„Meldung erfolgt per Fax“: Warum in Deutschland niemand weiß, wie viele Geimpfte an Covid-19 erkranken
Der Kampf gegen das Coronavirus ist für Gesundheitsbehörden in Deutschland auch ein Kampf mit riesigen Datenmengen. Bei jedem 5. Menschen, der an Covid-19 erkrankt, ist dem Robert-Koch-Institut der Impfstatus nicht bekannt. Wie kann das sein? Unsere Recherche zeigt: komplizierte Strukturen und fehlende Digitalisierung beeinträchtigen die Pandemieüberwachung.
Die Zahl der Corona-Fälle in Deutschland steigt täglich. Die Debatten drehen sich oft um eine zentrale Frage: Wie viele ungeimpfte Menschen erkranken schwer an Covid-19 – und wie viele geimpfte? Auch wenn die meisten durch die Impfung gut vor einer Erkrankung und vor allem vor einem schweren Verlauf geschützt sind, gilt das doch nicht für alle. Um die Pandemielage einschätzen zu können, sind saubere und vollständige Daten nötig.
Das Wichtigste dabei: Informationen über den Impfstatus der Betroffenen müssen zuverlässig erfasst werden. Doch genau das geschieht nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck in Deutschland derzeit nicht.
Bei etwa 20 Prozent der Menschen, die an Covid-19 erkranken, ist dem RKI der Impfstatus nicht bekannt. Auf der Suche nach mehr Informationen haben wir rund 400 E-Mails an Gesundheitsämter und Landesministerien geschrieben. Dabei sind wir auf ein riesiges Datenchaos gestoßen. Es zeigt die Probleme des dezentralisierten Gesundheitssystems und wie Deutschland beim Thema Digitalisierung versagt.
„Die entsprechende Meldung erfolgt nicht elektronisch, sondern immer noch per Fax“, schreibt uns zum Beispiel das Gesundheitsamt Frankfurt am Main. Während inzwischen eine Generation junger Menschen erwachsen geworden ist, die noch nie ein Faxgerät gesehen hat, ist das die Realität in der Corona-Pandemie. Und es steht sinnbildlich für ein kompliziertes Meldesystem, das wie ein schwarzes Loch wichtige Daten verschluckt.
Monatelang wurden Personen trotz Impfung als Ungeimpfte gezählt
Über Monate hat das RKI alle an Covid-19 erkrankten Menschen, die nicht vollständig geimpft waren, in einen Topf geworfen. Sie alle wurden als „ungeimpft“ eingestuft. Darunter waren jedoch auch Personen, deren Impfstatus unbekannt ist. Die Schätzungen des RKI zur Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe wurden dadurch verzerrt.
Ende September änderte das RKI deshalb die Erfassungsmethode in seinen Wochenberichten. Das RKI definiert einen Impfdurchbruch als SARS-Cov-2-Infektion bei einer Person, die Symptome für eine Covid-19-Erkrankung zeigt. Neu ist seit Ende September: Symptomatische Covid-19-Fälle mit unbekanntem Impfstatus werden jetzt nicht mehr für die Schätzung der Impfeffektivität genutzt.
Es ist eine scheinbar kleine Änderung, die das RKI vorgenommen hat. Doch sie offenbart eine riesige Lücke in den Daten. Eine Lücke, die zum Beispiel saubere Berechnungen von Hospitalisierungsinzidenzen getrennt für Geimpfte und Ungeimpfte in Deutschland unmöglich macht.
Bei rund 20 Prozent der Covid-19-Fälle in Deutschland ist nichts über den Impfstatus bekannt
Denn der Anteil der an Covid-19 erkrankten Menschen, bei denen der Impfstatus unbekannt ist, ist beträchtlich. Im Wochenbericht des RKI vom 11. November heißt es zum Thema Impfeffektivität: „Da für einen Teil der Covid-19-Fälle die Angaben zum Impfstatus unvollständig sind, ist von einer Untererfassung der geimpften Covid-Fälle auszugehen. Ausreichende Angaben zum Impfstatus lagen für 81 Prozent der symptomatischen Covid-19-Fälle vor.“
Wir haben beim RKI nachgefragt, was über den restlichen Anteil bekannt ist. Eine Sprecherin schrieb uns dazu am 18. Oktober: „Bei Fällen mit nicht ausreichenden Angaben zum Impfstatus können wir nicht sagen, ob diese vollständig geimpft waren oder nicht. Theoretisch könnten diese alle geimpft sein (sehr unwahrscheinlich), sie könnten alle ungeimpft sein (ebenfalls sehr unwahrscheinlich), sehr viel wahrscheinlicher ist ein Teil geimpft und ein Teil ungeimpft.“
Für jeden 5. dem RKI gemeldeten symptomatischen Covid-19-Fall ist also völlig unklar, ob die Person vollständig geimpft, teilgeimpft oder ungeimpft ist.
