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Nein, Flüchtlinge haben in Augsburg kein Kleinkind „zusammengetreten”

Die Webseite Halle Leaks behauptet in einem alten Text, eine große Gruppe Syrer habe in einem Nachtbus in Augsburg ein Kleinkind „zusammengetreten”. Das ist falsch. Zwar gab es einen Vorfall in dem Bus, der lief aber wesentlich weniger dramatisch ab.

von Lea Weinmann

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Wurde in einem Augsburger Nachtbus ein Kleinkind „zusammengetreten“? Die Webseite Halle Leaks behauptet das, die Polizei widerspricht. (Foto: Raimund Kutter / picture alliance)
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Größtenteils falsch. Zwar gab es an diesem Abend einen Vorfall in dem Nachtbus, die Darstellung im Artikel dramatisiert diesen aber.

Eine große Gruppe syrischer Flüchtlinge soll in einem Nachtbus in Augsburg massiv aneinandergeraten und dabei ein Kleinkind „zusammengetreten” haben. So lautet die Behauptung in einem Text auf der Seite Halle Leaks, der schon am 28. Dezember 2016 veröffentlicht wurde und derzeit wieder vermehrt auf Facebook geteilt wird (insgesamt mehr als 15.000 Mal).

Flüchtlinge sollen in einem Bus ein Kleinkind „zusammengetreten” haben, heißt es in der Meldung, die schon vor mehr als drei Jahren veröffentlicht wurde. (Quelle: Halle Leaks, Screenshot: CORRECTIV)

Laut Halle Leaks sollen im Dezember 2016 gegen 21 Uhr „etwa 20 Männer“ syrischer Herkunft in einen Bus am Rathausplatz in Augsburg eingestiegen sein. Im Bus habe sich ein „Streitgespräch“ entwickelt, das „im weiteren Verlauf völlig ausartete“. 

Der Text zitiert im Folgenden ausführlich die Beschreibungen eines angeblichen Fahrgastes, der das Geschehen beobachtet haben soll und es im Nachgang dramatisch beschreibt.

Der im Text zitierte angebliche Zeuge beschreibt den Vorfall im Nachgang sehr dramatisch. (Screenshot: CORRECTIV)

Auch die Frau des Zeugen sei bei der Auseinandersetzung „durch Schläge mit einem Gürtel an der Schulter und im Halsbereich verletzt“ worden, wird der Mann zitiert. Als Quelle führt Halle Leaks die Augsburger Allgemeine (kostenpflichtig) sowie die Stadtzeitung Augsburg auf. Die Aussagen des Zeugen finden sich in einem Artikel auf der Webseite der Stadtzeitung Augsburg im selben Wortlaut wieder.

Unsere Recherche zeigt: Den Vorfall gab es. Seine Darstellung auf der Webseite ist allerdings in großen Teilen falsch.

Es wurde laut Polizei kein Kleinkind „zusammengetreten“

CORRECTIV hat beim zuständigen Polizeipräsidium Schwaben-Nord nachgefragt. Tatsächlich kam es nach Angaben der Behörde am ersten Weihnachtsfeiertag, 25. Dezember 2016, zu einem Vorfall in einem Nachtbus. In einer Pressemeldung vom 27. Dezember 2016 schilderte die Polizei „Handgreiflichkeiten unter mehreren Personen“. Der Streit sei zwischen einem syrischen Ehepaar, das mit zwei kleinen Kindern unterwegs war, und einer Gruppe syrischer Männer ausgebrochen, „vermutlich aufgrund eines im Bus abgestellten Kinderwagens“. Als der Bus anhielt, verlagerte sich der Streit auf die Straße.

Bei der Auseinandersetzung erlitten mehrere Beteiligte und auch ein eineinhalbjähriges Kind Verletzungen, teilte die Polizei weiter mit. Das Kind sei durch Rettungskräfte erstversorgt worden, musste aber nicht in die Klinik. Die Pressemitteilung ist online nicht mehr verfügbar; die Polizei hat sie CORRECTIV auf Nachfrage per E-Mail zugeschickt.

