Faktencheck

Klimawandel: Nein, diese Fotos der Freiheitsstatue widerlegen nicht den Anstieg des Meeresspiegels

Zwei Fotos sollen zeigen, dass der Meeresspiegel vor der Freiheitsstatue in New York seit 100 Jahren gleich geblieben ist. Doch als Beweis taugen die Aufnahmen nichts und ein deutlicher Anstieg ist durch andere Aufzeichnungen belegt.

von Max Bernhard

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Diese Fotos der Freiheitsstatue sollen zeigen, dass der Meeresspiegel in über 100 Jahren nicht angestiegen sei. Doch die Aufnahmen sind als Beweis unbrauchbar. (Quelle: Twitter; Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Zwei Fotos zeigten, dass der Meeresspiegel vor der Freiheitsstatue in New York in über 100 Jahren nicht gestiegen sei.
Bewertung
Falscher Kontext
Über diese Bewertung
Falscher Kontext. Die Fotos sind echt, aber für einen historischen Vergleich des Meeresspiegels sind sie Expertinnen und Experten zufolge unbrauchbar – alleine schon wegen der täglichen Ebbe- und Flut-Bewegungen in der New Yorker Bucht. Daten der US-Wetterbehörde NOAA belegen einen Meeresspiegelanstieg in New York von durchschnittlich 2,9 Millimeter pro Jahr, was einem Anstieg von rund 29 Zentimetern in den vergangenen 100 Jahren entspricht.

Zwei Fotos, die die Freiheitsstatue und Liberty Island vor New York zeigen – eines in Schwarzweiß, das andere in Farbe – werden in Sozialen Netzwerken geteilt. Dazu heißt es: „Zwischen den beiden Fotos liegen über 100 Jahre. Man kann den ständig steigenden Meeresspiegel sehr gut erkennen, oder nicht?“. Die Höhe des Meeresspiegels scheint sich auf den Bildern jedoch nicht zu unterscheiden. Die Collage verbreitet sich auf Facebook, Twitter und Telegram. Einer der Facebook-Beiträge wurde rund 32.000 Mal geteilt.

Für einen tatsächlichen Vergleich des Meeresspiegels sind die beiden Bilder jedoch unbrauchbar. Wissenschaftliche Messmethoden können die Veränderung des Meeresspiegels sehr genau darstellen und sie zeigen: In den vergangenen hundert Jahren ist er in der New Yorker Bucht deutlich gestiegen.

In Sozialen Netzwerken werden diese zwei Bilder der Freiheitsstatue geteilt. Sie sollen zeigen, dass der Meeresspiegel seit 100 Jahren nicht angestiegen sei – doch allein durch Ebbe und Flut wird der vermeintlich objektive Vergleich ad absurdum geführt. Und wissenschaftliche Messungen belegen einen deutlichen Anstieg. (Quelle: Twitter; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Bilder der Freiheitsstatue sind als Beweis unbrauchbar   

Über eine Bilder-Rückwärtssuche finden wir das Schwarzweißfoto auf der Webseite der Library of Congress, der Forschungsbibliothek des Kongresses der Vereinigten Staaten. Dort wird das Aufnahmejahr auf 1900 bis 1920 geschätzt. Wann das andere Bild aufgenommen wurde, konnten wir nicht herausfinden. Es ist seit mindestens 2019 im Netz zu finden.

So oder so können die beiden Aufnahmen jedoch nicht als Belege für oder gegen einen Meeresspiegelanstieg in der Bucht herhalten. Denn in der Upper New York Bay schwankt der Meeresspiegel aufgrund der Gezeiten täglich um etwa 1,5 Meter, wie Daten der Wasserlevel-Messstation „The Battery“ an der Südspitze Manhattans belegen.

Das erklärt auch Andrew Kemp, Professor an der Fakultät für Erd- und Klimawissenschaften der Tufts Universität in Massachusetts. Er forscht zu historischen Schwankungen des Meeresspiegels: „Ein großes Problem bei den Fotos ist, dass wir nicht genau wissen, wann sie aufgenommen wurden. […] Es macht einen großen Unterschied, ob ein Foto bei Flut oder bei Ebbe aufgenommen wurde“, schreibt er in einer E-Mail.

Die beiden Fotos vom Sockel der Freiheitsstatue seien als Beweis aber auch dann unbrauchbar wenn diese zum exakt gleichen Zeitpunkt im Gezeitenzyklus aufgenommen worden seien, und auch andere Faktoren wie Windgeschwindigkeit und -richtung und atmosphärischen Druck gleich wären, sagt Kristina Hill. Sie ist Professorin an der Universität von Kalifornien, Berkeley, und untersucht unter anderem, wie sich Städte und Küstenregionen an den steigenden Meeresspiegel anpassen können. „Der Vergleich zweier unkontrollierter Fotos von Gezeitenhöhen in New York City ist das Äquivalent dazu, dass ich Ihnen zwei Nachtfotos als Beweis dafür zeige, dass die Sonne nie aufgeht,“ schreibt sie in einer E-Mail.

