Politik

Will Habeck ein System wie in China? Virales Video verzerrt Aussage des Grünen-Politikers

Eine Facebook-Seite suggeriert, Robert Habeck habe in einem ZDF-Interview gesagt, er wolle ein „zentralistisches System wie in China“. Der Beitrag wird tausendfach geteilt, obwohl er Habecks eigentliche Aussage verzerrt.

von Till Eckert

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Robert Habeck im ZDF-Interview vom 17. Juni 2018. (Screenshot: CORRECTIV)
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Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Der Kontext der Videopassage fehlt, so wird die Aussage Habecks verzerrt.

„Robert Habeck entlarvt sich selbst“ – so ist ein Facebook-Beitrag der Seite ExpressZeitung vom 18. Juni betitelt. Dazu teilt die Seite einen Videoausschnitt eines ZDF-Interviews des Grünen-Vorsitzenden mit Richard David Precht. Habeck spricht darin gerade von dem „zentralistischen System“ in China, das „effizienter sei“ und fragt, „ob wir das wollen“. Später scheint er genau darauf mit „ich würde sagen, ja, das wollen wir“ zu antworten – zumindest suggerieren das der drastische Schnitt des Videos ab der Hälfte und die roten Markierungen der Untertitel.

Der verzerrte Videoausschnitt der Facebook-Seite „ExpressZeitung“. (Screenshot: CORRECTIV)

Der Beitrag wurde bisher mehr als 4.200 Mal geteilt. In den Kommentaren wird der Seite von Nutzern aber auch vorgeworfen, das Video sei „manipulativ geschnitten“, andere schreiben, dass die Aussage „einfach unglücklich ausgedrückt und genau gegenteilig gemeint war“. Was also hat Habeck wirklich gesagt?

Habeck wird die Aussage gezielt in den Mund gelegt

In dem ZDF-Interview von 2018 ging es um „das Kräfteverhältnis zwischen Demokratie und Kapitalismus“. Die relevante Stelle findet sich ab Minute 8:30.

Habeck spricht zunächst analysierend darüber, dass die Politik nicht mehr „auf Ballhöhe der Herausforderungen“ sei, weil sie analog agiere und etwa neue Gesetze und Entscheidungen lange bräuchten, bis sie wirksam würden. Precht sagt daraufhin, weil „die Geschwindigkeit vermutlich erheblich an Fahrt“ aufnehme, drohe das Problem, dass die „aus guten Gründen analoge, langsame Politik“ nicht mehr „mit den ökologischen Entwicklungen“ mitkomme. Hierauf antwortet Habeck nun (in voller Länge, die Passage aus dem Facebook-Beitrag fett markiert):

„Ja. Wenn man mal die Parteipolitik außen vor lässt und sagt, die einen können das nicht und die sind doof und müssen abgewählt werden, sondern wenn man es auf eine basale, strukturelle Ebene hoch- oder runterfährt, dann ist genau das das Problem. Und ich glaube, man kommt da nur normativ weiter; also man muss das zugeben, dass das so ist und dann muss man sich entscheiden: Will man daran festhalten, dass ein demokratisches System, das im Grunde dem Kern von Selbstbestimmung und Beteiligung verpflichtet ist, noch eine Chance hat – dann muss man jetzt aber in großer Geschwindigkeit radikale Schritte in der Politik einführen –, oder gibt man es auf und wird dann aber zu zentralistischen Systemen hingehen, die natürlich schneller sind. Das ist das Brückenbauerspiel von Ihnen (Precht, Anm. d. Red.), China, da gibt es eben keine Opposition und keine Mitbestimmung, und wenn die Fehler machen, dann werden die trotzdem nicht abgewählt. Vielleicht gibt es irgendwann mal eine Revolte in China, aber erst einmal ist das System effizienter. Wollen wir das, oder wollen wir das nicht? Ich glaube, die Entscheidung kann man nicht ökonomisch treffen, die kannst du nur wertegeleitet treffen, und ich würde sagen, ja, das wollen wir; dann müssen wir aber den Wettlauf mit der technischen Entwicklung aufnehmen und auch mit der Macht der Konzerne.“

Bei Habecks Antwort gebe es einen „Interpretationsspielraum“, wie die Seite ExpressZeitung in einem Kommentar auf Kritik antwortet. Doch die Seite verbreitet den Ausschnitt ohne Gesprächskontext, verkürzt Habecks Aussage und unterstellt ihm eine Forderung, die er so nicht tätigte. Die Seite ergänzte das ganze Video später in einem Kommentar und erklärte, man habe nicht damit gerechnet, „dass man es auch anders verstehen kann“.

Antwort der Seite „ExpressZeitung“ auf Kritik. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Facebook-Seite „Informationsschalter“ teilt den Ausschnitt des Interviews ebenfalls und schreibt dazu: „Genosse Habeck will radikalen Systemwechsel.“ Auch hier wird das Video ab der zweiten Hälfte wiederholt so geschnitten, als habe Habeck direkt seiner Frage „wollen wir das?“ mit „ja, das wollen wir“ geantwortet. Dieser Beitrag wurde mehr als 3.000 Mal geteilt.

Auch der AfD-Kreisverband Stuttgart greift die verfälschte Aussage für einen Beitrag auf:

Der AfD-Kreisverband Stuttgart verbreitet die verfälschte Aussage in einem Beitrag. (Screenshot: CORRECTIV)

Aus dem Interview und der ganzen Aussage Habecks lässt sich nicht ableiten, dass er ein System wie in China anstrebe, wie die Beiträge suggerieren. Im Gespräch mit Precht geht es ganz allgemein darum, wie die Politik mit der Geschwindigkeit der Ökonomie Schritt aufnehmen kann. Habeck stellt hierzu die Überlegung an, dass eine Entscheidung darüber nicht ökonomisch sondern nur wertegeleitet getroffen werden könne, und schließt hierauf mit: „Ich würde sagen, ja das wollen wir.“ Er sagt weiter, dann müsse aber der Wettlauf mit der technischen Entwicklung aufgenommen werden. Diesen letzten Halbsatz Habecks lässt die ExpressZeitung weg.