Punk-Veteran im Interview: „Der Ruhrpott ist die Schwachsinns-Area in Deutschland“
Das Ruhrpott Rodeo gilt als das größte Punk-Festival Deutschlands. Am vergangenen Wochenende zog es 8500 Musikfans ins Ruhrgebiet. Ein Interview mit dem Veranstalter und Punk-Legende Alex Schwers.
Wir warten auf eine Ikone des Ruhrpott-Punks — in einer Sushi Bar in Bottrop. Alex Schwers (42), Organisator der beiden größten Punkfestivals der Region („Ruhrpott Rodeo“ und „Punk im Pott“) und Schlagzeuger in Kult-Bands wie „Eisenpimmel“, „Hass“, und „Slime“. Dass eine der zentralen Figuren der Ruhrgebiets-Szene auch Sushi-Fan ist, erfahren wir erst jetzt. Mit einiger Verspätung betritt er das Restaurant, unscheinbar mit weißer Baseballcap und schwarzer Kunststoffbrille, und bestellt sich eine Fanta. Er hätte noch seinen Sohn zum Musikunterricht bringen müssen, sagt er und setzt sich.
Alex, du bist jetzt seit einem Vierteljahrhundert Punk. Siehst du Unterschiede zwischen der Szene damals und heute?
Schwers: Punkrock ist in gewissem Maße eine Show. War er schon immer. Daran ist nichts falsch. Wenn allerdings heutzutage eine Band aus 16-Jährigen anfängt, Deutschpunk zu machen, dann greifen sie meist Themen auf, die Bands wie „Slime“, „Hass“ oder „Toxoplasma“ schon vor dreißig Jahren im Programm hatten. Hinter der Musik muss mehr stecken als nur das Interesse und die Bewunderung der Kunstform. Das ist genau so ein Fan-Sein wie etwa bei Metal: Die einen singen über Ritter, und im Deutschpunk sind es halt sozialkritische Themen. Früher war das mal eine Zeit lang echt, heute nicht mehr. Junge Bands sollten ihre eigenen Themen finden.
Das sehen die Besucher deiner Festivals wahrscheinlich anders. Du kannst das differenzieren und in einen zeithistorischen Kontext setzen, aber die Jugendlichen sagen ja nicht: „ich bin Kunstinteressiert“, sondern haben das Gefühl, dass das alles Punk und echt ist.
Schwers: Ich würde nicht von einem 18-jährigen erwarten, dass er darüber nachdenkt. Der ist einfach angepisst und möchte irgendeine Form von Punk nach außen leben. Man ist in der Band, stellt sich da hin und reißt eine Stunde lang was ab. Das ist genau so eine Show wie überall anders. Was wahrscheinlich für viele junge Punks sehr ernüchternd ist. Du kommst aus Gladbeck. Die Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets ist ja nicht gerade eine Szene-Metropole.
Wie hat das mit Punkrock bei dir angefangen?
In Gladbeck gab es damals nichts. Mit mir liefen vielleicht 50 Leute durch die Stadt, die überhaupt anders drauf waren als der normale Durchschnittsjugendliche. Ein paar Punks, ein paar Hippies, ein paar Metaller. Meine Kollegen und ich hatten nie Anschluss an irgendeine große Szene — nichtmals nach Duisburg oder Bochum. Wir interessierten uns für Punk, haben einfach unser Ding gemacht, Musik gehört und ich Schlagzeug gespielt. Ich hab mich durch viele Bands gespielt und landete schließlich in Marl bei „Hass“. Das war für mich die Tür raus aus Gladbeck.
Hattest Du damals schon das Gefühl „das ist jetzt mein Job“?
Schwers: Nein, und so ein Job-Gefühl habe ich bis heute nicht. Trotzdem wollte ich seitdem nichts anderes mehr machen. Zeitgleich zu „Hass“ habe ich irgendwann bei „Ibo“ gespielt, einem Schlagersänger aus Gladbeck. Er wohnte zwei Kilometer weiter, hatte Riesenerfolg und wusste, dass ich Schlagzeuger bin. Ein Problem, auf einmal Schlager zu spielen, hatte ich nicht, weil genau das für mich Punk war: aus dem Erwarteten ausbrechen. Ich muss niemandem entsprechen. Das ist noch heute meine Haltung.