Laut RKI-Pressesprecherin Susanne Glasmacher sind dafür fehlgeschlagene Ermittlungen oder fehlende Ressourcen der Gesundheitsämter und Kliniken verantwortlich. Also haben wir uns an die Gesundheitsämter gewandt.
Ministerium: Gesundheitsämter spielen eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Pandemie
Der Öffentliche Gesundheitsdienst in Deutschland spiele in der „erfolgreichen Bekämpfung“ der Pandemie eine „Schlüsselrolle“, schreibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf seiner Webseite. Deshalb habe man Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Melde- und Informationswege für Gesundheitsämter durch „prozesserleichternde, integrierte Software-Anwendungen“ zu erleichtern und zu digitalisieren. Doch unsere Recherche zeigt, dass dieses Vorhaben bislang an vielen Orten scheitert.
Gesundheitsämter sind die öffentlichen Gesundheitsdienste auf kommunaler Ebene, aktuell gibt es davon laut Heinrich-Böll-Stiftung 375 – etwas weniger als es Kreise und kreisfreie Städte gibt. Verwertbare Antworten haben wir von 62 kommunalen Gesundheitsämtern aus allen Bundesländern erhalten.
Neben den Gesundheitsämtern haben wir auch die zuständigen höheren Behörden der Bundesländer kontaktiert. Auf Ebene der Bundesländer gibt es keine einheitliche Regelung, wer zuständig ist für die Datenerfassung und -übermittlung rund um Covid-19-Fälle. Teilweise sind es die Landesgesundheitsämter, teilweise die Gesundheits- und Sozialministerien. Aus 11 von 16 Bundesländern erhielten wir Rückmeldungen von den zuständigen Landesbehörden. Alle E-Mail-Antworten können Sie hier einsehen.
Umfrage zeigt: Der Anteil von Fällen mit unbekanntem Impfstatus schwankt stark
38 kommunale Gesundheitsämter bestätigten uns, dass es Covid-19-Fälle mit unbekanntem Impfstatus gebe, zwei trafen keine klare Aussage. Neun Landesbehörden bestätigten Fälle mit unbekanntem Impfstatus, zwei drückten sich in ihren Antworten an uns nicht eindeutig aus.
Nicht alle nannten uns konkrete Zahlen, wie groß der Anteil der Fälle mit unbekanntem Impfstatus ist. Unser Versuch, die Datenlücke des RKI zu füllen, ist also gescheitert. Die Gesundheitsämter und Behörden lieferten uns teilweise Daten seit Februar oder Sommer 2021, manche auch nur für die letzten drei Wochen.
Aber es zeigt sich, dass die Datenlücke von Ort zu Ort unterschiedlich groß ist. Auf kommunaler Ebene berichteten uns einige Gesundheitsämter, es gäbe keine Fälle mit unbekanntem Impfstatus (zum Beispiel im Landkreis Wolfenbüttel, Schaumburg, Montabaur und Mainz-Bingen) oder ihr Anteil liege unter fünf Prozent (zum Beispiel in Charlottenburg-Wilmersdorf, Werra-Meißner-Kreis, Cuxhaven oder Celle). Andere berichteten von hohen Anteilen von 20 Prozent oder mehr (zum Beispiel Göttingen, Braunschweig, Rhein-Pfalz-Kreis, Chemnitz).
Auf Ebene der Bundesländer lag der Anteil der Covid-19-Fälle mit unbekanntem Impfstatus teilweise unter 15 Prozent (in Bayern und Schleswig-Holstein) Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz meldeten Anteile von rund 20 Prozent. Rund 26 Prozent waren es in Nordrhein-Westfalen, bis zu 30 Prozent in Hessen.
Bei den hospitalisierten Covid-19-Patientinnen und -Patienten schwankt der Anteil, deren Impfstatus nicht bekannt ist, zwischen rund 12 Prozent in Baden-Württemberg und rund 13 Prozent in Bayern, 14,5 Prozent in Nordrhein-Westfalen, 16 Prozent in Berlin und rund 20 Prozent in Hessen. Aus Brandenburg hieß es, für den Monat Oktober sei derzeit bei 33 Prozent der Impfstatus unbekannt, dieser Anteil könne sich aber durch Nachmeldungen noch verringern.
