Politik

Zockt die Stadt Dortmund Obdachlose ab und verdient so 8.000 Euro am Tag? Nein.

Aber die Stadt verteilt Strafzettel an Obdachlose. Was dahinter steckt, erklären wir im Faktencheck.

von Cristina Helberg

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Die Stadt Dortmund verhängt Bußgelder gegen Obdachlose. (Symbolbild: Martin Adams/ Unsplash)
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Teilweise falsch. Die Stadt Dortmund verhängt Bußgelder gegen Obdachlose. Sie macht damit aber keine 8.000 Euro Gewinn am Tag.

Im Februar 2018 sorgte eine Schlagzeile der Ruhrnachrichten bundesweit für Aufsehen. „Knöllchen für die Nacht auf Dortmunds Straßen” stand dort. In dem Artikel berichtete die Zeitung über die Praxis der Stadt Dortmund, von Obdachlosen Bußgelder zu verlangen, wenn sie draußen übernachten. Seitdem haben verschiedene Zeitungen und Blogs das Thema aufgegriffen. Aktuell verbreitet sich in Sozialen Netzwerken wieder ein Bild mit mehreren Behauptungen zu dem Thema. Was stimmt?

Konkret werden auf dem Bild drei Behauptungen aufgestellt. Wir haben zu jeder Behauptung die Stadt Dortmund und den gemeinnützigen Verein bodo e.V. aus Dortmund befragt, der Wohnungslose unterstützt.  

Screenshot Facebook

1. Behauptung: Obdachlose müssen 20 Euro Strafe pro Tag zahlen, wenn sie beim draußen schlafen erwischt werden

Die Stadt Dortmund bestätigt gegenüber CORRECTIV, dass sie Verwarngelder in Höhe von 20 Euro verhängt. Damit reagiere sie auf die Beschwerden von Anwohnern und Gewerbetreibenden. Grund sei, dass „Menschen in den Haus- oder Geschäftseingängen übernachten, urinieren und ihre Notdurft verrichten”. Die Stadt betont, das Verwarngeld werde nicht pro Tag fällig, sondern dann, wenn es ausgesprochen werde. Nicht immer komme es sofort zu einer Geldstrafe. Zunächst versuche man immer die Personen aufzuklären.

Auch der Verein bodo e.V. bestätigt uns, dass die Stadt den 7. Paragraphen der Ordnungsbehördlichen Verordnung durchsetze, der das Lagern, Campieren und Übernachten im öffentlichen Raum untersagt. „Das Dortmunder Ordnungsamt setzt diesen Paragrafen um: durch mündliche Verwarnungen, Verwarngelder von 20 Euro aufwärts oder Bußgeldverfahren, die dann noch einmal teurer werden. Es handelt sich dabei unseren Informationen nach aber nicht um eine Art Tagespauschale, sondern es zählt jeder Verstoß”, schreibt der Verein.

Fazit: Ja, die Stadt Dortmund verhängt Verwarngelder gegen Obdachlose.

2. Behauptung: 500 Obdachlosen stehen nur 100 Plätze in der Notunterkunft zur Verfügung

In diesem Punkt gehen die Angaben der Stadt und des Vereins bodo e.V. etwas auseinander. Beide gehen aber von mindestens 100 Plätzen in Notunterkünften aus.

Die Stadt spricht von insgesamt 266 Unterbringungsplätzen. Dazu zählt die Stadt neben Notschlafstellen auch drei Häuser, in denen bis zu 136 Personen unterkommen können. Hinzu komme eine „flexible Anzahl von Plätzen in Wohnungen aus dem sogenannten Wohnraumvorhalteprogramm, die –  je nach Bedarf – zur Unterbringung genutzt werden können“.

Der Verein bodo e.V. geht von 105 bis 122 regulären Schlafplätzen aus – ohne die drei zusätzlichen Häuer. Diese Zahlen beruhen auf Angaben der Stadt. Die aktuellsten Zahlen, die dem Verein vorliegen, sind allerdings einige Monate alt. Die zwei Stellen machen also leicht unterschiedliche Angaben.

