Integration & Gesellschaft

Evet oder Hayir: Wer macht die Meinung?

Ja oder Nein: Am Sonntag entscheidet die Türkei über das geplante Verfassungsreferendum, über Präsidialsystem und Todesstrafe. Präsident Erdogan hat die Werbetrommel gerührt, die Opposition kam weniger zu Wort. Vor allem in der Türkei. Im Kopf-an-Kopf-Rennen der Befürworter und Gegner könnten Deutschtürken das Zünglein an der Waage sein. Ein Großteil von ihnen lebt in NRW. Welche Verbände haben Einfluss auf die Gemeinde? CORRECTIV.RUHR gibt einen Überblick.

von Hüseyin Topel

© CORRECTIV.RUHR

Die türkische Community in Deutschland ist grundsätzlich pluralistisch. Man findet Türken und Kurden aus jedem politischen Lager. Mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Deutschtürken allerdings ist laut Angaben des Essener Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) treue Stammwählerschaft der Regierungspartei AKP. Viele der früheren Gastarbeiter im Ruhrgebiet und ihre Kinder stammen aus einem konservativ-religiösen Milieu.

In der neuen Heimat haben sich Interessenvertretungen der türkischen Einwanderer früh gegründet und vernetzt. Es gibt große Dachverbände, zahlreiche Vereine und Initiativen. Sie beeinflussen und organisieren die Community in Deutschland. Viele von ihnen haben ihren Hauptsitz in Nordrhein-Westfalen. Doch wie haben sie sich im Kampf um die Landesverfassung positioniert? Und wie groß ist ihr Einfluss?

DITIB

Die Türkisch-Islamische Union (DITIB) mit Sitz in Köln Ehrenfeld, ist mit rund 930 Moscheevereinen bundesweit der größte deutsche Verband seiner Art. Er untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet – und die ist wiederum dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellt und damit mindestens indirekt Staatspräsident Erdogan.

In letzter Zeit ist die DITIB deshalb immer mehr in Verruf geraten: Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen Imame wegen Spionageverdacht gegen türkische Regierungsgegner. Zudem wird DITIB dafür kritisiert, dass die Imame bei Wahlkämpfen als Urnen-Beamte durch das Konsulat beschäftigt werden. Nichtsdestotrotz ist und bleibt die DITIB ein wichtiger Gesprächspartner – trotz der Anschuldigungen vertritt der Verband die größte muslimische Gemeinschaft in Deutschland.

Hintergrund: Inquisitoren im Namen Erdogans (CORRECTIV.Ruhr)

IGMG

Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) mit Sitz in Kerpen bei Köln, ist laut Selbstdarstellung eine der größten türkischen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die hauptsächlich als Moscheegemeinde agierende Organisation zählt beim islamischen Freitagsgebet insgesamt 350.000 Personen und betreut fast jede zehnte deutsche Moschee. Dadurch ist die IGMG nach der DITIB der größte Moscheenverband.

Imame der Milli Görüs stammen zum Teil, laut Kennern des Verbandes sogar zur Hälfte, aus der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Die IGMG vertritt eine Auslegungsform des Islams, auf die sich auch Staatspräsident Erdogan beruft. Milli Görüs-Gründer und Altministerpräsident Necmettin Erbakan war lange Zeit ein Mentor Erdogans.

Im Gegensatz zur DITIB wird die IGMG vom Verfassungsschutz beobachtet. Radikale Einstellungen scheinen im Verband allerdings abzunehmen.

ATIB

Die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine (ATIB) ist eine Art Ableger der DITIB. Ihre Imame, die nach eigenen Angaben in bundesweit 123 Moscheevereinen predigen, kommen zum Teil direkt aus der Türkei. Ähnlich also wie bei DITIB.

Im Vergleich zur DITIB ist die ATIB und auch die gesamte Gemeinde türkisch-nationalistisch. Die ATIB ist gewissermaßen eine religiöse Flanke der nationalistischen Bewegung.

AABF

Der am besten organisierte und strukturierte Verband von Migranten aus der Türkei ist die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF). Über 150 Ortsgemeinden sind angebunden. Der Dachverband mit Sitz in Köln, erhebt deswegen den Anspruch die alevitische Gemeinschaft in Deutschland geschlossen zu vertreten.

Das Bundesinnenministerium schätzt, dass der Verband etwa 275.000 Aleviten vertritt. Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2009 zählt insgesamt rund 500.000 Aleviten in Deutschland – von denjenigen, die die AABF kennen, fühle sich laut Studie jeder Dritte ganz und fast jeder Zweite teilweise vom Verband vertreten.