Woran liegt das? Wie kommt es zu diesen Unbekannten?
Der Meldeweg vom positiven PCR-Test bis zum RKI
Um zu verstehen, wo die Probleme mit den Daten herkommen, ist es wichtig, den Meldeweg zu kennen. Wird eine Person mit einem PCR-Test positiv auf Covid-19 getestet, müssen Labore und Ärzte den Fall mit Namen und Adresse binnen 24 Stunden an das zuständige Gesundheitsamt melden. Nicht immer werden dabei zusätzliche Daten wie die Schwere der Krankheit oder der Impfstatus mitgeliefert. Die Gesundheitsämter leiten die Daten weiter an die Landesbehörden, die sie dann spätestens am nächsten Arbeitstag an das RKI übermitteln (allerdings ohne Namen und Adressen).
Wird die infizierte Person schwer krank und kommt ins Krankenhaus, muss die Klinik den Fall ebenfalls an das zuständige Gesundheitsamt melden. Dieses fasst etwaige Mehrfachmeldungen einer Person zusammen, danach geht die Meldung wieder den beschriebenen Weg. Das RKI erfasst symptomatische Covid-19-Fälle von Geimpften als „Impfdurchbrüche“.
Erstes Problem: Covid-19-Fälle müssen täglich dem RKI gemeldet werden, so schnell könne der Impfstatus oft nicht ermittelt werden
Ein großes Problem bei der Datenerfassung sind Zeit und Ressourcen. Die Gesundheitsämter sind verpflichtet, tagesaktuell über neue Covid-19-Fälle an die Landesbehörden und diese wiederum an das RKI zu berichten. Doch gleichzeitig ist es häufig so schnell nicht möglich, auch den Impfstatus der Betroffenen zu ermitteln, wie uns zum Beispiel aus dem Landkreis Borken in NRW oder dem Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg berichtet wurde, wenn die betroffenen Personen beispielsweise telefonisch nicht erreicht werden können. Das gilt vor allem für nicht-hospitalisierte Covid-19-Fälle.
Aus Bautzen hieß es dazu: „Die Meldung ans RKI über unser Fachprogramm geht bereits ganz zu Anfang raus. Der Kontakt zum Bürger ist in der Regel später. Die dann gemachten Daten werden nachgeordnet als Änderung an das RKI gesandt. Damit ist hier keine tagaktuelle Übermittlung gewährleistet.“ Häufig sind also Nachmeldungen erforderlich, doch auch dann können nicht immer alle Daten ermittelt werden. Oder es fehlt schlichtweg an Ressourcen dafür, wie wir zum Beispiel aus Groß-Gerau in Hessen erfuhren:
Wir erfahren nicht von allen Infizierten, ob sie über vollständigen Impfschutz verfügen, weil wir nicht alle fragen können
schrieb uns Angelica Taubel, Pressesprecherin des Kreises. „Manchmal erhalten wir keine Telefonnummer, oder wir erreichen die betroffene Person unter der angegebenen Nummer nicht. Dann schreiben wir sie an. Wenn sie sich daraufhin nicht bei uns meldet, können wir keine Ermittlungen anstellen. Bei Überlastung der Teams schaffen wir es nicht, alle Infizierten telefonisch zu kontaktieren. Dann erhalten die Personen ebenfalls ein Schreiben mit allen Informationen, aber die Ermittlungen bleiben natürlich auf der Strecke.“
Zweites Problem: Menschen auf Intensivstationen können häufig keine Auskunft über ihren Covid-19-Impfstatus geben
Bei hospitalisierten Personen kann auch der gesundheitliche Zustand ein Grund für fehlende Daten zum Impfstatus sein, wie uns einige Gesundheitsämter erklärten. Liege ein Patient auf der Intensivstation und werde beatmet, sei ein direkter Kontakt nicht möglich und der Impfstatus zum Zeitpunkt der Fallerfassung nicht abrufbar, erklärten zum Beispiel der Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf oder der Schwarzwald-Baar-Kreis in Baden-Württemberg. Wenn dann zudem keine dritten Personen (zum Beispiel Angehörige) befragt werden könnten, bleibe der Impfstatus unklar, teilte der Werra-Meißner-Kreis in Hessen mit.
