Faktencheck

Nein, es gibt keine Hinweise darauf, dass Covid-19-Impfungen eine Infektion verstärken können

Im Netz verbreitet sich eine Veröffentlichung, die angeblich beweisen soll, dass Geimpfte durch eine verstärkte Infektion gefährdet seien. Das ist laut Experten und dem Paul-Ehrlich-Institut jedoch falsch, die Veröffentlichung ist kein Beleg für die Behauptung.

von Matthias Bau

Titelbild_ADE
Aufnahme des Erregers Sars-CoV-2 (Symbolbild: Flickr / NIAID)
Behauptung
Eine Veröffentlichung im Journal of Infection zeige, dass Geimpfte einen verstärkten Infektionsverlauf riskieren würden.
Bewertung
Falsch. Die Veröffentlichung präsentiert lediglich Ergebnisse einer Computersimulation. Laut Experten und dem Paul-Ehrlich-Institut wurde bisher kein einziger Fall einer durch Antikörper verstärkten Infektion mit SARS-CoV-2 beobachtet.

„Studie bestätigt: Geimpfte riskieren deutlich verstärkten Infektionsverlauf!“ heißt es auf Facebook und verschiedenen Internetseiten (hier, hier und hier). Manche Seiten sprechen sogar von einem möglichen „Massensterben“ und auf Facebook wird behauptet, alle Geimpften weltweit seien gefährdet. Als Beleg für diese Falschbehauptung soll eine Veröffentlichung im Journal of Infection dienen.

Aus der Veröffentlichung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass Impfstoffe gegen Covid-19 sogenannte infektionsverstärkende Antikörper (Antibody-Dependent-Enhancement, ADE) hervorbringen könnten. Wie Peter Kremsner, Leiter des Instituts für Innere Medizin an der Universitätsklinik Tübingen, uns telefonisch erklärt, hat es bei vier Milliarden durchgeführten Impfungen keinen einzigen Fall von ADE gegeben. 

Ähnlich äußerte sich der Virologe Alexander Kekulé im MDR. Das Phänomen sei bei der Impfstoffentwicklung bekannt gewesen und ausführlich diskutiert worden. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das in Deutschland für die Überwachung von Impfstoffen zuständig ist, bezeichnet die Veröffentlichung als „unwissenschaftlich“ und „unseriös“.

Antikörper-Studie präsentiert Ergebnisse einer Computersimulation

Als Antibody-Dependent Enhancement bezeichnet man ein Phänomen, bei dem die Abwehrzellen des Körpers, die eigentlich vor Infektionen schützen sollen, genau das Gegenteil tun. Weil sie nicht richtig auf einen Erreger passen, gewähren sie diesem letztendlich Zutritt zu den Zellen, sodass er sich dort vermehren kann. 

Ob diese Möglichkeit auch durch die Bildung von Antikörpern bei einer Impfung gegen Covid-19 besteht, untersuchte eine französische Wissenschaftlerin zusammen mit zwei Kollegen anhand einer Computersimulation. Die Ergebnisse ihrer Simulation wurden im Journal of Infection veröffentlicht. In der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse schreiben sie: „ADE könnte bei Menschen auftreten, die sich mit der Delta-Variante des Coronavirus infizieren und zuvor eine Impfstoffvariante erhalten haben, die auf der Wuhan Spike-Protein-Sequenz basiert.“

Bisher kein einziger Fall von ADE bekannt

Genau an dieser Stelle liegt laut dem PEI, Alexander Kekulé und Peter Kremsner auch das Problem der Veröffentlichung: Sie basiere auf Annahmen und theoretischen Überlegungen, habe aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Es sei kein einziger Fall von ADE weltweit bekannt. 

Auf unsere Frage, ob die Veröffentlichung im Journal of Infection zeige, dass ADE tatsächlich eine reale Gefahr der aktuellen Impfstoffgeneration sei, antwortete etwa das PEI: „Die Schlussfolgerung der Publikation, dass Geimpfte einen verstärkten Infektionsverlauf riskieren, ist in dieser Form bestenfalls unwissenschaftlich, streng genommen unseriös.“ Die Veröffentlichung präsentiere lediglich „Hypothesen und Modelle“, nötig seien aber experimentelle Untersuchungen. „Aber Experimente wurden für diese Veröffentlichung ja gar nicht gemacht“, so das PEI weiter.

Das Institut habe die Problematik von ADE im Blick, es gebe jedoch keine Hinweise für das Auftreten von ADE nach einer Covid-19-Impfung. Das schreibt das Institut auch auf seiner Internetseite

Noch deutlicher wird Peter Kremsner von der Universitätsklinik Tübingen. Er erklärt uns telefonisch: ADE sei bei fast vier Milliarden durchgeführten Impfungen weltweit in keinem einzigen Fall beobachtet worden, auch nicht im Zusammenhang mit der Delta-Variante des Coronavirus. In der Veröffentlichung der französischen Forschenden sei lediglich mit „Annahmen“ ein Modell gemacht worden. In der Realität hätten sich diese Annahmen und die daraus abgeleiteten Vorhersagen jedoch nicht eingestellt. ADE sei nicht gänzlich auszuschließen, aber bisher sei es eher ein „Hirngespinst“.

Dem Virologen Alexander Kekulé zufolge ist ADE auch deshalb kein Problem der Impfstoffe, weil das Phänomen vom Beginn der Impfstoffentwicklung an diskutiert worden sei. So sagte er in seinem Podcast mit dem MDR (ab Minute 21:58): „Diese Angst oder diese Befürchtung, dass das bei den Covid-Vakzinen passieren könnte, stand bei den Leuten, die das entwickelt und verfolgt haben, von Anfang an im Raum. Alle haben da drauf geguckt […] Es ist nie beobachtet worden. […] Wir hatten alle die Befürchtung, dass es passieren könnte, die Antwort ist aber: Nein.“ 

Wir haben die Autorinnen und Autoren der Veröffentlichung per E-Mail kontaktiert und sie um eine Stellungnahme gebeten, bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks jedoch keine Antwort erhalten. Über angebliche Fehlfunktionen des Immunsystem durch Impfungen gegen Covid-19 haben wir bereits mehrfach berichtet (hier, hier und hier).  

Redigatur: Till Eckert, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Veröffentlichung im Journal of Infection „Infection-enhancing anti-SARS-CoV-2 antibodies recognize both the original Wuhan/D614G strain and Delta variants. A potential risk for mass vaccination?“: Link
  • Informationsseite des Paul-Ehrlich-Instituts „Was sind infektionsverstärkende Antikörper (ADE) und sind sie ein Problem?“: Link
  • Podcast des MDR mit dem Virologen Alexander Kekulé: Link