergangenen Monaten das Malaria-Medikament als Heilmittel gegen Covid-19 an.

Doch wer sind die „Frontline Doctors“? Die Webseite der Gruppierung ist inzwischen nicht mehr verfügbar. Sie sei vom Website-Host Squarespace am 28. Juli gelöscht worden, schreibt eine der Ärztinnen auf Twitter. In der archivierten Version der Webseite ist zu lesen, dass die Mediziner ankündigten, einen Weiße-Kittel-Gipfel abzuhalten, um „die Amerikaner zu ermächtigen, nicht länger in Angst zu leben“. Die US-Bürger seien angeblich Opfer einer „massiven Desinformationskampagne“ geworden. Spätestens bei dem öffentlichen Auftritt am vergangenen Montag vor dem Supreme Court wurde deutlich, dass es ihnen dabei um den Umgang mit der Corona-Pandemie ging. 

Ärztin Stella Immanuel behauptet, Hunderte Covid-19-Patienten mit Hydroxychloroquin geheilt zu haben

Besonders eindrücklich sind dabei die Worte von Stella Immanuel. Sie gibt an, Ärztin in Houston, Texas zu sein und Medizin in Nigeria studiert zu haben. Bei der Liveübertragung vor dem Supreme Court redete sie sich regelrecht in Rage: Ich habe persönlich mehr als 350 Menschen mit Covid behandelt. Patienten, die die Diabetes haben, die Bluthochdruck haben, Patienten die Asthma haben. Ich habe ihnen Hydroxy gegeben, ich habe ihnen Zink gegeben, ich habe ihnen Zithromax gegeben, und es geht ihnen allen gut. 

Zudem habe sie sich selbst, medizinischen Angestellten und vielen anderen Ärzten auch Hydroxychloroquin zur Prävention gegeben. Niemand müsse krank werden, niemand müsse sterben, sagt Immanuel: Für dieses Virus gibt es Heilung. Und das sind Hydroxychloroquin, Zink und Zithromax. 

Studien, die vor Hydroxychloroquin warnten, seien gefälschte Wissenschaft und das Tragen von Schutzmasken und Abstandhalten bringe nichts, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen, behauptet Immanuel weiter. Belege für diese Behauptungen liefert sie keine.

Seit Monaten gibt es Diskussionen über die Anwendung des Malaria-Medikaments im Kampf gegen Covid-19

Zu Beginn der Corona-Pandemie häuften sich weltweit Meldungen, das Malaria-Medikament könne bei der Behandlung von Covid-19 helfen. So hatte die U.S. Food and Drug Administration (FDA), die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten, im März eine Notfallgenehmigung für den Einsatz von Hdydroxychloroquin und Chloroquin zur Behandlung von Covid-19 erteilt. 

Auch in anderen nicht-europäischen Ländern wurden ähnliche Regelungen erlassen, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) in einem Hinweispapier zum Umgang mit Covid-19-Erkrankten schreibt. Doch die Entscheidung fußte laut der Behörde lediglich auf Einzelfallberichten und Beobachtungsanalysen, die zu uneinheitlichen Ergebnissen führten, was die Sicherheit und Wirksamkeit von Hydroxychloroquin anbelangt. 

Im Mai sorgte dann eine Studie für Aufsehen, die in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht worden war. Dort wurde nicht nur die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin in Frage gestellt, sondern behauptet, das Medikament würde schwere Nebenwirkungen hervorrufen und das Sterberisiko erhöhen. Die Studie wurde massiv kritisiert, drei der vier Autoren gaben laut Medienberichten ihren Rückzug aus der Studie bekannt.  

Trotz Zweifeln an der Zuverlässigkeit der zugrundeliegenden Daten führte die Studie jedoch zum Widerruf der Notfallgenehmigung im Juni durch die FDA, wie das RKI schreibt

Inzwischen wurden einige klinische Studien zu Hydroxychloroquin wieder aufgenommen, wie auch in einem Papier des RKI zur Erkennung, Diagnostik und Therapie von Covid-19 vom 22. Juli zu lesen ist (Seite 12).

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht keine Belege für eine Wirksamkeit von Hydroxychloroquin zur Behandlung von Covid-19. Auch die WHO rät von einer Einnahme ab, weil sie gefährliche Nebenwirkungen hervorrufen und sogar zum Tod führen könne.

Laut Stella Immanuel löschte Facebook ihre private Seite

Zahlreiche Medien berichten davon, dass Stella Immanuel dubiose, unwissenschaftliche Überzeugungen vertrete und verbreite. 

Immanuel arbeitet im Rehoboth Medical Centre in Houston, Texas. Online zu finden ist lediglich eine Facebook-Seite der Privatklinik, Facebook löschte die private Seite der Ärztin offenbar. Auf Twitter schrieb sie dazu: Wenn meine Seite nicht wiederhergestellt wird, wird Facebook im Namen Jesu zusammenbrechen. In ihrer Twitter-Biografie schreibt sie über sich selbst, sie sei unter anderem Ärztin, Autorin, Rednerin sowie Gottes Streitaxt und Kriegswaffe”. 

Immanuel verteufelt Masturbation und glaubt an Dämonen sowie Reptilien, die die Welt regieren

Außerdem predigt sie in der Fire Power Ministry. Dahinter verbirgt sich offenbar eine missionarische, religiöse Organisation. Die Website der Organisation ist nur in einer archivierten Version verfügbar. Aber auf Immanuels Youtube-Kanal finden sich seit 2009 Videos, in denen sie beispielsweise 2011 behauptete, wer masturbiere und Sexträume habe, rufe Dämonen, was wiederum die Ursache für zahlreiche gynäkologische Krankheiten sei.

Stella Immanuel, Mitglied von „America’s Frontline Doctors“, glaubt, dass allein die Kirche ein Recht auf Macht habe. (Quelle: Youtube, Screenshot: CORRECTIV)
Stella Immanuel, Mitglied von „America’s Frontline Doctors“, glaubt, dass allein die Kirche ein Recht auf Macht habe. (Quelle: Youtube, Screenshot: CORRECTIV)

2015 behauptete sie in einem Video, DNA von Aliens werde in medizinischen Behandlungen genutzt. Wissenschaftler würden einen Impfstoff entwickeln, um Menschen daran zu hindern, religiös zu sein und Reptilien säßen anstatt Menschen in der Regierung. Auch verbreitete sie die Behauptung, Illuminati und Dämonen würden die Weltordnung bestimmen. Lediglich die Kirche habe den Auftrag, diese Rolle zu übernehmen. Der Glaube daran, dass „Reptiloide“, also Echsenmenschen, die Länder der Welt anführen würden, ist ein Verschwörungsmythos. 

Fazit: Unbelegte Heilsversprechen einer umstrittenen Ärztin

Seit Beginn der Pandemie wird an der Wirksamkeit und den Folgen der Behandlung mit Hydroxychloroquin bei Covid-19-Patienten weltweit diskutiert und geforscht fest steht bislang, dass die Anwendung des Medikaments keine Wirksamkeit bei der Heilung oder Prophylaxe gegen das Coronavirus zeigt. 

Für die Behauptung von Stella Immanuel, sie habe Hunderte Patienten mit dem Medikament geheilt, gibt es keine Belege. Immanuel, deren Aussagen bei der Pressekonferenz der „Frontline Doctors“ auch im Weißen Haus diskutiert wurden, berief sich in der Vergangenheit bei vielen ihrer Äußerungen nicht auf wissenschaftlich fundierte Fakten, sondern auf religiöse Ansichten und verbreitete teils Verschwörungsmythen.