Coronavirus: Irreführendes Youtube-Video verbreitet sich über Whatsapp
Ein alarmierendes Youtube-Video über das Coronavirus in China geht derzeit viral, es wird auch über Whatsapp verbreitet. Viele der Behauptungen sind übertrieben oder falsch und führen deshalb in die Irre.
Einige der Informationen im Text können bereits veraltet sein, weil sie den Stand vom 28. Januar 2020 abdecken. Aktuellere Infos schreiben wir in Updates unter den Text.
„Die Corona-Pandemie ist weitaus schlimmer als man euch glauben machen will. Sie ist viel, viel, viel schlimmer“, leitet ein Sprecher in ein rund zehnminütiges Video ein, das am 23. Januar auf dem Kanal „Odysseus“ veröffentlicht wurde und mittlerweile über 530.000 Mal aufgerufen wurde. Es wird derzeit offenbar stark über Whatsapp verbreitet, Leser haben es uns mit der Bitte um Überprüfung geschickt.
Im Video sind verschiedene Bilder und Videos zu sehen, angeblich aus dem chinesischen Wuhan. Ein Sprecher berichtet dazu in alarmierendem Tonfall von der angeblich katastrophalen Lage in der Stadt durch den Ausbruch des Coronavirus. Wir haben seine Aussagen und stichprobenartig einige der gezeigten Bilder überprüft. Viele der Behauptungen sind unbelegt oder irreführend.
Hintergrund ist der Ausbruch eines neuen Coronavirus in Wuhan
Hintergrund des Videos ist der Ausbruch eines neuen Coronavirus (Fachbegriff: 2019-nCoV) im Dezember 2019 im chinesischen Wuhan. Wie das Auswärtige Amt mitteilt, handele es sich um eine neuartige Lungenerkrankung, die sich in andere Länder ausbreitet (PDF).
Seit dem 23. Januar steht die Provinz laut Auswärtigem Amt unter Quarantäne, es seien von den chinesischen Behörden „Reisebeschränkungen in der Stadt Wuhan und anderen Städten in der Provinz Hubei erlassen“ worden. Eine Ausreise mit Zug, Flug, Bus oder Fähre sei derzeit nicht möglich. Das Auswärtige Amt rät aktuell von „nicht notwendigen Reisen“ in die Provinz Hubei in China ab (eine sogenannte Teilreisewarnung). Nicht erforderliche Reisen nach China sollten nach Möglichkeit verschoben werden.
Gibt es wirklich eine „Pandemie“ des neuen Coronavirus?
Schon im Titel des „Odysseus“-Videos steht, es gebe eine „Corona-Pandemie“. Das ist übertrieben. Von einem „Ausbruch“ einer Krankheit spricht man laut Robert-Koch-Institut, wenn „die Anzahl von Personen mit einer bestimmten Infektionskrankheit in einer bestimmten Region und/oder einem bestimmten Zeitraum die erwartete Anzahl dieser Erkrankungen übersteigt“. Das ist laut WHO beim neuen Coronavirus der Fall, sie nennt die Situation „Ausbruch“ und spricht von einer „sich entwickelnden epidemischen Situation“.
Von einer Epidemie spricht man laut dem schweizerischen Bundesamt für Gesundheit, wenn „wenn eine Infektionskrankheit stark gehäuft, örtlich und zeitlich begrenzt auftritt“.
Und bei einer Pandemie handelt es sich laut Robert-Koch-Institut um „eine weltweite Epidemie“. Diese Situation ist nach den bisherigen Angaben der WHO zum Coronavirus bislang aber nicht eingetroffen. So wurde bislang kein internationaler Gesundheitsnotstand ausgerufen. Nach Ansicht einiger Mitglieder des Notfallkomittees der WHO, das am 22. Januar tagte, sei es dafür „zu früh“. Es gebe jedoch innerhalb des Komitees unterschiedliche Ansichten dazu.
