Tote Briefkästen: Wie sich Verbreiter von Hass oder Desinformation der Justiz entziehen können
Adressen in Uruguay, Montenegro oder Ungarn: Verbreiter von Falschinformationen oder Verschwörungstheorien betreiben ein Versteckspiel mit deutschen Behörden. Das Impressum, das eigentlich Transparenz schaffen soll, wird zur Hürde.
„Ich schütze damit einige Menschen, die Alternative Medien anbieten“, sagt Peter J.-B. Mit Lederweste und schütterem weißen Haar sitzt er 2019 zwei Reportern des Funk-Formats Y-Kollektiv in einem Restaurant in Uruguay gegenüber. Früher war Peter Lkw-Fahrer; aufgewachsen ist er in Rheinland-Pfalz. Dann wanderte er nach Uruguay aus, nannte sich „Uru-Guru“ und baute den DEURU-Impressumservice auf – ein Angebot, das Inhabern von Webseiten ein Impressum im Ausland verkauft. Wer es nutzt, versucht, die rechtliche Verantwortung für die veröffentlichten Inhalte zu umgehen und der deutschen Justiz zu entfliehen. Kostenfaktor: Ein paar wenige Euro im Monat. Die Adresse: Tacuarembo 1499, 11100 Montevideo / Uruguay.
Verschiedene deutsche Webseiten mit rechtskonservativer Ausrichtung, aus der Reichsbürger- oder Erotikszene, geben diese Adresse an. Vorfinden wird man die Inhaber dort aber wohl nicht. Peter J.-B. nennt das: „die einfachste Umgehung rechtlichen Unfugs“. Genutzt wird dieser Service vor allem von denen, die mutmaßlich etwas zu verbergen haben. Ein Beispiel ist das Contra Magazin; früher bekannt als verschwörungstheoretisches Medium, inzwischen ist es nicht mehr online.
Ein ausländisches Impressum nutzen auch Webseiten, die mit der Verbreitung von irreführenden Inhalten auffallen. Ein aktuelles Beispiel ist Reitschuster.de. Der Inhaber, der deutsche Journalist Boris Reitschuster, soll laut Impressum in Montenegro erreichbar sein. Von dort betreibe er „kritischen Journalismus, ohne ‘Haltung’, ohne Belehrung, ohne Ideologie“, so der Slogan. Während der Corona-Pandemie geriet er mit seinem Blog zunehmend in die Kritik. Er verbreitete zum Beispiel fälschlich, dass Ärzte Totenscheine fälschen würden, es keine Daten zum Impfstatus von Intensivpatienten gäbe oder laut einem Bericht „führender Gesundheitsexperten“ die Sterberate in Israel aufgrund der Impfungen stark gestiegen sei.
Das Impressum im Ausland – eine „Abmahnversicherung“?
Ein weiteres Beispiel: Die Seite Journalistenwatch wechselte zwischen Juni und Juli 2021 die Angaben im Impressum von Neutraubling in Bayern zu Lengyeltòti in Ungarn. Journalistenwatch ist ein Medium der Neuen Rechten und verbreitet nach unseren Recherchen seit Jahren Hetze und Desinformation, zum Beispiel dass Corona in Wahrheit die Grippe sei, oder dass es in Deutschland eine „Bevölkerungstransformation“ durch Migration gebe.
Der Service DEURU zeigt: Das Impressum im Ausland hat System. Dafür warb Peter J.-B. schon seit Jahren, die Begründung dafür ist auf seiner Webseite zu lesen: Wer ein Impressum bei ihm anmelde, gebe angeblich seine Verantwortung für den Webauftritt ab. Da die Bestimmungen des Telemediengesetzes für DEURU in Uruguay nicht gelten würden, könne ihn auch kein Anwalt belangen. Und weiter heißt es: „Es wird sich kein vernünftiger Rechtsanwalt finden, um in Südamerika wegen eines Verstoßes gegen ein deutsches Gesetz zu klagen.“ Es sei also quasi eine „Abmahnversicherung“, die Kunden bei ihm abschließen würden.
Webseitenbetreiber mit ausländischem Impressum können sich der deutschen Justiz entziehen
Das ist zwar zugespitzt und als juristischer Ratschlag fragwürdig, doch unsere Recherche zeigt: Tatsächlich können sich Webseitenbetreiber mit einem ausländischen Impressum der deutschen Justiz teilweise entziehen.