Manchmal seien Personen zwar ansprechbar, aber trotzdem nicht in der Lage, verlässliche Angaben über ihren Impfstatus zu geben. Das betreffe zum Beispiel alte oder geistig verwirrte Personen oder solche, bei denen es Sprachbarrieren gebe, hieß von verschiedenen Gesundheitsämtern. All das berichtete beispielsweise die Stadt Bielefeld in Nordrhein-Westfalen: „Angehörige sind auch nicht immer über den Impfstatus informiert. Teilweise existieren sprachliche Verständigungsprobleme, was dazu führen kann, dass die Patienten oder Angehörige nicht verstehen, welche Unterlagen eingereicht werden sollen…
Es passieren Fehler, die nicht immer ausgebügelt werden können.
Drittes Problem: Unklarheit über Auskunftspflicht von Covid-19-Infizierten zu ihrem Impfstatus
Ein weiteres Problem in Deutschland: Es scheint keine Einigkeit darüber zu geben, ob mit Covid-19-infizierte Personen Auskunft über ihren Impfstatus geben müssen oder nicht. Das Gesundheitsministerium Schleswig-Holstein schrieb uns: „Eine Auskunft über den Impfstatus ist freiwillig.“ Auch aus dem Kreis Schwalm-Eder in Hessen hieß es, niemand sei verpflichtet, persönliche Gesundheitsdaten bekannt zu geben. Und der Landkreis Gifhorn in Niedersachsen teilte mit, es obliege der jeweiligen Person, den eigenen Impfstatus mitzuteilen.
Aus dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte hingegen wurde uns mitgeteilt: „Grundsätzlich besteht eine Mitwirkungspflicht der Betroffenen, die auch durchgesetzt werden kann.“ Ähnlich hieß es aus dem Landkreis Celle in Niedersachsen: „Das Infektionsschutzgesetz lässt zu, dass zur Verhinderung der Weiterverbreitung einer übertragbaren Krankheit auch der Impfstatus abgefragt werden darf und Personen zur Auskunft verpflichtet sind.“
Wir haben beim Bundesgesundheitsministerium nachgefragt, wie es zu dieser Unklarheit über die Auskunftspflicht kommt, aber bislang keine Antwort auf diese Frage erhalten.
Viertes Problem: Unklarheit, ob Krankenhäuser den Impfstatus melden müssen
Für Krankenhäuser in Deutschland gibt es seit dem 12. Juli 2021 die Pflicht, hospitalisierte Covid-19-Fälle innerhalb von 24 Stunden mit Namen an das Gesundheitsamt zu melden. Diese Daten werden für die Berechnung der Hospitalisierungsinzidenz verwendet. Eigentlich soll dabei auch der Covid-19-Impfstatus und der verwendete Impfstoff der Person mitgeteilt werden. In der entsprechenden Verordnung der Bundesregierung steht das auch eindeutig.
Doch teilweise scheint es hierüber Unkenntnis zu geben. So heißt es aus dem Landkreis Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz per E-Mail an uns: „Die Krankenhäuser melden positive Fälle und Corona-bezogene stationäre Aufenthalte; es werden in der Regel keine Angaben zum Impfstatus gemacht. Die Krankenhäuser sind dazu auch nicht verpflichtet.“
Eine mögliche Lösung dieser Probleme könnte eine elektronische Patientenakte sein. Seit Januar 2021 gibt es in der Bundesrepublik die Möglichkeit, dass alle gesetzlich Versicherten eine solche Patientenakte über ihre Krankenkassen erhalten können. Sie speichert alle medizinischen Befunde und Informationen, auch über Impfdaten, und macht sie für Arztpraxen und Krankenhäuser abrufbar. Doch verpflichtend ist das nicht. Auch ein bundesweites Impfregister könnte helfen, das es beispielsweise in Schweden oder Dänemark gibt.
Fünftes Problem: Es gibt keine einheitliche Software – und Krankenhäuser melden routinemäßig noch per Fax
Das Meldeverfahren ist kompliziert und anfällig für technische und menschliche Fehler.
Die Kliniken können bisher in weiten Teilen nicht digital an die Gesundheitsämter melden, was ein Problem darstellt, wie uns beispielsweise das Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz mitteilte. Erst für Anfang 2022 sei hier eine digitale Lösung geplant. Mancherorts bedeutet das im Jahr 2021, wie in Frankfurt am Main: „Die entsprechende Meldung erfolgt (…) immer noch per Fax.“
Das RKI erklärt dazu auf seiner Webseite:
Der Meldeweg vom Arzt oder anderen Meldepflichtigen zum Gesundheitsamt läuft derzeit noch routinemäßig per Fax, selten per Telefon oder E-Mail.