Außerdem wäre es laut den beiden Wissenschaftlern schwierig, einen Anstieg in der Größenordnung von Zentimetern zu sehen, wenn das Vergleichsobjekt, die Freiheitsstatue fast 100 Meter hoch sei.

Unterschiedliche Messdaten belegen: Der Meeresspiegel ist seit 1900 deutlich angestiegen 

Anders als in den Beiträgen in den Sozialen Netzwerken suggeriert wird, ist der Meeresspiegel in der Bucht um die Freiheitsstatue deutlich angestiegen – das zeigen Daten der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten, NOAA.

Aufzeichnungen der US-Ozeanografiebehörde NOAA zeigen einen kontinuierlichen Anstieg des Meeresspiegels im Monatsmittel seit 1900, Angaben in Metern (Quelle: NOAA; Grafik: CORRECTIV.Faktencheck)

„Der beste Beweis für den Anstieg des Meeresspiegels ist der Gezeitenpegel an der Messstation The Battery. Sie misst seit 1856 regelmäßig die Höhe des Meeresspiegels. Zwischen 1856 und 2022 betrug die durchschnittliche Anstiegsrate 2,9 Millimeter pro Jahr“, schreibt Kemp. In den vergangenen rund 170 Jahren macht das also einen Anstieg von rund 50 Zentimetern. Bestätigt werde das auch durch Satellitenmessungen des Meeresspiegels, die es seit 1993 gibt. Auch aus geologischen Aufzeichnungen von Salzwiesen-Sedimenten in New York wurden Rückschlüsse auf den Anstieg geschlossen. Sedimente sind natürliche Klimaarchive (wie zum Beispiel auch Eisbohrkerne oder Baumringe). Sie liefern sogenannte Proxydaten aus denen die Forschung Veränderungen des Klimas und Folgen davon, wie den Anstieg des Meeresspiegels, rekonstruieren kann.

Der Anstieg des Meeresspiegels vor New York hat verschiedene Gründe

Laut einem Bericht des Gremiums zum Klimawandel der Stadt New York von 2019 ist der Anstieg des Meeresspiegels vor Ort im globalen Vergleich überdurchschnittlich hoch und hat verschiedene Gründe. New York City liege in einer Region, in der der Meeresspiegel überdurchschnittlich stark ansteigt. Das liegt zum Beispiel daran, dass sich Wasser mit zunehmender Erwärmung im Zuge des Klimawandels ausdehnt (die sogenannte thermische Ausdehnung). Zudem schmilzt das antarktische Eisschild immer mehr ab – das sind auch die beiden Hauptgründe für den Meeresspiegelanstieg an Küsten weltweit.

Es gibt noch einen weiteren Effekt: die sogenannte glaziale isostatische Anpassung, kurz GIA. Um die zu verstehen, müssen wir zurück in die letzte Eiszeit vor mehr als 10.000 Jahren. Damals bedeckten kilometerdicke Eisschichten einen Großteil der nördlichen Erdhalbkugel. Das übte eine enorme Kraft auf die Landmassen aus, die sich dadurch zusammendrückten, bewegten und verformten. Obwohl das Eis längst geschmolzen ist, hebt und senkt sich das Land, das sich einst unter und um das Eis herum befand, noch immer als Reaktion auf diese eiszeitliche Last. Das führt dazu, dass sich der relative Meeresspiegel in manchen Regionen hebt oder senkt – unabhängig von der Klimaerwärmung. Global betrachtet führt dieser Effekt zu einer leichten Reduktion des relativen Meeresspiegelanstiegs – in New York macht er dagegen fast die Hälfte des gemessenen Anstiegs aus, weil sich die Landmassen der Stadt durch diesen Effekt absenken.

Eine im Mai 2023 veröffentlichte Studie geht außerdem davon aus, dass auch das enorme Gewicht der Wolkenkratzer zusätzlich zum Absinken beiträgt. Der Meeresspiegel steigt also, während die Stadt sinkt – dadurch verstärkt sich der relative Anstieg des Meeresspiegels.

Deshalb würde es auch ohne den derzeitigen Klimawandel zu einem relativen Anstieg des Meeresspiegels in New York kommen, sagt Kemp. „Wer also behauptet, es habe keinen Anstieg gegeben, leugnet nicht nur den jüngsten Klimawandel, sondern auch die geophysikalische Wirkung der glazialen isostatischen Anpassung“, so Kemp.

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • NOAA-Daten zur Meeresspiegel-Entwicklung der Messstation The Battery: Link (archiviert, Englisch)
  • Bericht des Gremiums zum Klimawandel der Stadt New York von 2019: Link (archiviert, Englisch)

Redigatur: Uschi Jonas, Steffen Kutzner