Der Fall lief laut Polizei allerdings bei weitem nicht so dramatisch ab, wie in dem Text geschildert wird. Speziell der Titel „Flüchtlinge treten Kleinkind zusammen. Notarzt muss erstversorgen“ ist falsch. Wie die Polizei mitteilt, waren an dem Abend nur Rettungssanitäter, aber kein Notarzt anwesend.

Die vollständige Pressemitteilung, die die Polizei am 27. Dezember 2016 veröffentlicht hatte. (Screenshot: CORRECTIV)

In einer gesonderten Stellungnahme der Polizei an CORRECTIV am 5. Februar 2020 ordnet sie außerdem die Aussagen des Zeugen nachträglich ein. Die „sehr emotionalen Angaben“, die der Zeuge zunächst über Facebook verbreitet habe, seien von ihm in der polizeilichen Vernehmung „deutlich relativiert“ worden, schreibt Pressesprecher Siegfried Hartmann.

„Insbesondere die von ihm auf FB getätigte Aussage ‘Einer der Täter sprang mit der Sohle voraus in den Kinderwagen, in dem ein Baby schlief und hat diesem mit voller Breitseite ins Gesicht gestampft’ kann nach Sichtung der Videoaufzeichnung des Busses so nicht bestätigt werden“, teilt der Beamte CORRECTIV per E-Mail mit.

Offenbar habe sich ein Mann an den Haltestangen des Busses nach vorne hangeln wollen, holte zum Absprung aus und traf den Kinderwagen dabei mit dem Fuß. Der Wagen wurde dabei verschoben, der Säugling blieb aber unverletzt, sagt die Polizei.

Das zweite, eineinhalbjährige Kind trug „im Bereich der Mundwinkel leicht blutende Verletzungen“ davon. Woher diese stammen, „konnte letztlich nicht mehr geklärt werden“. Von „zusammentreten“ kann also nicht die Rede sein.

Auszug aus der Stellungnahme der Polizei an CORRECTIV vom 5. Februar 2020. (Screenshot: CORRECTIV)

Auch handelte es sich nicht – wie im Text behauptet – um „etwa 20 Männer“, sondern um eine insgesamt neunköpfige Gruppe Syrer sowie das syrische Paar mit den beiden Kindern. Nicht alle Mitglieder der Gruppe seien an dem Streit beteiligt gewesen.

Die Behauptung, auch die Sanitäter seien von den Tätern „attackiert“ worden, ist polizeilich ebenfalls nicht belegt. Sie hatten sich „vielmehr vorsorglich aus dem Gefahrenbereich zum Rettungswagen zurückgezogen“. 

Dass die Ehefrau des Zeugen bei der Auseinandersetzung leicht verletzt wurde, konnte die Polizei bestätigen. Sie sei von dem Vater der Kinder „unabsichtlich mit einem Gürtel im Schulterbereich getroffen“ worden, als dieser sich „schützend vor seine Familie stellte“ und auf mindestens ein Mitglied der Männer-Gruppe mit dem Gürtel einschlug. Die Frau trug eine „Prellung bzw. Hämatome“ davon. Der Vater hat sich laut Polizei hinterher bei ihr entschuldigt.

Geldstrafe gegen den Vater der Kinder verhängt

Das Verfahren gegen die Beteiligten ist seit September 2018 abgeschlossen, teilt die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg uns per E-Mail mit. Sieben Verfahren wurden demnach eingestellt, da der Tathergang „in weiten Teilen wegen konträrer Aussagen“ nicht mehr rekonstruiert werden konnte und „zum Teil erforderliche Strafanträge fehlten“. Der Vater der beiden Kinder wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.350 Euro verurteilt, heißt es von der Staatsanwaltschaft abschließend.