Wir haben mehrere Anwälte um eine Einschätzung gebeten und den Seitenbetreibern von Reitschuster.de und Journalistenwatch per Einschreiben einen Brief geschickt. Einmal nach Montenegro, einmal nach Ungarn, um zu prüfen, ob sie im Ausland erreichbar sind. Das ist wichtig im Fall eines möglichen Gerichtsverfahrens, denn die Gerichte schicken ihre Ladungen per Post an die Beschuldigten. Das Ergebnis unseres Tests: Die Briefe konnten offenbar nicht zugestellt werden.
In Deutschland können außerdem noch die Landesmedienanstalten kontrollierend eingreifen. Denn sie sind zuständig, die Einhaltung der Impressumspflicht und der journalistischen Sorgfaltspflichten in Rundfunk und im Web zu prüfen. Doch bei einem ausländischen Impressum fällt diese Zuständigkeit ebenfalls ins Ausland.
Ausländisches Impressum: Ein Schlupfloch der Justiz für Webseitenbetreiber, die potenziell rechtswidrige Inhalte veröffentlichen?
Generell gilt: Ein Blick auf das Impressum zu werfen, ist ein wichtiger Tipp, um einzuschätzen, ob eine Webseite seriös ist. In Deutschland ist es Pflicht, ein Impressum zu führen. Das diene dem Schutz der Nutzerinnen und Nutzer, schreibt die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg in ihrem Leitfaden zur Impressumspflicht im Internet.
Die Impressumspflicht ist im Telemediengesetz (Paragraph 5, Absatz 1) und im Medienstaatsvertrag (Paragraph 18, Absatz 1) verankert. Demnach müssen Webseiten, Blogs und Profile in Sozialen Netzwerken, die über eine rein private oder familiäre Nutzung hinausgehen, den Namen und eine Anschrift der Person im Impressum veröffentlichen, die für die Inhalte des Onlineangebots verantwortlich ist. Ein Verstoß kann mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro geahndet werden.
Wer einer Webseite begegnet, die sich mit ihren Inhalten an deutsches Publikum richtet, doch ein ausländisches Impressum führt, sollte misstrauisch werden. Verboten sei das aber nicht, erklärte Jonas Kahl, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. „Es reicht jedwede Anschrift, unter der man den Betreiber erreichen und gegebenenfalls auch gerichtlich vorladen kann.“
Die Erreichbarkeit ist der entscheidende Punkt. Oft schreiben Webseiten-Betreiber zwar eine Adresse in das Impressum, doch dort befindet sich in Wahrheit gar kein Büro oder Firmensitz, es ist eine Briefkastenadresse. Das zeigten zum Beispiel unsere Recherchen im September 2021 zu Medien in Österreich: Laut Impressum sollte die Redaktion des Portals Report24, das wiederholt Falschinformationen zur Pandemie verbreitete, damals in der Steingasse 6A in Linz zu finden sein. Vor Ort fanden wir aber nur leere Räume.
Wer gegen einen Webseitenbetreiber mit Impressum im Ausland klagen will, hat geringe Erfolgsaussichten
Das ist ein Problem, vor dem die deutsche Justiz steht, wenn es um die Strafverfolgung von rechtswidrigen Inhalten geht. Werden die Rechte Dritter verletzt, zum Beispiel durch eine beleidigende oder falsche Aussage über eine Person auf einer Webseite, können Betroffene beanspruchen, dass die Aussage gelöscht und künftig nicht nochmal verbreitet wird; oder Strafanzeige erstatten.
Nutzt der beschuldigte Webseitenbetreiber jedoch ein ausländisches Impressum, würden die Erfolgsaussichten des Verfahrens als eher gering und das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben, als eher hoch eingeschätzt, so das Urteil mehrerer Anwälte.
„Ein Impressum im Ausland bedeutet nicht zwingend, dass man sich der Rechtsdurchsetzung als Seitenbetreiber entziehen kann, aber man macht die Rechtsdurchsetzung maximal unattraktiv für denjenigen, der sie betreibt“ – Anwalt Jonas Kahl
Wie groß die Erfolgschancen einer Anzeige sind, hängt davon ab, ob an dem Fall ein öffentliches Interesse besteht. Die Staatsanwaltschaften konzentrieren sich bei ihren Ermittlungen „nicht auf das Impressum, sondern auf die tatsächlich handelnden Personen“ und ermitteln deren Identität und Aufenthalt unabhängig vom Impressum, schrieb uns die Generalstaatsanwaltschaft Rostock.