Der Virologe Christian Dorsten von der Charité Berlin sagte im Interview mit der Tagesschau am 22. Januar auf die Frage, ob es zu einer Pandemie kommen könnte: „Wir haben die Erkrankung jetzt rein formal auf mehr als einem Kontinent, nur lässt sich das in diesem Fall ja an eine klare Reisegeschichte koppeln. Deswegen sind wir längst noch nicht bei einer Pandemie.“
Neuer Coronavirus gefährlicher als SARS-Virus?
Im Video von „Odysseus“ wird ab Minute 0:40 behauptet, das neue Coronavirus sei eine mutierte Form des SARS-Virus und viel gefährlicher. Die Behauptung ist unbelegt. Eine Prognose ist nicht möglich, da sich die Zahlen zu Erkrankten und Todesopfern jeden Tag verändern. Nach bisherigem Stand sagen jedoch Experten laut der chinesischen Regierung, das neue Virus sei weniger tödlich als SARS.
SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) ist wie das neue Virus ein Coronavirus. Laut Science Media Center sind beide genetisch verwandt, die Ähnlichkeit beträgt etwa 70 Prozent. SARS und eine andere Virenart namens MERS (Middle East Respiratory Syndrome) hätten ihren Ursprung in Fledermäusen und seien auf Märkten durch Zibetkatzen beziehungsweise Dromedare auf Menschen übertragen worden. Auch bei dem neuen Coronavirus gibt es nach CORRECTIV-Recherchen Hinweise, wenn auch keine Belege, dass sich einige Menschen in einem Markt in Wuhan ansteckten, dem Huanan Seafood Market, auf dem auch exotische Tiere verkauft wurden.
Laut WHO wurde das SARS-Virus Anfang 2003 in China entdeckt. Insgesamt seien von November 2002 bis Juli 2003 8.096 Fälle weltweit bekannt geworden. Davon seien 774 Menschen gestorben (PDF, Seite 6). Das entspreche einer Sterblichkeitsrate von 9,6 Prozent. In Verbindung mit dem MERS-Virus gab es weltweit seit 2012 laut WHO 858 Todesfälle, bei 2.494 bestätigten Infektionen (34,4 Prozent Sterblichkeitsrate).
Für das neue Coronavirus meldet die chinesische Gesundheitsbehörde aktuell 4.515 bestätigte Fälle und 106 Todesopfer (Stand 28. Januar). Außerhalb Chinas sind laut WHO bisher 37 Fälle bestätigt (Stand 27. Januar).
Bisher vor allem ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen von neuem Virus betroffen
„Todesfälle traten allerdings bisher vor allem bei Patienten auf, die bereits zuvor an schweren Grunderkrankungen litten“, schreibt das Robert-Koch-Institut. Auch in einer Studie, die am 24 Januar im Journal The Lancet veröffentlicht wurde, steht, dass von den ersten 41 Patienten 13 eine Vorerkrankung wie Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen hatten. Sechs der 41 seien gestorben. Das Durchschnittsalter aller 41 Patienten sei 49 Jahre.
WHO-Experte David Heymann sagte uns am Telefon, nach aktuellem Wissensstand sei das neue Coronavirus nicht so tödlich wie das SARS-Virus. An SARS seien Menschen aller Altersgruppen gestorben, bei dem neuen Virus seien es bisher vor allem ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes.
Ähnliches sagte in einer offiziellen Pressekonferenz der chinesischen Regierung am 22. Januar Zhong Nanshan, ein Experte, der laut Medienberichten 2003 maßgeblich zu der Erforschung des SARS-Virus 2003 beitrug: „Es ist nicht so ansteckend und virulent wie SARS. Ich denke, es gibt einen Unterschied zwischen dem neuen Coronavirus und SARS bezüglich der Schwere und Ausbreitung der Krankheit.“
Die Inkubationszeit kann kürzer als 14 Tage sein und es tritt fast immer Fieber auf
Im Video wird behauptet, die Inkubationszeit für das Virus betrage 14 Tage und es müsse kein Fieber auftreten. Das mache das Virus besonders gefährlich, weil eine Infektion spät erkannt werde. Das ist größtenteils falsch. Die Inkubationszeit kann viel kürzer als 14 Tage sein. Außerdem scheint Fieber fast immer aufzutreten. In einem Kommentar zu den Forschungsergebnissen im Journals The Lancet schreibt David Heymann, die Studien zeichneten das Bild eines Virus mit drei bis sechs Tagen Inkubationszeit, das Fieber, Husten und Muskelschmerzen auslöse, teilweise auch Durchfall und Kurzatmigkeit.
