Interviews

Politik macht verrückt

Wer ohne Papiere in Deutschland lebt, ist auf die Gunst einzelner angewiesen. Auf Menschen wie die Sozialarbeiterin Golde Ebding, die bei der Malteser Migranten Medizin in Berlin arbeitet. Dort hilft sie Menschen, die als illegal gelten. Im vergangenen Jahr gründete sie mit Freunden „Flüchtlinge Willkommen“, ein Projekt, das über das Internet Geflüchtete in Wohngemeinschaften unterbringt.

von Benedict Wermter

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Benedict Wermter sprach mit ihr über die Idee und über das Leben ohne Papiere: Ohne Notausgang in der endlosen Warteschleife auf eine bessere Zukunft.

Frau Ebding, Sie haben „Flüchtlinge Willkommen“ mitgegründet und helfen auch Menschen, die in der Illegalität leben. Wie erklären Sie Wohngemeinschaften, die einen Geflüchteten aufnehmen würden, wenn es sich um einen Menschen handelt, der als illegal gilt?

Golde Ebding: Theoretisch ist es eine Straftat, die aber seit Jahren nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird. Es ist ein humanitärer Akt, einer geflüchteten Person zu helfen. Das sieht auch die Justiz so – und das erklären wir den Menschen. 

Portrait Golde Ebding

Golde Ebding

Fragen Sie Menschen, die sie vermitteln wollen, ob ihnen der Aufenthalt in Deutschland gestattet wurde?

Wir müssen den Status klären, um eine geeignete Finanzierung für den Vermittelten zu finden. Ich weiß, dass eine hohe Zahl der Interessenten in die Gruppe derer fällt, die kein Visum mehr haben, kein Asyl bekommen oder schon illegal eingereist sind. In Berlin haben wir viele Menschen, die keinen legalen Aufenthalt haben. Sie werden von den Protestbewegungen in den Großstädten und den großen Communities mit der selben Herkunft angezogen.

In den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel über „Flüchtlinge Willkommen“ berichtet. Es scheint, als hätten Sie viel zu tun und einen Nerv getroffen. Offenbar werden Sie gebraucht.

Das Projekt boomt gerade, weil wieder einmal viele Menschen im Mittelmeer ertrunken sind. Immer dann, wenn große Not medial verbreitet wird, gibt es sehr starke Reaktionen in der Bevölkerung. Viele Bürger wollen ein Zeichen setzen und melden sich bei uns an. Wie gesagt, unser Projekt ist ein humanitärer Akt und keine Aktion um Geld zu verdienen. Da sind dann viele Familien in den ländlichen Gegenden, aber auch erstaunlich viele alleinstehende Mütter mit Kind. In Berlin ist sowieso alles dabei. Wir hatten ein älteres Ehepaar, eine Schwulen-WG und eine Lesben-WG, die jeweils schwule und lesbische Geflüchtete aufgenommen haben. Da gibt es sehr spezielle Kombinationen.

Wie arbeiten Sie im „Flüchtlinge Willkommen“-Team?

Meine Partner machen Öffentlichkeitsarbeit, sie kümmern sich um die Finanzen und vernetzen uns. Ich mache die konkrete Vermittlung: Die Erstkontakte werden vorbereitet, Rechtliches geklärt. Dazu schreibe und telefoniere ich mit denen, die aufnehmen wollen. Leider machen viele Wohngemeinschaften wieder einen Rückzieher, weil sie Angst bekommen. Sie schreiben nicht mehr zurück oder treffen ein paar Geflüchtete und möchten dann doch nicht mehr mitmachen. Oft fürchten Interessierte auch rechtliche Konsequenzen: Manche Leute fragen sich, ob sie ins Gefängnis müssen, wenn sie einen Unsichtbaren aufnehmen.

Welche Probleme erleben Sie mit den Geflüchteten, wenn Sie ihnen helfen?

Die Unmöglichkeit der Integration. Das liegt auch an der Unterbringung in isolierten Lagern. Menschen in Asylverfahren oder mit Duldung haben außerdem keinen Anspruch auf Deutschkurse. So haben sie kaum Kontakt zu Deutschen und lernen auch die Sprache nicht, obwohl viele seit Jahren hier sind. Deutschland glaubt nicht, dass die Geflüchteten bei uns bleiben, sondern dass sie zurück gehen. Der Aufenthalt wird den Geduldeten zusätzlich erschwert, ihre Leistungen manchmal gekürzt. Dabei brauchen wir doch Migration und Integration.

Wir haben von Menschen gehört, die aus laufenden Asylverfahren fliehen oder nach abgelehntem Antrag untertauchen. Wissen Sie von solchen Fällen?