Leben in Dortmund 500 Obdachlose? Auch bei dieser Frage gehen die Angaben auseinander. Die Stadt geht von schätzungsweise 400 Obdachlosen in Dortmund aus. bodo e.V. schreibt: „Die Zahl der Obdachlosen, kann nur geschätzt werden, da eine Obdachlosenstatistik nicht existiert. Offizielle Stellen in Dortmund gehen mal von 300 bis 400 Menschen aus, andere von 400 bis 500. Wir gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl merkbar höher ist.”

Fazit: Die Zahl der Obdachlosen lässt sich nur schätzen. bodo e.V schätzt die Zahl höher als 500, die Stadt auf 400. Bei den Schlafplätzen nennt die Stadt 130 plus drei weitere Häuser mit 136 Plätzen. bodo e.V zählt auf Grundlage älterer Daten zwischen 105 und 122 Plätze.

3. Behauptung: Dortmund hat eine geniale Geschäftsidee. Die Stadt kann so jeden Tag 8.000 Euro einnehmen.

„Diese Zahl kann die Stadt Dortmund nicht bestätigen und sie entbehrt jeder Grundlage”, schreibt die Stadt Dortmund auf unsere Nachfrage. Wie kommt die Zahl 8.000 Euro zustande? Offenbar hat jemand so gerechnet: 500 Obdachlose haben 100 Schlafplätze zur Verfügung. Bleiben 400 Personen übrig, die draußen übernachten müssen. Wenn die Stadt jede dieser Person verwarnt, kommen 400 x 20 Euro zusammen. Das wären 8.000 Euro. Allerdings wird diese Rechnung in der Praxis nicht umgesetzt.

Auf Nachfrage erklärt die Stadt, dass es im Jahr 2017 insgesamt 400 ordnungsbehördliche Maßnahmen gab. Darunter fallen Ansprachen, Verwarnungen und Verwarngelder. In diesem Jahr wurden bisher 450 Maßnahmen vorgenommen. Wie viele davon Verwarngelder waren, erhebt die Stadt laut eigener Aussage nicht. bodo e.V. schreibt: „Verwarngelder gegen Obdachlose sind definitiv keine Ausnahme. Wir müssen von mehreren hundert Anzeigen gegen Obdachlose allein in diesem Jahr ausgehen.“

Zwar würden nicht alle Obdachlosen gleich ein Knöllchen bekommen, aber Betroffene berichteten von Vertreibungen, auch von Plätzen, an denen sie nicht „stören“.

Die Aussage mit der Geschäftsidee und den angeblichen 8.000 Euro möglichen Gewinn pro Tag hält aber auch der Verein für falsch. „Allein schon deshalb, weil aus unserer Erfahrung viele Betroffene eine solche Strafe gar nicht zahlen können. Platt gesagt: Wer 20€ hätte, um ein Knöllchen fürs Draußenschlafen zu zahlen, hätte auch das Geld für die Notunterkunft oder ein Hostelzimmer.”

Genau das ist aus Sicht des Vereins aber auch die Problematik: „Erhalten Obdachlose Verwarn- und Bußgelder, die sie nicht zahlen können, riskieren sie im schlimmsten Fall Ersatzfreiheitsstrafen. Indem sie Recht durchsetzt, nimmt die Stadt Dortmund also in Kauf, dass Menschen für ihre Obdachlosigkeit ins Gefängnis gehen.”

Fazit: Ein Gewinn von 8.000 Euro am Tag durch Strafzettel für Obdachlose ist in der Praxis laut Stadt und bodo e.V.  falsch.

Korrektur, 15.11.2018: Die Bewertung wurde zwar unter dem Text richtig anzeigt, nicht jedoch über der Titelzeile. Es muss heißen „teilweise falsch“, nicht „größtenteils falsch“. Das haben wir korrigiert.