Das Robert-Koch-Institut spricht von „bis zu 14 Tagen“ Inkubationszeit, die WHO nennt jedoch nach neueren Schätzungen (Stand 27. Januar) zwei bis zehn Tage.
In der Studie in The Lancet wurde außerdem festgestellt, dass fast alle der ersten 41 Patienten Fieber hatten (98 Prozent). Die anderen häufigen Symptome waren Husten (76 Prozent) und Muskelschmerzen oder Erschöpfung (44 Prozent). Von juckendem, rotem Hautausschlag mit schwarzen Punkten, der in dem „Odysseus“-Video erwähnt wird, ist nirgends die Rede. In einem Interview mit der Tagesschau sagte der Virologe Hartmut Hengel, er habe noch nie von solchen Symptomen gehört, auch nicht bei SARS.
Ist wirklich keine Heilung möglich?
Es wird im „Odysseus“-Video zudem behauptet, Ärzte könnten betroffenen Menschen nicht helfen, der Virus könne nur „mit eigener Körperkraft besiegt“ werden (Minute 05:19). Das ist größtenteils richtig, allerdings wird hier ebenfalls die Situation dramatisiert.
In der Studie, die auf The Lancet veröffentlicht wurde, schreiben die Forscher: „Keine antivirale Behandlung der Coronavirus-Infektion hat sich als wirksam erwiesen.“ Und: „Da es sich bei 2019-nCoV um ein neu entstehendes Virus handelt, wurde bisher keine wirksame Behandlung für Krankheiten entwickelt, die auf dieses Virus zurückzuführen sind.“
In einem Erklärvideo der WHO sagt eine Sprecherin: „Es gibt keine spezifischen Behandlungsmöglichkeiten für Coronaviren, aber die Symptome können behandelt werden.“ In Wuhan wird derzeit laut chinesischen Medien ein Krankenhaus mit 1.000 Betten für Corona-Patienten gebaut, das am 3. Februar eröffnet werden soll. Laut Medienberichten suchen Forscher derzeit nach einem Impfstoff.
Haben Ärzte schon am 12. Januar geraten, die Stadt Wuhan abzuriegeln?
Im „Odysseus“-Video wird ab Minute 02:30 behauptet, schon am 12. Januar hätten „Ärzte empfohlen, die Stadt Wuhan abzuriegeln, weil die Situation völlig außer Kontrolle“ sei. Dazu konnten wir mit Google-Suchen nach „doctors warning Wuhan“ und „Wuhan quarantine“ am 12. Januar keine Meldung finden. Die Behauptung ist unbelegt.
Die WHO schrieb am 12. Januar in einer Mitteilung: „Die WHO rät von jeglichen Reise- oder Handelsbeschränkungen auf China auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Informationen über die Situation ab.“
Kippen Menschen auf offener Straße um?
Das „Odysseus-Video“ zeigt ab Minute 08:00 außerdem Fotos und Videos, auf denen Menschen auf dem Boden liegen, teilweise blutend. Sie stammen angeblich aus Wuhan und sollen Menschen zeigen, die am Coronavirus erkrankt sind. Im Video wird dazu behauptet, Menschen würden auf offener Straße „einfach umkippen“.