Zum Beispiel schildert uns die Hessische Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität einen Fall, in dem ein deutscher Webseitenbetreiber, dessen Seite auf einer russischen Domain gehostet wurde und kein Impressum aufwies, über die Einnahmen für Werbeanzeigen auf dieser Seite ermittelt werden konnte.
Wann ist eine Falschbehauptung rechtswidrig?
Liegt die Strafverfolgung nicht im öffentlichen Interesse, werde der Anzeigenerstatter jedoch regelmäßig auf den Privatklageweg verwiesen, schrieb uns ein Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Für die meisten Betroffenen bedeutet das den Schritt zum Anwalt und Kosten. „Das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben, ist sehr hoch“, wenn ein ausländisches Impressum vorliege, sagte Sebastian Dramburg, Anwalt für IT-Recht, Internetrecht, Urheber- und Wettbewerbsrecht. Eine Rechtsdurchsetzung gegen die angeklagte Person sei kaum lohnenswert. „Da verbrenne ich mir gar nicht die Finger dran – zu viele zivilprozessrechtliche Hürden und Zustellungsprobleme, die mein Prozessrisiko erhöhen“ – das ist laut Anwalt Jonas Kahl die Einstellung vieler bei einem solchen Fall.
Anwalt Christian Solmecke schreibt uns: Wenn ein Webseitenbetreiber tatsächlich nicht in Deutschland sitze, sei er damit zunächst der Staatsgewalt entzogen. „Im Strafrecht stellt sich dann zuerst die Frage, ob deutsches Strafrecht anwendbar ist. Dies dürfte jedoch bei Straftaten im Internet, die an deutsche Personen gerichtet waren, der Fall sein.“ Ob das Recht dann tatsächlich durchgesetzt werden kann, hänge davon ab, inwieweit der betreffende ausländische Staat bereit ist, zu kooperieren.
Wir erhalten keine Antwort auf Briefe an ausländische Adressen
Ob Boris Reitschuster, ehemaliger Korrespondent des Focus Magazins in Moskau, wirklich in Montenegro ist und unseren Brief erhalten hat, können wir abschließend nicht sagen. Eine Eingangsbestätigung haben wir, trotz Einschreiben, nicht erhalten. Auf Rückfrage per E-Mail, auch nach den Gründen seines Umzugs, antwortete Reitschuster nicht.
Bis zum Herbst 2021 gab Reitschuster im Impressum seines Blogs noch eine Adresse in Berlin an. Der Wechsel ins Ausland kostete ihn Ende 2021 seinen Platz in der Bundespressekonferenz, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete.
Nicht mehr als ein Briefkasten, wenn überhaupt, scheint sich auch in Lengyeltòti, Ungarn, zu befinden. Die Redaktion von Journalistenwatch hat auf unsere Anfrage ebenfalls nicht reagiert.
Manche Blog-Betreiber geben auch gar kein Impressum an
Bei unserer Recherche sind wir auch deutschen Webseiten begegnet, die überhaupt kein Impressum führen. Zum einen ist das der Blog Anti-Spiegel, der laut Eigenbeschreibung „das völlig unwahre Bild von Russland, das die Medien in Deutschland und im Westen verbreiten“, korrigieren möchte. Verantwortlich dafür zeigt sich der Sachbuchautor und Blogger Thomas Röper. Er schreibt: „Da ich in Russland lebe, unterliegt die Seite russischem Recht und in Russland gibt es keine Pflicht, ein Impressum zu haben.“
Wir haben den Anwalt Jonas Kahl um eine Einschätzung zu Anti-Spiegel gebeten. Er schrieb uns: „Es kommt nicht auf den Sitz des Anbieters an, sondern darauf, in welchem Land Verbraucherinteressen beeinträchtigt werden.“ Anti-Spiegel spreche gezielt ein deutsches Publikum an und müsse sich deshalb seiner Einschätzung nach an die Impressumspflicht halten.
