Debatte

Kommentar: Regionalmacht SPD

An der Ruhr ist die SPD, was sie eigentlich immer war: Die stärkste der Parteien. Doch das auf sehr niedrigem Niveau. Die erfolgreiche AfD-Kampagne in der Emscherzone hat Spuren hinterlassen. Und in den anderen Parteien spielt das Ruhrgebiet nur noch eine Nebenrolle: Gerade mal acht Prozent der Abgeordneten von CDU und FDP entstammen dem größten Ballungsraum des Landes.

von Christoph Schurian

Baum von Gestern© correctiv.ruhr (Christoph Schurian)

Vor den Landtagswahlen hatte das Ruhrgebiet mal wieder seine fünf Minuten Ruhm. Wie beim Anstandsbesuch bei armen Verwandten schauten die großen Medien im Wahljahr vorbei. Vor den Präsidentenwahlen in den USA hatten sie das auch schon gemacht und im „Rust Belt“ die Wähler von Donald Trump getroffen. Halboriginell wurde sich also über Kneipen in Essen-Karnap gewundert, wo neben Sozialdemokraten auch Rechte ihr Bier trinken. Man gruselte sich beim Rattenklatschen in der Dortmunder Nordstadt oder langweilte sich in der Ödnis Oer-Erkenschwicks.

Der ganz große Rechtsruck im Gebiet ist zwar ausgeblieben, die SPD ist im Revier stärkste Kraft mit 35 von 38 Wahlkreisen. Doch die Einzelergebnisse vor allem im Norden zwischen Duisburg und Herne sind erschreckend. Während SPD und Grüne im Großraum 16 Prozent weniger als vor fünf Jahren erreichten, profitierten davon vor allem die Rechtspopulisten. Die AfD ist im Ruhrgebiet 30 Prozent stärker als im Rest des Landes.

Rostlaube Emscherzone?

Lagen die Kollegen also richtig: Ist das Ruhrgebiet die Rostlaube Deutschlands, schwelt hier das Feuer der Verdammten für einen Umsturz von rechts? Wie in West Virginia. Oder in Pas de Calais?

Im gesamten Ruhrgebiet wohl nicht, in der Emscherzone schon: Eine hohe Zustimmung für rechts, niedrige Wahlbeteiligungen, vor allem in armen Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit und großem Anteil von Zugewanderten. Die SPD hat hier seit Jahrzehnten an Bindekraft verloren. In den nächsten Wahlen und Jahren kann sich dieses politische Vakuum weiter ausdehnen. Wenn nichts dagegen unternommen wird. Die Chancen für eine wirksame Gegenwehr stehen aber gar nicht mal schlecht.

Der SPD bleibt in den kommenden fünf Jahren nämlich gar nichts anderes übrig, als sich im Ruhrgebiet mit aller Macht wieder mehr Respekt zu verschaffen. Nicht aus strategischen Gründen, das auch. Sondern aufgrund der Faktenlage: Die NRW-SPD ist aus den für sie blamablen Landtagswahlen wieder als die Ruhrgebietspartei herausgekommen. Mehr als 50 Prozent der SPD-Abgeordneten verdanken ihr Mandat einem Wahlkreis im Pott. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Denn die anderen Parteien sind im Revier personell nur unterdurchschnittlich aufgestellt.

Ruhrthemen im Vordergrund

Die FDP hat fünf Ruhr-Parlamentarier, 18 Prozent ihrer Fraktion, die Grünen drei (21 Prozent der Fraktion), genau wie die AfD; inklusive dem früheren Briefkasten-Bochumer Marcus Pretzel sind es 18 Prozent der Sitze. Aufgrund vieler Direktmandate umfasst auch die Parlamentariergruppe Ruhr der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag nur drei Sitze. Sollte es zu einer schwarz-gelben Koalition kommen, sind von 100 Mandaten der Regierung gerade mal acht mit dem Ruhrgebiet verbunden.

Es bleibt den Genossen in NRW, vor allem denen zwischen Lippe und Ruhr deshalb nichts anderes übrig, als sich zu regionalisieren. Und alles auf das Ruhrgebiet zu konzentrieren. Sie haben schon damit begonnen, sie werden sich deshalb einen Landesvorsitzenden aus dem Ruhrgebiet suchen – designierter Kandidat ist der abgewählte Bauminister, der Oberhausener Michael „Mike“ Groschek. Vermutlich wird auch der Fraktionsvorsitzende aus dem Ruhrgebiet kommen. Der abgewählte Justizminister Thomas Kutschaty gilt hier als Favorit. Und sie werden die wesentlichen Themen im Ruhrgebiet in den Vordergrund rücken – Integrationskonflikte, zweiter Arbeitsmarkt, Bildungschancen, Infrastruktur und Industrie. Wenn sie es richtig anstellen, kann daraus ein Kampagne werden, die schon in den nächsten Monaten zündet. 

Wichtig ist das nicht, damit die SPD ein gutes Bundestagswahlergebnis erzielt. Wichtig ist eine regional neuorientierte SPD-Politik, weil es nach Lage der Dinge keine andere Partei gibt, die den erschütternden Trend an der Emscher aufhalten kann auf dem Weg zu Deutschlands „Rust Belt“.