Hintergrund

Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen: Das steckt hinter den Daten des Paul-Ehrlich-Instituts

Daten aus den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts werden häufig ohne Kontext zitiert, um Ängste vor Impfungen zu schüren. Wir erklären, wie die Verdachtsmeldungen erfasst werden und warum es so schwierig ist, kausale Zusammenhänge zu Impfungen nachzuweisen.

von Sarah Thust

Impfzentrum
Impfungen gegen Covid-19 sollen vor schweren Erkrankungen schützen. Schwillt nach der Impfung beispielsweise der Arm an, muss der eigene Hausarzt das dem Gesundheitsamt melden. Solche Fälle tauchen in den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts auf. (Symbolbild: Marion Knoche / Pixabay)

Die Frage, welche Nebenwirkungen Covid-19-Impfungen haben könnten, beschäftigt viele Menschen. Sie lässt sich aber nicht so einfach beantworten, weil eine Krankheit oder der Tod eines Menschen viele Ursachen haben können. Fakt ist: Nebenwirkungen werden bereits in Zulassungsstudien für Impfstoffe dokumentiert. Auch danach forschen Ärzte und Wissenschaftlerinnen weiter – im Austausch mit Betroffenen und mit einem Blick aufs große Ganze.

Im Zusammenhang mit Nebenwirkungen wird häufig auf die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) verwiesen. Oft werden die Zahlen darin jedoch aus dem Kontext gerissen und selektiv dargestellt, um Ängste vor der Impfung zu schüren – zum Beispiel kürzlich in einem Video von Kla.tv (CORRECTIV.Faktencheck berichtete). Darin hieß es, die „Impfkatastrophe“ zeige sich anhand „erschreckender offizieller Zahlen des Paul-Ehrlich-Institutes“.

Doch dazu muss man verstehen: Diese Zahlen sagen nichts darüber aus, ob eine Nebenwirkung durch eine Impfung verursacht wurde. Sie umfassen lediglich Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. Das sind gesundheitliche Ereignisse aller Art, die zeitlich nach einer Impfung aufgetreten sind und dem Institut gemeldet wurden. 

Das PEI erklärt das auf seiner Webseite so: „Das Melden von Verdachtsfällen von Nebenwirkungen ist eine zentrale Säule für die Beurteilung der Sicherheit von Arzneimitteln. So können zeitnah neue Signale detektiert und das Nutzen-Risiko-Profil der Impfstoffe kontinuierlich überwacht werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch Reaktionen in zeitlicher Nähe zu einer Impfung nicht unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung stehen müssen.“

CORRECTIV.Faktencheck hat sich angesehen, woher die Daten aus den Sicherheitsberichten stammen und in welchem Kontext sie zu verstehen sind.

Wer meldet Verdachtsfälle von Impf-Nebenwirkungen an das Paul-Ehrlich-Institut?

Meldungen von Nebenwirkungen nach einer Impfung mit Covid-19-Impfstoffen erhält das Paul-Ehrlich-Institut einerseits über die Gesundheitsämter, die solche Informationen von Ärztinnen und Ärzten gemeldet bekommen. Das ist laut Infektionsschutzgesetz vorgeschrieben. 

Hersteller von pharmazeutischen Produkten müssen eventuelle Nebenwirkungen bei der Europäischen Arzneimittelagentur melden – auch diese Daten fließen in die Sicherheitsberichte des PEI ein. Über eine deutsche Online-Plattform können zudem Privatpersonen Verdachtsfallmeldungen einreichen. Für Covid-19-Impfungen gibt es dort ein spezielles Meldeformular.

Zusätzlich führt das Paul-Ehrlich-Institut eine freiwillige Befragung zur Verträglichkeit der Covid-19-Impfstoffe mit einer Handy-App durch, die sich geimpfte Menschen installieren können.

Dokumentation dient dazu, „Risikosignale“ zu erkennen

Im aktuellsten Sicherheitsbericht mit Stand 7. Mai 2021 heißt es (PDF, Seite 21/22): „Das Paul-Ehrlich-Institut fasst alle Meldungen, die es erhält, unabhängig vom ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung zusammen.“ Außerdem wird erklärt, dass die Daten in den Sicherheitsberichten, wenn nötig, aktualisiert werden. Doppelmeldungen, die von unterschiedlichen Quellen gemeldet wurden, werden zu einer Meldung zusammengeführt.

Diese Überwachung von Verdachtsfällen dient dazu, statistische Auffälligkeiten („Risikosignale“) zu entdecken und darauf reagieren zu können. So wurden beispielsweise die Nebenwirkungen des Astrazeneca-Impfstoffes entdeckt, der in seltenen Fällen Hirnvenenthrombosen auslösen kann.