Auch die Seite Anonymous News hat kein Impressum. Laut der Bundesregierung ist sie die Nachfolgerin des Facebook-Profils „Anonymous.Kollektiv“. Dabei handelte es sich um eine der größten Hetzseiten auf Facebook, wo sie seit dem 21. Mai 2016 nicht mehr erreichbar ist. Sie wurde mutmaßlich von dem Rechtsextremen Mario Rönsch betrieben, der im Dezember 2018 wegen Waffenhandels zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt wurde.
Aktuell zeigt sich für die Webseite Anonymous News offiziell niemand verantwortlich. Wer auf „Kontakt“ klickt, wird auf eine russische Domain geleitet. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine große russische Firma, bei der die Webseite (Domain) registriert ist. Der wahre Betreiber wird so verschleiert.
„Die Weiterleitung an eine russische Domain stellt kein taugliches Impressum dar. Impressumspflichtig ist der sogenannte Content-Provider (also der Anbieter der Inhalte, Anm. d. Red.), auch wenn er fremde Server nutzt“, erklärt Anwalt Jonas Kahl.
Landesmedienanstalten können nicht viel gegen Desinformation tun
In Deutschland sind die 14 Landesmedienanstalten dafür zuständig, das Einhalten der Impressumspflicht zu überwachen. Eine zentrale Statistik, wie oft es zu Verstößen gegen die Impressumspflicht kommt, gibt es nicht. Die Landesmedienanstalt Mecklenburg-Vorpommern meldete uns für das Jahr 2021 insgesamt 117 Fälle von unzureichenden oder fehlenden Impressen. Die Landesmedienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein prüfte im selben Jahr 107 Fälle.
Die Landesmedienanstalten werden auch aktiv, wenn ein redaktionelles Online-Angebot gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten verstößt, zum Beispiel bei keiner oder falscher Quellenangabe für eine angebliche Information. In diesem Fall kann die Landesmedienanstalt den Webseitenbetreiber zur Anpassung seines Beitrages auffordern und so im besten Fall die Verbreitung von Falschinformationen eindämmen.
Durch den Medienstaatsvertrag sei den Landesmedienanstalten vom Gesetzgeber ein erstes Mittel im Umgang mit Desinformationen an die Hand gegeben, schrieb uns Nele Nieuwenhuis, Sprecherin der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen. Darin ist in Paragraph 19 festgelegt, welche Angebote im Web den journalistischen Grundsätzen zu entsprechen haben. Der Gesetzgeber lasse aber offen, welche Angebote genau unter den Begriff „Online-Medien“ fallen und welche der „Online-Presse“ zuzuordnen sind. Für letztere, die sich auch dem Presserat anschließen und somit dem Pressekodex verpflichten können, seien die Landesmedienanstalten nicht zuständig. „Hier wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber – auch nach Auffassung der Landesmedienanstalten – dringend erforderlich“, so die Sprecherin.
Landesmedienanstalten verlieren ihre Zuständigkeit bei einem ausländischen Impressum
Grundsätzlich ist auch immer die Landesmedienanstalt zuständig, in deren Gebiet der Sitz des Anbieters fällt – der Blick richtet sich also ins Impressum der Webseite. Es liegt auf der Hand, was passiert, wenn sich der Inhalt an ein deutsches Publikum richtet, doch im Impressum eine ausländische Adresse steht: Auch wenn eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht vorliegt, sind die Landesmedienanstalten formal nicht zuständig.
Laut Nieuwenhuis haben die europäischen Medienregulierer in solchen Fällen Regeln für die Zusammenarbeit vereinbart; zuständige „Schwesterbehörden“ würden bei Verstoß gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten informiert. Doch der Umstand, dass die Medienanstalten nicht direkt tätig werden könnten, „macht es jedenfalls komplizierter“.
Peter J.-B. in Uruguay stand mit seinem Impressumservice auf der anderen Seite. Er wolle mit seinem Angebot Menschen schützen, sagte er. Vor allem in Deutschland würde die Regierung „unliebsame Meinungen zensieren“, behauptete er 2019 gegenüber den Reportern vom Y-Kollektiv. Und wo findet man dann glaubwürdige Fakten? Wenn man Peter fragte, nicht bei deutschen Medien: „Die Wahrheit kann dir nur dein Bauch sagen.“
Redigatur: Alice Echtermann, Uschi Jonas