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Pendlerhölle Rhein-Ruhr

Über vier Millionen Menschen pendeln täglich in NRW zu ihrem Arbeitsplatz. Nicht nur die Autobahnen sind häufig überlastet, auch die Züge haben oft Verspätung oder fallen ganz aus. Zwei Großprojekte sollen die Situation verbessern.

von Dennis Görlich

Eine Alternative zum Stehen auf der Autobahn könnte das Stehen am Bahngleis sein.© Correctiv.Ruhr

In Nordrhein-Westfalen leben knapp 18 Millionen Menschen. Jeder zweite der neun Millionen Erwerbstätigen pendelt hier täglich zur Arbeit. Gerade die Autobahnen im Ruhrgebiet und Rheinland sind davon überlastet. Wer regelmäßig durchs Ruhrgebiet zur Arbeit fährt, verbringt im Jahr 61 Stunden im Stau – das ermittelte der Navi-Hersteller TomTom. In und um Köln kommt der erzwungene Stillstand auf der Autobahn auf 80 Stunden im Jahr. Zwei Wochen Arbeitszeit, unbezahlt im stillstehenden oder kriechenden Auto, umgegeben von gereizten Leidensgenossen. Trotz dieser Tortur fahren sieben von zehn Erwerbstätigen in NRW mit dem Pkw zur Arbeit.

Die Folge: Fast eine halbe Million Staukilometer auf den nordrhein-westfälischen Straßen. Eine Strecke, mit der man die Erde zehn Mal umrunden könnte. Viele empfinden die Benutzung des eigenen Autos trotzdem als alternativlos, wie eine Umfrage des ADAC ergab. Zwei Drittel der Befragten gaben an, nicht auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) umzusteigen, weil sie das Auto als Verkehrsmittel schlichtweg bevorzugen – Autofahren als Ausdruck der Freiheit.

Hintergrund: Ausgebremst – Stauauslöser Lkw (CORRECTIV.Ruhr)

Allerdings wären auch mehr als zwei Drittel der Umfrageteilnehmer bereit, bei günstigeren Fahrpreisen auf den ÖPNV als Beförderungsmittel umzusteigen. Insgesamt fährt derzeit jeder achte Berufspendler in NRW mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Auch hier gibt es häufig Probleme: Verspätungen und Zugausfälle. Laut NRW-Verkehrsministerium war im Jahr 2017 eine von fünf Regionalexpressverbindungen unpünktlich.

Pendlerhorror NRW_ Was wären für Dich Vorraussetzungen, um vom Auto zur Bahn zu wechseln_.png

Manchmal sind es auch die gefühlten Wahrheiten, die entscheiden. Die meisten Pendler halten die Bahn für zu teuer.

Grafik: CORRECTIV.Ruhr

Vernachlässigt und überlastet

Besondere Sorgen bereitet die Linie RE 1, die quer durch das Ruhrgebiet und das Rheinland führt. Durch die lange Fahrstrecke und das hohe Fahrgastaufkommen ist diese Verbindung besonders von Verspätungen betroffen. So erreichte im vergangenen Jahr nur jeder zweite Zug aus Köln den Essener Hauptbahnhof pünktlich. Die Endstation Hamm erreichte jeder vierte Zug mit mindestens 11-minütiger Verspätung.

Die Zahlen der Messung zeigen: Aufgrund der starken Auslastung der Zugstrecken in Rheinland und Ruhrgebiet ist eine Verspätung nur in den seltensten Fällen wieder aufzuholen.

„Die Bahninfrastruktur in NRW ist stark ausgelastet bis überlastet, zudem wurden die Unterhaltung und Modernisierung vielfach vernachlässigt“, stellt Lothar Ebbers vom Fahrgastverband ProBahn NRW fest. „Daher stehen wir vor einer langen Zeit mit umfangreichen Baumaßnahmen und entsprechenden Einschränkungen.“

Rhein-Ruhr-Express startet im Dezember

Der Rhein-Ruhr-Express (RRX) zwischen Köln und Dortmund soll zukünftig die Pendlerstrecken im Ruhrgebiet entlasten. Ein hehres Ziel, aber praktisch kaum zu verwirklichen. Denn: Lediglich zwischen Köln und Duisburg werden für den RRX eigene Gleise verlegt. Im Ruhrgebiet teilt sich der RRX die Strecke mit dem Fernverkehr. Und da in der Regel Fernzüge bei Verspätungen Vorrang vor dem Nahverkehr – und somit auch dem RRX – haben, bleibt abzuwarten, wie verspätungsresistent der neue Zug wirklich fahren wird.

Die erste Linie des neuen Rhein-Ruhr-Express wird noch in diesem Jahr in den Vorlaufbetrieb starten: ab 9. Dezember auf der Strecke zwischen Düsseldorf und Kassel. Im Jahr 2019 folgen dann weitere Linien, die Rhein und Ruhr verbinden. Im endgültigen Betrieb bedient der RRX die Strecke Dortmund – Köln im 15-Minuten-Takt, also vier- statt bisher dreimal pro Stunde.

