In eigener Sache

Kern der Potsdam-Recherche bleibt – trotz Wortklauberei vor Gericht

Zweimal hat er vor Hamburger Gerichten verloren. Nun hat das Landgericht Berlin dem Potsdam-Teilnehmer Ulrich Vosgerau recht gegeben. Ihm geht es um eine nebensächliche Formulierung zu seinem Vortrag bei dem Treffen von 2023. CORRECTIV wird in Berufung gehen.

von CORRECTIV

Urteil 05

Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass ein Halbsatz und ein Satz in der Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ umformuliert werden müssen. Wir haben das getan und einen entsprechenden Transparenzhinweis unter dem Ursprungstext ergänzt. Es geht dabei um eine nebensächliche Äußerung des damaligen Teilnehmers Ulrich Vosgerau, deren Wiedergabe von den Hamburger Gerichten über zwei Instanzen als zulässig beurteilt wurde.

Konkret betrifft die Passage eine Bemerkung Vosgeraus in Potsdam zu einer in manchen Fällen angeblich nicht bestehenden Freiheit der Wahlentscheidung „junger Wählerinnen türkischer Abstammung“. Das Landgericht Berlin beanstandet eine unpräzise Formulierung, durch die angeblich transportiert worden sei, Vosgerau habe in Potsdam grundsätzlich die Fähigkeit von Wählerinnen türkischer Herkunft in Abrede gestellt, sich eine politische Meinung zu bilden.

Tatsächlich hatte Vosgerau zuvor gegenüber CORRECTIV mitgeteilt, er habe in Potsdam „darauf hingewiesen, dass eine Jungwählerin türkischer Herkunft …, die zu Hause in der Küche unter der Aufsicht ihres Vaters und mehrerer Brüder ihren Wahlzettel ankreuzt dabei möglicherweise und in bestimmten Einzelfällen faktisch nicht denjenigen Freiheitsgrad genießt, den die Verfassung beim Wahlakt eigentlich voraussetzt“. Dass Vosgerau die Briefwahl auch anhand dieses Beispiels in Potsdam problematisiert hat, ist in dem Verfahren zwischen den Parteien unstreitig – streitig war nur die konkrete Formulierung.

Wichtig: Im Hinblick auf dieselbe Äußerung hatte CORRECTIV zuvor bereits über beide Instanzen im Verfügungsverfahren vor Hamburger Gerichten gewonnen. Erst nach diesen Niederlagen hat Vosgerau vor dem Landgericht Berlin geklagt. Gegen die jetzige Entscheidung wird CORRECTIV Berufung einlegen. Wir sind der Auffassung, dass der streitgegenständliche Satz nicht so generalisierend verstanden wird, wie es das Landgericht Berlin meint.

Der Kern der Recherche bleibt unberührt: CORRECTIV hatte Anfang 2024 über das Potsdamer Treffen berichtet, bei dem es um Pläne zur massenhaften Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland ging. Diese Recherche steht weiterhin online – ihr wesentlicher Inhalt ist von keinem Gericht in Frage gestellt worden.

Die Strategie der Gegenseite: Klagen als Waffe einer „Gegenerzählung“

Seit Februar 2024 führt Ulrich Vosgerau, der selbst am Potsdamer Treffen teilgenommen hat, mehrere Verfahren gegen CORRECTIV. Vertreten wird er durch die Kanzlei Ralf Höcker, sein Anwalt ist Carsten Brennecke. Da kein Gericht den Kern der Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ beanstandet hat – die entscheidenden Verfahren gegen CORRECTIV wurden von der Gegenseite verloren –, konzentrieren sich die taktischen Klagen Vosgeraus nun auf einzelne Formulierungen.

Marginale Erfolge, wie etwa die gerichtlich erzielte Änderung eines nebensächlichen Halbsatzes in der ursprünglichen Recherche, werden von der Gegenseite medial und im Netz breit ausgeschlachtet. Nachzulesen ist das in rechten Kreisen und auf Plattform X, in Medien und Portalen wie der „Jungen Freiheit“, auf „Nius“ oder „Apollo News“. Aber auch einige andere Medien, etwa die „Berliner Zeitung“, greifen die Meldungen der Kanzlei Höcker auf. Diese auch kommunikativ orchestrierten Klagen gegen nebensächliche Details zielen in Verbindung mit Litigation-PR erstens darauf ab, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen, zweitens sollen sie Zweifel an der journalistischen Arbeit von CORRECTIV säen und drittens will Vosgerau so eine „Gegenerzählung in die Öffentlichkeit bekommen“ – wie er selbst in der ARD-Doku „Masterplan“ eingeräumt hat.

Ein Konzept der „Remigration“, das – wie vom rechtsextremen Strategen Martin Sellner in Potsdam erörtert – auch Staatsbürger einschließt, haben Gerichte zwischenzeitlich als verfassungsfeindlich eingestuft. Vor diesem Hintergrund steht es zunehmend im Mittelpunkt der Debatten um ein mögliches AfD-Verbot und die Bewertung der Partei durch den Bundesverfassungsschutz. Für die Teilnehmenden des Potsdamer Treffens und andere AfD-Mitglieder scheint es deshalb nur konsequent, unsere bereits im Januar 2024 veröffentlichte Recherche weiter anzugreifen.

Die Kanzlei Höcker, geführt von Ralf Höcker und Dr. Carsten Brennecke ist dabei für ihre aggressive, häufig stark einschüchternde Vorgehensweise gegen Medien sowie für ihre offensive Litigation-PR bekannt. Höcker vertritt regelmäßig politisch höchst umstrittene Mandanten, darunter auch den rechtsextremen AfD-Politiker Andreas Kalbitz und weitere Funktionäre der Partei. Zwischen 2019 und 2021 war der frühere Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen als „Of Counsel“ beratend bei der Kanzlei tätig.

Finanziert werden die Verfahren gegen CORRECTIV über eine Spendenkampagne, mit der Vosgerau nahezu 200.000 Euro gesammelt hat und die weiter im Netz beworben wird.

CORRECTIV lässt sich auch von orchestrierten Klagen und Litigation-PR nicht einschüchtern: Wir verteidigen weiterhin die Pressefreiheit, indem wir mutigen Journalismus machen und gesellschaftspolitische Missstände ans Licht bringen.