Ist es für dich ein grundsätzlich anderes Erlebnis, jetzt ein Slime-Album aufzunehmen als in den 90er Jahren ein Hass-Album?
Anmerkung: Slime gilt als die einflussreichste deutsche Punkband. Die Band hat sich 1979 in Hamburg gegründet und mit Songs wie „Polizei SA/SS“, „Deutschland muss sterben“ „Bullenschweine“ („Bomben bauen, Waffen klauen, den Bullen auf die Fresse hauen“) maßgeblich zur Politisierung der deutschen Punkszene beigetragen und den Soundtrack für einige Hausbesetzungen und Straßenschlachten geliefert. Beim „Ruhrpott Rodeo“ 2010 spielte die Band ihr erstes Konzert seit der Auflösung im Jahr 1994, der frühere Schlagzeuger wurde durch Alex Schwers ersetzt. 2012 wurde in derselben Besetzung ein Studioalbum veröffentlicht.
Schwers: Das ist eigentlich so wie mit jeder Ex-Freundin, weil man Beziehungen auch nicht vergleichen kann. Kein 35-jähriger hängt mit seinen Kumpels so rum wie mit 17. Und mit meinen besten Freunden spiele ich auch nicht in einer Band. Wenn das so wäre, wäre das totaler Zufall.
Merkt man denn, dass du, als jemand aus einer Kleinstadt im Ruhrgebiet, einen anderen Hintergrund als die übrigen Slime-Mitglieder hast?
Schwers: Slime haben ne ganz andere Punksozialisation als ich. Ich habe im Ruhrgebiet noch nie ne ernsthafte Bullenwemserei erlebt. Die Jungs kommen aus Hamburg und haben da die Straßenschlachten oder die Besetzungen in der Hafenstraße durchlaufen. Die haben ja nicht umsonst diese Texte geschrieben. Es ist ne viel ernstere Sicht der Dinge. Der Ruhrpott hingegen ist eher die Schwachsinns-Area in Deutschland. Hier ist alles so total sinnlos, hier geht nichts ab. Aber genau deswegen geht es hier dann doch ab, und deswegen macht sich hier der Schwachsinn breit. Die Kassierer und die Lokalmatadore würden nicht aus Hamburg oder Berlin kommen. Die stehen mir persönlich total nah, weil ich dieses „sich nicht wichtig nehmen“ so geil am Ruhrgebiet finde. Es ist hier einfach viel ironischer und selbstkritischer.
War es, als du angefangen hast, Veranstaltungen zu organisieren, ein großer Schock für dich, was man alles für bürokratische Auflagen erfüllen muss, und dass es dann weg von D.I.Y. geht?
Schwers: D.I.Y. ist ein geiles Thema, das mir am Herzen liegt, weil ich dieses Gequatsche nicht mehr hören kann. Ich finde dieses Getue zum Kotzen, wenn Leute etwas organisieren, ganz normal Eintritt nehmen, ganz normal Gagen zahlen und dann groß „D.I.Y.“ draufschreiben.
Anmerkung: Die D.I.Y. (Do It Yourself)–Ethik gehört zu den Gründungsmythen der Punk-Kultur. Um sich eine Unabhängigkeit von Plattenfirmen und Medienkonzernen zu bewahren, begannen in den 1980er Jahren viele Bands damit, Platten und Merchandise in Eigenregie zu produzieren und ihre Konzerte eigenständig zu bewerben und zu veranstalten. Diese D.I.Y.-Ästhetik (Selbst kopierte Fanzines und Konzertflyer in Schwarzweiß, selbst beschriebene, benietete und mit Aufnähern versehene Lederjacken) hat sich bis heute erhalten. Gleichzeitig gibt es innerhalb der Szene aber auch nach wie vor eine große Skepsis gegenüber Bands, die eine hohe mediale Aufmerksamkeit bekommen, große Konzerthallen füllen und scheinbar viel Geld damit verdienen.