Mit dem Start des RRX wird auch ein weiteres Problem angegangen: der Zustand der Bahnhöfe. Jede zehnte Station in NRW ist laut Verkehrsministerium in einem inakzeptablen Zustand. Bahnhöfe, die dieser Kategorie zuzuordnen sind und auf der künftigen RRX-Strecke liegen, werden nun für insgesamt 44 Millionen Euro modernisiert. Auch dies soll dazu beitragen, den ÖPNV für potentielle „Umsteiger“ attraktiver zu machen.

Radschnellweg Ruhr verbindet Duisburg mit Hamm

Ein weiteres Projekt, das den Pendlerverkehr in NRW entlasten soll, ist der Radschnellweg Ruhr (RS1). Dieser über 100 Kilometer lange Weg quer durch die Metropole Ruhr verbindet Duisburg und Hamm miteinander. Besondere Merkmale des Radweges: wenig Steigungen, weitestgehend kreuzungsfrei und ein geregelter Winterdienst.

Der Regionalverband Ruhr (RVR) als künftiger Betreiber des RS1 versteht den Radschnellweg als Premiumprodukt für Fahrradfahrer. 180 Millionen Euro soll das Projekt bis zu seiner Fertigstellung kosten und 50.000 Autofahrten pro Tag auf das Fahrrad verlagert werden. Dieses Ziel begrüßt auch Roman Suthold, Leiter Verkehr und Umwelt des ADAC Nordrhein: „Insbesondere im Bereich der Nahmobilität – Wege unter 5 km – kann das Fahrrad als Alternative zum Auto betrachtet werden und besitzt großes Potenzial. Der Ausbau des Radschnellwegs 1 wird durch den ADAC daher ausdrücklich unterstützt“.

Besonders Studierende können von der Route profitieren, die Universitäten Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg werden an den Radschnellweg angebunden. Ein erster Abschnitt zwischen Mülheim und Essen ist bereits fertiggestellt und wird aktuell von bis zu 3.000 Radlern täglich befahren.

Der endgültige Abschluss des Baus wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Neben Essen und Mülheim ist Bochum bisher die einzige Stadt, die mit dem Bau des RS1 begonnen hat. Zudem sind Schwierigkeiten bei Planung und Bau in Bochum und Dortmund nicht auszuschließen. Hier ist  eine Wegführung durch die Innenstadt vorgesehen.

Lohnt sich der Umstieg von Auto auf Zug?

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Der Kostenvergleich für Pendler zwischen Dortmund und Essen.

Grafik: CORRECTIV.Ruhr

Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht. So spielen nicht nur die Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort, sondern vor allem die individuellen Kosten des Pkw eine Rolle. Diese variieren jedoch extrem. Nicht nur das Fahrzeugmodell bestimmt den Kilometerpreis, sondern auch die Versicherung, Wartung, Wertverlust und so weiter. Die Finanzämter rechnen bei der Pendlerpauschale mit Kosten von 30 Cent/Kilometer. Laut ADAC sind die tatsächlichen Kosten für einen Kilometer Autofahrt häufig höher. Bleibt man bei den angenommen Kosten von 30 Cent/Kilometer, ergibt sich folgendes Bild.

Kosten der Fahrstrecke Essen-Düsseldorf.png

Überraschend: Zwischen Essen und Düsseldorf ist die einzelne Autofahrt günstiger. Zumindest in der Theorie.

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Welche Auswirkungen hat das Staustehen auf die Gesundheit?

„Pendeln stellt einen Stressfaktor dar“, weiß Stefan Poppelreuter vom TÜV Rheinland. Je langsamer es vorwärts geht, desto stressiger wird die Situation, weil Zeit verloren geht oder wichtige Termine verpasst werden. Die psychologische Belastung entsteht aus der Unberechenbarkeit der Situation. Wer im Stau steht oder mit einer verspäteten Bahn fährt, weiß selten, wie viel Zeit ihm dadurch noch verloren geht. Laut Poppelreuter wird eine Verspätung von 15-30 Minuten meist noch als erträglich empfunden, wobei diese Einschätzung sehr subjektiv ist und von der persönlichen Toleranzschwelle abhängt.

„Im-Stau-Stehen führt zum Verlust von Kontrolle und Freiheit“, sagt der Verkehrsexperte. Man habe keine Handlungsperspektiven. Kommen noch Probleme in anderen Lebensbereichen hinzu, beispielsweise Unzufriedenheit im Job, kann das zu Depressionen oder depressiven Episoden führen. Radiosender wollen dem Problem entgegenwirken, indem sie bei Staus ansagen, wie viel Zeit man dadurch verliert. Dadurch wird der Situation etwas Ungewissheit genommen.