Da fallen mir die sogenannten Dublin-Fälle ein: Geflüchtete, die etwa italienische Papiere haben und hier im Asylerfahren sind. Die bekommen in der Regel eine Ablehnung und müssen innerhalb von sechs Monaten nach Italien überstellt werden. Wenn sie abgeschoben werden sollen, tauchen sie so lange ab, wie Deutschland Zeit gehabt hätte, sie abzuschieben. Danach stellen sie einen neuen Antrag und der muss von Deutschland – wenn auch eingeschränkt – wieder geprüft werden. Geflüchtete fürchten in Italien eine noch krassere Perspektivlosigkeit. Man lebt da faktisch immer auf der Straße. Was in Italien allerdings gut funktioniert, ist die kostenlose europäische Krankenversicherungskarte.

Und in Deutschland?

Hier bringt die europäische Krankenversicherungskarte meist gar nichts. Jede akute Krankheit muss untersucht und behandelt werden. Viele Ärzte aber weigern sich, in der Sprechstunde zu behandeln. Sprechstundenhilfen füllen erst gar nicht die Bögen der Patienten aus, wenn ihnen der Aufenthaltsstatus unklar ist. Ist ein Deutscher dabei, werden die Geflüchteten angenommen. Wenn sie alleine gehen, nicht. Sie können sich einfach nicht wehren. Dieses Problem erleben sogar viele Italiener in Deutschland.

Das ist sehr erstaunlich. Die europäische Krankenversicherungskarte gibt es ja schon seit Jahren. Was machen die Leute, wenn sie beim Arzt abgelehnt werden?

Entweder nichts – oder sie kommen zum Beispiel zur Malteser Migranten Medizin. Wir schicken sie mit einem rechtlichen Hinweis auf eine Behandlung wieder zum Arzt. Trotzdem werden Geflüchtete oft abgelehnt. Die Ärzte in Großstädten haben genug Patienten und können es sich erlauben, auszuwählen.

Erzählen Sie doch bitte einmal aus dem Leben der Geflüchteten, die Sie treffen. Wie ergeht es ihnen hier?

Viele haben Probleme mit der Psyche. Ich habe mit Menschen aus der Subsahara Kontakt. Dort werden psychische Probleme als solches gar nicht erkannt. Die Leute leiden unglaublich unter ihrer Situation, sind sich aber gar nicht bewusst, woher es kommt. Ich beobachte oft körperliche Erscheinungen: Die Geflüchteten können nicht schlafen, haben Kopfschmerzen oder sind unruhig. Da kann man zusehen, wie die Leute durch die europäische Politik regelrecht verrückt werden. Durch dieses würdelose Leben gehen sie kaputt. Dazu kommt noch der Druck aus Afrika.

Was meinen Sie, wenn sie von „Druck aus Afrika“ sprechen?

Über Europa existieren paradiesische Vorstellungen in Afrika. Es wachsen große Erwartungen: der Stärkste der Familie soll die Angehörigen in der Heimat unterstützen. Ich kenne viele, die zurück wollen, aber nicht können. Die Geschickten müssen ihren Familien etwas mitbringen, sonst gelten sie im Herkunftsland als Versager. Überflüssige Fassaden werden aufrecht erhalten, tolle Posen vom Leben in Deutschland über Facebook verschickt. Die Geflüchteten wollen sich nicht hinstellen und sagen, dass sie versagt haben. Das würde in Afrika niemand glauben. So entsteht eine Abwärts-Spirale: Noch mehr Menschen in Afrika wollen nach Europa. Gleichzeitig bauen sich die Geflüchteten hier ein Leben in der Schattenwelt auf.

Können diese Menschen hier Zufriedenheit finden?

Nach der Hölle in Südeuropa schrauben die Migranten ihre Erwartungen herunter, versuchen mit den Umständen klar zu kommen. Am Mangel an Alternativen zerbrechen viele. Es steht niemand freiwillig in Berlin am Görlitzer Park und verkauft Drogen. Ich habe das Gefühl, dass sich einige daran gewöhnen. Das hängt aber von den Erwartungen ab, die jemand mitbringt. Wer nur überleben wollte, empfindet das Leben hier anders, als derjenige, der versucht sich ein besseres Leben aufzubauen. Letztendlich ist alles auch eine Charakterfrage.

Wenn Sie es sich aussuchen dürften: Was muss sich ändern, um das Leben von Migranten in Deutschland zu verbessern?

Da bin ich keine Visionärin. Die Strukturen und die Denke müssen sich zuerst in der Politik ändern. Das wird nicht von der Bevölkerung kommen, die eher nach rechts abdriftet. Diese Abschottung, die nicht funktioniert, muss beendet werden. Ich glaube unser Projekt kann den Menschen kleine, schöne Momente bringen. Aber ganz oben muss etwas passieren.

Redaktion: Florian Bickmeyer
Gestaltung: Thorsten Franke, Simon Jockers, Ivo Mayr