Tag 13: Gelsenkirchen – Zu viele Flüchtlinge, zu wenig Hartz IV
Als wir uns am Telefon verabreden, redet sich Beatrice bereits in Rage. Sie will über die Situation von Langzeitarbeitslosen reden und hat einiges zu sagen, kündigt sie an. Zwei Wochen später treffen wir uns in einer Bäckerei in Gelsenkirchen. „Es muss etwas passieren“, wiederholt Beatrice immer wieder.
Die 58-Jährige weiß schon selbst gar nicht mehr, ob sie drei oder vier Jahre lang Hartz 4 bezogen hat, seit zwei Jahren arbeitet sie wieder halbtags in ihrem Lernberuf. Um welches Handwerk es sich handelt, soll ich lieber nicht schreiben, sie will keinen Ärger mit dem Chef riskieren. Deshalb soll ich sie auch Beatrice nennen.
Beatrices Biografie im Schnelldurchlauf: 1986 zur Ausbildung nach Gelsenkirchen, danach ein Jahr arbeitslos, diverse Jobs, zuletzt in einer Zeitarbeitsfirma, mit Arbeitszeiten und Einsätzen „unter aller Sau“. Ihr Mann starb 2007, seit einer Krebserkrankung ist sie 50 Prozent schwerbehindert. Was ihrem heutigen Chef Personalkosten spart. Sie wiederholt oft, wie glücklich sie über ihre Arbeitsstelle und über die Unabhängigkeit vom Jobcenter ist.
Unzufrieden ist Beatrice hingegen mit den Hartz-4-Regelungen, den Jobcentern, der Politik. Die Lage werde immer schlimmer. Im April lag die Arbeitslosenquote in Gelsenkirchen bei 12,6 Prozent, landesweit Platz zwei hinter Duisburg. Beatrice spricht von Schikanen der Jobcenter: „Wenn ich im Bekanntenkreis höre, was die mit den Leuten machen…“ Ich will wissen, was sie meint. Sie erzählt von Briefen des Jobcenters, die angeblich nie ankamen und zu Sanktionen führten, ansonsten bleibt sie unkonkret.
Aber fest steht, der Regelsatz ist zu niedrig. „Den Hartz-4-Satz verfrühstückt doch ein Politiker an einem Morgen“, sagt Beatrice. „Die Politiker müssen von ihrem hohen Ross runterkommen, die haben die kleinen Leute vergessen. Man müsste Merkel – ich kann die Frau nicht ausstehen – den Hartz-4-Satz in die Hand drücken.“ Überhaupt, man müsste. Demonstrieren, Hauptsache friedlich. Zwei Sätze später sagt sie: „Man müsste die Scheiben am Bundestag einwerfen, damit die da drin mal wenigstens aufwachen.“
Beatrice hat um vieles gekämpft in ihrem Leben – nachdem ihr Mann 2007 gestorben war, verlangte das Jobcenter einen Umzug in eine kleinere Wohnung. „Aber da hängen ja so viele Erinnerungen drin“, sagt die Frau mit dem türkisfarbenen Lidschatten, auf einmal ganz sanft. Sie durfte bleiben.
Sie bleibt auch sanft, wenn sie über Flüchtlinge aus Kriegsgebieten spricht. Ihr ist wichtig, nicht rassistisch zu klingen, sagt Beatrice. „Manche Flüchtlinge sind arm dran, aber es kann nicht sein, dass die nach Deutschland kommen und unsere Einheimischen in der untersten Schublade landen.“ Wegen der Flüchtlinge würden „unsere Leute“ unter den Teppich gekehrt. Und was die Flüchtlinge in der Wahl des Ziellandes gar nicht bedenken würden: Deutschland habe viele Arbeitslose, die auch versorgt werden müssten.
Da ist sie also: Die Angst, in Folge der Flüchtlingskrise gesellschaftlich noch weiter abgehängt zu werden. Ich frage Beatrice noch einmal explizit, wovor sie sich fürchtet. „Man ist sich hier seines Lebens nicht mehr sicher, weil sich so mancher Flüchtling als Terrorist entpuppt“, lautet ihre Antwort. „Ich sag’s so, wie ich denke: Es wird noch so weit kommen, dass man im Hellen nicht mehr über die Straße gehen kann.“