Wir haben einige dieser Videos stichprobenartig überprüft, konnten jedoch nicht verifizieren, ob sie tatsächlich aus Wuhan stammen und mit dem Coronavirus in Zusammenhang stehen. Einige von ihnen wurden in Boulevardmedien aufgegriffen oder in Blogbeiträgen verlinkt und zumindest am 23. Januar hochgeladen. Mehr können wir aktuell nicht zu den Videos sagen.
Berichten die Medien nicht über das Coronavirus?
An mehreren Stellen im „Odysseus“-Video wird behauptet, konventionelle deutsche Medien würden nicht oder nicht ausreichend über das Coronavirus berichten oder wichtige Informationen verschweigen. Das stimmt nicht. Deutsche Medien berichten mindestens seit dem 6. Januar regelmäßig über das Coronavirus, unter den ersten Medien war nach einer Google-Suche die Deutsche Welle (6. Januar) und Focus Online (7. Januar).
Auch die Behauptung, die Medien würden „die wirkliche Gefahr“ und die Quarantäne verschweigen oder die Lage in der Region Hubei herunterspielen, stimmt nicht. Die Tagesschau berichtete etwa schon am 23. Januar, als das „Odysseus“-Video hochgeladen wurde, über die Quarantäne, die Abriegelung von Wuhan sei „beispiellos“.
Auch die Frage, wie gefährlich das Virus ist, wird von Medien thematisiert. Die Tagesschau befragte dazu den Virologen Christian Dorsten von der Charité Berlin, das ZDF-Morgenmagazin Lothar Wieler, den Präsidenten des Robert-Koch-Instituts.
Handlungsempfehlungen – öffentliche Plätze meiden?
Im „Odysseus“-Video gibt der Sprecher ab Minute 06:40 verschiedene Handlungsempfehlungen. Er sagt zum Beispiel, man sollte Menschenansammlungen vermeiden. Alle Menschen, die aus Asien einreisen würden, könnten potenzielle Überträger sein. Diese Empfehlungen werden durch die des Auswärtigen Amts und der WHO so nicht bestätigt. Sie empfehlen vor allem,
- gut auf Hygiene sowie Husten- und Niesetikette zu achten,
- Kontakt mit Personen zu vermeiden, die an Atemwegserkrangungen leiden,
- Märkte zu vermeiden, auf denen tote Tiere verkauft werden,
- Kontakt mit wilden Tieren zu vermeiden,
- bei Fieber, Husten oder Atemschwierigkeiten einen Arzt aufzusuchen.
Das Robert-Koch-Institut schätzt die Möglichkeit einer Ausbreitung in Deutschland derzeit als gering ein, weist aber darauf hin, dass einzelne Fälle auftreten können. Es gibt bisher einen bestätigten Fall – in Bayern. Das European Center for Disease Control and Prevention schätzt das Risiko einer Ausbreitung in Europa als moderat ein. Für weltweit auftretende Fälle schätzt die WHO das Risiko derzeit als hoch ein (Stand 27. Januar).
Fazit
Das neue Coronavirus beschäftigt derzeit Forscher, Experten und offizielle Stellen weltweit, internationale und nationale Organisationen informieren fast täglich über den neuesten Stand. Vieles zum Ausbruch des Virus ist noch nicht geklärt oder belegbar.
Die Behauptung im „Odysseus“-Video, der Kanal habe geheime, exklusive Informationen zu der Gefahr durch das Virus, lässt sich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Es verbreitet auf dramatisierende Weise unbelegte, irreführende und falsche Behauptungen.
Update, 31. Januar 2020:
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am 30. Januar eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ ausgerufen. Diese Maßnahme kann sie ergreifen, wenn sie mehrere Länder von einer Epidemie bedroht sieht und eine koordinierte internationale Antwort für erforderlich hält.
Außerdem: Die Zahl der infizierten Menschen und Todesfälle verändert sich derzeit jeden Tag. Die Johns-Hopkins-University (US) hat ein Datenportal erstellt, in dem jeweils ein aktueller Stand aus den Daten der WHO, Gesundheitsbehörden in Europa, USA und China sowie der chinesischen Mediziner-Plattform DXY zu finden ist.