Im aktuellen Sicherheitsbericht des PEI wird dazu erklärt: „Ergibt sich eine signifikant höhere Melderate für ein Ereignis nach Impfung, als es statistisch zufällig in einer vergleichbaren Population zu erwarten wäre, geht das Paul-Ehrlich-Institut von einem Risikosignal aus, das dann durch zusätzliche, zumeist epidemiologische Studien weiter untersucht werden sollte.“ 

Alle Meldungen, die zu Covid-19-Impfstoffen eingehen, werden von den Behörden geprüft

Die Daten, die über eine Online-Meldung zu Covid-19-Impfstoffen eingereicht werden, werden laut PEI „von Mitarbeitern der Bundesoberbehörden geprüft“. „Bundesoberbehörden“ sind zum Beispiel das PEI, das Robert-Koch-Institut oder das Bundesministerium für Gesundheit. Wie diese Überprüfung konkret abläuft, steht nicht in den Sicherheitsberichten.

Eine Pressesprecherin des PEI, Susanne Stöcker, erklärt uns per E-Mail: Ist eine eingegangene Meldung medizinisch plausibel, also handelt es sich nicht um eine offensichtlich erfundene Meldung, wird sie eingetragen. 

Bei der Bewertungen von Verdachtsfällen gebe es aber nur „sehr wenig ‘schwarz’ und ‘weiß’“. Stöcker erklärt: „Wenn jemand nach der Impfung an Covid-19 erkrankt und verstorben ist, dann ist die Impfung nicht die Ursache des Todes. Die Zahl dieser Todesfälle wird aber dennoch mit aufgenommen und dann mit dem entsprechenden Hinweis ausgewiesen.“

Deshalb führen Berichte, die die absolute Zahl der dokumentierten Todesfälle aus den Sicherheitsberichten ohne Kontext zitieren, in die Irre.

Welche Verdachtsfälle werden dem PEI am häufigsten gemeldet? 

Zu den häufigsten gemeldeten unerwünschten Ereignissen nach einer Impfung gehören laut aktuellem Sicherheitsbericht des PEI (Stand 7. Mai 2021, Seite 10): 

  • Comirnaty (Biontech/Pfizer): Kopfschmerzen, Ermüdung und Schmerzen an der Injektionsstelle
  • Vaxzevria (Astrazeneca): grippeähnliche Erkrankung, Fieber und Schüttelfrost 
  • Moderna: Schmerzen an der Injektionsstelle, lokale Reaktion und Kopfschmerzen

Dies sind übliche Reaktionen, die nach allen Arten von Impfungen auftreten können und zeigen, dass der Körper auf den Impfstoff reagiert.

Die Grafik zeigt den prozentualen Anteil der jeweiligen unerwünschten Reaktionen an der Gesamtzahl der unerwünschten Reaktionen zu drei Covid-19-Impfstoffen
Die Grafik zeigt den prozentualen Anteil der jeweiligen unerwünschten Reaktionen an der Gesamtzahl der unerwünschten Reaktionen zu drei Covid-19-Impfstoffen (Quelle: Sicherheitsbericht PEI / Screenshot am 1. Juni: CORRECTIV.Faktencheck)

Für Diskussionen sorgten Meldungen über spezielle Thrombosen in Verbindung mit Thrombozytopenie (Blutplättchenmangel) als Nebenwirkungen bei den Vektorimpfstoffen Vaxzevria von Astrazenca und Janssen. Das Syndrom wird TTS genannt und ist laut Angaben des PEI eine „sehr seltene Nebenwirkung“. „Sehr selten“ bedeutet, die Nebenwirkung kommt im Schnitt höchstens bei einer von 10.000 Personen vor. 

Im aktuellen Sicherheitsbericht steht: „Die Melderate in Deutschland für TTS variierte je nach Altersgruppe und Geschlecht zwischen 0,2 – 2,2 auf 100.000 Impfdosen.“ In einer Studie aus Dänemark seien jedoch noch etwas höhere Werte festgestellt worden.

Kausale Zusammenhänge zur Covid-19-Impfung nachzuweisen ist schwierig

Bei den Thrombosen und dem TTS-Syndrom gilt es inzwischen als gesichert, dass es sich um Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen handelt. 