Schwers: Wenn ein Punk im Jugendzentrum ein Konzert mit 150 Leuten organisiert, das ist D.I.Y.! Er hat es gemacht. Im Prinzip ist das bei mir aber nichts anderes. Ich hab nen kleinen Raum, der ist zwölf Quadratmeter groß, da sitze ich und mache D.I.Y.-mäßig meine Festivals. Wenn ich nicht den ersten Strich aufs Papier und den ersten Anruf mache, dann wird es das nächste Festival nicht geben. Streng genommen kann man also sagen, dass Rock am Ring auch D.I.Y. ist. Ich kann nur dieses Gequatsche nicht ab, und ich hab zu dem Thema schon einige Diskussionen geführt. Es gibt gewisse Strukturen, die sich nicht umgehen lassen, aber das kannst du Leuten nicht erklären, die in einer romantisch-verklärten Punkrock-Welt leben. Hart gesagt: Das D.I.Y.-Ding ist für mich ne Punkrock-Traumblase.
Wie wirst du mit dieser Kritik konfrontiert?
Schwers: Auf den Festivals wird von einigen so ne Fahne hochgehalten, nach dem Motto: „Spießige Kommerzscheiße, warum sind hier Spültoiletten und keine Dixies?“. Aber am Ende des Tages eben in Ruhe schön sauber kacken gehen und sich die Bands angucken, wollen dann doch wieder alle. Das ist dann einfach so der Geist des Punk, den man verbal fürs Gefühl hochhält. Aber wie soll es anders gehen? Als Beweis, dass meine Festivals nicht D.I.Y. sind, wurde mir ernsthaft vorgeworfen, dass die Leute, die bei mir arbeiten, Geld kriegen. Als wäre das total Punkrock, wenn ich ein Festival mit 5.000 Leuten mache, 45 Euro Eintritt nehme, dann aber sage: „Ihr arbeitet jetzt hier, dabei sein ist alles. Ist total geil und Toy Dolls spielt auch.“ Und dann gehen alle nach Hause, ohne irgendwas abgekriegt zu haben, fühlen sich aber, als wären sie bei ner astreinen D.I.Y.-Punk-Aktion dabei gewesen.
Klingt absurd.
Schwers: Na klar. Bei einem Festival, wo 100 Leute verzahnt zusammen arbeiten müssen, kann man nicht erwarten, dass das jemand umsonst macht. Dann könntest du auch nicht hingehen und sagen: „Renn mal bitte schnell da hinten hin und bleib da drei Stunden stehen.“ Man muss Leuten Anweisungen geben können. Deswegen kriegen alle ihr Geld.
Es scheint ja bei dir so zu sein, dass du diese verschiedenen Handlungslogiken ganz gut nutzen kannst, also dieses Verbinden von Welten. Hast du dich dafür besonders angestrengt?
Schwers: Nee, gar nicht. Das war alles nicht abzusehen. Ich war der totale Schul-Loser, ich bin vom Gymnasium auf die Realschule gewechselt, nach der neunten Klasse abgegangen, hab ne Schreinerlehre gemacht, und hab es gehasst. Ich war nie der Zielstrebige. Dann hat sich alles so zufällig Schritt für Schritt entwickelt. Von 17 bis 25 hab ich drei bis vier Wasserpfeifen am Tag geraucht, immer nur Musik gemacht und sonst nichts auf die Reihe gekriegt. Für meine Mutter zum Beispiel war das überhaupt nicht absehbar, dass das mit der Musik was wird. Irgendwann hat sie es aber realisiert und jetzt arbeitet sie bei meinen Festivals mit.
Alex Schwers, geboren 1973 in Gladbeck, ist Vater von zwei Kindern, elf und sechs Jahre alt. Seine Frau arbeitet als freiberufliche Fotografin. Seit einem Vierteljahrhundert spielt er in Bands. Als Veranstalter organsiert er seit 1999 das Indoor-Festival Punk im Pott und seit 2007 das Open Air Ruhrpott Rodeo. „Aus Spaß und weil ich Geld für die Familie verdienen muss“, sagt er. „Der Plan war: Du kannst dich auf die Musik konzentrieren, wenn du nicht nur Musik machst.“ Zum Punk im Pott 2012 kamen etwa 2000 Besucher. Das Open Air Ruhrpott Rodeo ist mit rund 8000 Besuchern größer. Schwers organisiert es zusammen mit zwei Kollegen.
Dieser Text ist zuerst vor drei Jahren im Heft Ruhrbarone #5 erschienen. Hier geht’s zum Blog der Ruhrbarone.