Es werde derzeit daran gearbeitet, die Möglichkeit zur elektronischen Meldung für Krankenhäuser im Rahmen von DEMIS umzusetzen.
DEMIS steht für „Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz“. Seit Juni 2020 haben darüber Labore die Möglichkeit, Erregernachweise elektronisch – und nicht mehr via Fax – an die Gesundheitsämter zu melden. Seit Anfang 2021 ist dieser elektronische Meldeweg für Labore verpflichtend. Für Kliniken aber nicht.
Experte für Covid-19-Erfassungs-Software fordert einheitliche Regelungen
Auch für die Gesundheitsämter gibt es Softwares, die ihnen das Meldeverfahren erleichtern sollen. So wurde das Projekt „SORMAS@DEMIS“ unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und mit Beteiligung des RKI ins Leben gerufen. Sormas ist ein Programm zum Kontaktpersonen-Management von Covid-19-Fällen. Sormas soll laut BMG eine Schnittstelle für die anderen verwendeten Softwares sein. Sie soll die Gesundheitsämter bei der Erfassung von Daten und vor allem bei der Ermittlung von Kontaktketten unterstützen.
Aktuell haben nicht alle, sondern 347 Gesundheitsämter die Sormas-Software installiert. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass sie sie auch benutzen. Hinzu kommt, dass der Übermittlungsweg weiterhin kompliziert bleibt. Das Gesundheitsamt pflegt die Daten in Sormas ein. Doch aus Sormas fließen die Informationen nicht direkt an die Landesbehörden, sondern sie müssen über eine weitere Software namens Survnet laufen. Über dieses Programm, das vom RKI selbst zur Verfügung gestellt wird, erfolgt die Meldung an die Landesbehörden des Bundeslands und von dort an das RKI. Das begünstigt menschliche und technische Übertragungsfehler, wie wir zum Beispiel von den Gesundheitsämtern in Bremerhaven, Osterholz, Bielefeld oder dem Schwalm-Eder-Kreis hörten.
Das bestätigt auch Gérard Krause, Arzt und Leiter der Forschungsgruppe Epidemiologie am HZI und Leiter des Sormas-Projekts: „In Deutschland sind diverse digitale Systeme parallel im Einsatz, die eine Vielzahl von Schnittstellen erzeugen, die wiederum unter einer Pandemie zusätzlich laufend angepasst werden müssen, was die Anfälligkeit für Fehler erhöht.“
Corona-Pandemie offenbart Schwachstellen im System
Gérard Krause empfiehlt, dass der Übermittlungsweg der Daten vereinfacht wird:
Es bräuchte eine Änderung der gesetzlichen Regelung für ein System, in dem alle Gesundheitsbehörden zeitgleich entsprechend ihrer jeweiligen Zuständigkeit Zugriff erhalten.
Das könne den Zeitverzug verringern, die Datenqualität verbessern und den Bearbeitungsaufwand reduzieren.
Wir haben das Bundesgesundheitsministerium gefragt, warum es bislang keine einheitliche und einfachere Lösung für den Meldeweg gibt und ob es Pläne gibt, ein bundesweites Impfregister einzuführen. Doch wir haben bis zur Veröffentlichung dieses Textes keine Rückmeldung erhalten.
Die Corona-Pandemie offenbart die Schwachstellen des deutschen Gesundheitssystems – nicht nur den Personalmangel auf Intensivstationen und in Pflegeeinrichtungen, sondern auch die zu langsam vorangetriebene Digitalisierung.
All das ist auch ein Einfallstor für Desinformation und Zweifel an der Verlässlichkeit der Aussagen von Behörden und der Politik. Wenn nicht klar ist, wie viele Menschen genau mit und wie viele ohne Impfung an Covid-19 erkranken oder sterben, bietet das Raum für Spekulationen und Verschwörungserzählungen. Unter anderem von Impfgegnern, die behaupten, die Impfungen wirkten nicht. Und auch Politikerinnen und Politiker müssen auf Basis gesicherter, verlässlicher Daten Debatten führen, um glaubwürdig zu bleiben und die richtigen Entscheidungen treffen zu können.
Redigatur: Alice Echtermann, Tania Röttger