In Deutschland wurden bis zum 29. April rund 5,8 Millionen Impfungen mit Vaxzevria und 2.106 Impfungen mit Janssen durchgeführt. Es gab laut PEI insgesamt 67 Fälle von TTS, davon starben 14 Menschen – alle Fälle bezogen sich auf Erstimpfungen mit Vaxzevria (PDF, Seite 13). Die „sehr seltene“, aber schwerwiegende Nebenwirkung wurde offiziell in die Produktinformation der Vektorimpfstoffe von Astrazeneca (Vaxzevria) und Johnson & Johnson (Janssen) aufgenommen. 

In diesen Fällen kann man also mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Impfung die Ursache für die Erkrankung war. Am 10. Mai schrieb das PEI auf seiner Webseite: Die aktuelle wissenschaftliche Evidenz zeige, dass Thrombosen mit Thrombozytopenie (TTS) kausal, also ursächlich auf Vaxzevria (von Astrazeneca) und den Covid-19-Impfstoff von Johnson & Johnson zurückzuführen sei.

Anders äußert sich das PEI zum Beispiel zu den Myokarditis-Fällen, von denen laut Medienberichten im April 62 nach Comirnaty-Impfungen in Israel beobachtet wurden. Dem Paul-Ehrlich-Institut sind nach eigenen Angaben bis zum 30. April 16 Fälle von Myokarditis, also Herzmuskelentzündungen, aus Deutschland berichtet worden. Insgesamt wurden in Deutschland bis zum 29. April rund 21,3 Millionen Menschen mit Comirnaty geimpft.

Bei den meisten Berichten zu den Herzmuskelentzündungen fehlten „Informationen zu möglichen alternativen Ursachen (z.B. Virusinfektionen), Begleiterkrankungen, Diagnose und Verlauf der Erkrankungen“. Daher sei aktuell noch keine medizinische Bewertung der Meldungen möglich, schrieb das PEI im aktuellen Sicherheitsbericht. Es sei derzeit auf Basis der Daten aus Deutschland kein „Risikosignal“ erkennbar. 

Beim Blick auf Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen ist das große Ganze entscheidend

Ein kausaler Zusammenhang ist in der Wissenschaft allgemein sehr schwer nachzuweisen. Zwei Ereignisse oder Variablen können in einer augenscheinlichen Beziehung zueinander stehen, ohne dass feststeht, ob es sich um Ursache und Wirkung oder reinen Zufall handelt. Man spricht auch von Korrelation. Wenn zum Beispiel die Zahl der Krankenhausbesuche parallel zum Nettoeinkommen der Menschen ansteigt, liegt das wahrscheinlich nicht am Geld, sondern am Alter dieser Personen: Wer schon länger im Beruf ist, verdient mehr Geld, ist aber auch älter und damit anfälliger für körperliche Gebrechen.

Die sogenannte Kausalität setzt jedoch ein Ursache-Wirkungs-Prinzip voraus. Eine Kausalhypothese muss drei Voraussetzungen erfüllen: 

  1. Zwischen X und Y besteht ein statistischer Zusammenhang. 
  2. Die Ursache X geht der Wirkung Y zeitlich voraus. 
  3. Der Zusammenhang zwischen X und Y besteht auch nach Eliminierung von Drittvariablen.

Einen kausalen Zusammenhang zu belegen ist in der Medizin besonders schwierig und erfordert viele Studien Jeder Mensch pflegt einen anderen Lebensstil und bringt andere physische Voraussetzungen mit. Beispielsweise erhöht sich auch durch die Kombination von Anti-Baby-Pille und Rauchen das Thromboserisiko. 

Darum ist bei der Frage nach Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen der Blick auf das große Ganze entscheidend, also beispielsweise, ob in den umfangreichen Datensätzen Muster zu erkennen sind, die von der Norm abweichen. Fallen solche Muster auf, können Experten darauf reagieren. 

Im Internet werden die Daten aus den Sicherheitsberichten des PEI häufig ohne Kontext zitiert, um Ängste vor Impfungen zu schüren. Gemeldet werden dem PEI aber nur Verdachtsfälle dazu, ob eine Komplikation nach einer Impfung aufgetreten ist. In der Regel ist es bei diesen Fällen jedoch völlig unklar, ob die Komplikation durch den Impfstoff verursacht wurde.

Redigatur: Alice Echtermann, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Hintergrund-Bericht:

  • Aktueller Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (7. Mai 2021): Link
  • Alle Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts: Link
  • Deutsche Online-Plattform zur Meldung von Verdachtsfällen (PEI, Bfarm): Link
  • Meldepflichten laut Infektionsschutzgesetz: Link
  • Empfehlung der Ständigen Impfkommission zum Astrazeneca-Impfstoff (19. März 2021): Link
  • Produktinformationen der Impfstoffe: Biontech/Pfizer (Link), Moderna (Link), Astrazeneca (Link) und Johnson & Johnson (Link)