Der Grund dafür ist die Uneinigkeit in grundsätzlichen türkei-politischen Fragen. Zwar stellt sich die AABF als überparteilich dar – die alevitische Gemeinschaft ist aber in der Regel sozial-demokratisch bis links orientiert. Eine geschlossene Einheit kann die AABF vor allem dann erzeugen, wenn es gegen die AKP geht.

Vor dem türkischen Referendum positionierte sich die AABF mit einem klaren „Nein“, „da es sich (…) um eine Grundsatzentscheidung handelt und der Abbau der Demokratie droht, und die Aleviten sich einem freiheitlich-demokratischen Grundverständnis verpflichtet fühlen“, so eine Sprecherin des AABF.

*Der Dachverband der deutschen Aleviten war der einzige Verband, der auf die CORRECTIV.Ruhr-Anfrage reagiert hat. Alle anderen Vereine sind trotz wochenlangem Vorlauf jegliche Stellungnahme schuldig geblieben.

NAV-DEM

Die Föderation der Kurdischen Vereine in Deutschland YEK-KOM wurde 2014 umstrukturiert und erhielt im Zuge dessen auch einen neuen Namen. Seitdem existiert nun das Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM). In dieser Organisationsstruktur sollen laut Eigendarstellung die Zusammenarbeit von Frauen, Jugendlichen, verschiedenen kurdischen Religionsgemeinschaften und insgesamt 260 Vereinen und Einrichtungen koordiniert werden.

Diese Arbeit verrichtet NAV-DEM aus Düsseldorf und steht hinter den großen Kurden-Demonstrationen in Deutschland. Problematisch an NAV-DEM ist die offene Nähe zur verbotenen Terrororganisation PKK. Der Verfassungsschutz bezweifelt, dass mit der Umbenennung „eine wirkliche Neustrukturierung und Änderung der bisherigen Arbeit der PKK mit Blick auf die Bildung ‘legaler Strukturen’ verbunden sein wird.“ Der illegal tätige Funktionärsapparat der PKK beeinflusse unverändert ihr nahestehende legale Strukturen in Deutschland – hauptsächlich das NAV-DEM.

Türk Federasyonu

Auch bekannt als die Grauen Wölfe versammeln sich in der Türk Federasyonu Nationalisten und Sympathisanten der türkisch-nationalistischen Oppositionspartei MHP. Die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland wird auf 7000 Mitglieder geschätzt. Ihr Sitz ist in Frankfurt am Main. Gemäß der Vorgabe des MHP Führers Devlet Bahçeli, hat die Türk Federasyonu in Deutschland offiziell Wahlkampf für ein „Ja“ beim Referendum betrieben. Dennoch ist die Meinung in der Gemeinde eher gespalten. Es gibt eine schweigende Größe, die sich dem diktierten Konsens aus der Türkei widersetzt.

TGD

Die Türkische Gemeinde Deutschland (TGD) ist unter der Führung von Gökay Sofuoglu wieder erstarkt, nachdem sie zwischenzeitlich PR-Probleme hatte. Die TGD mit Sitz in Berlin vertritt bundesweit 260 Einzelvereine. Der Verein hatte sich früh gegen die geplante Verfassungsänderung in der Türkei positioniert und hunderte Veranstaltungen geplant und durchgeführt, um für ein „Nein“ beim Referendum zu werben. Die Mehrheit der Personen, die sich bei der TGD beteiligen, stehen der größten türkischen Oppositionspartei CHP nahe und idealisieren das kemalistische Leitbild einer laizistischen türkischen Republik.

UETD

Die Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD) ist der wichtigste Akteur der AKP in Deutschland und Europa. Besondere Stärke zeigt der Verein in NRW und im Ruhrgebiet. Ihr Hauptsitz ist in Köln-Porz.

Mit insgesamt 196 Ortsvereinen in Europa hat die UETD einen beachtlichen Einfluss auf die türkische Community. Über die UETD verfügt die AKP über eine bundesweite Infrastruktur, die sie für ihre Wahlkämpfe nutzen kann. So hat die UETD vor allem im Ruhrgebiet deutlich mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten Türken kostenlos zu den Urnen eskortiert. 

Die, für den Wahlkampf der AKP eingerichteten AKP-Wahlkoordinationszentren im Ausland (AK Parti Yurt Disi Secim Koordinasyon Merkezi) werden hauptsächlich von Repräsentanten der UETD geführt.

Hintergrund: Erdogans Integrationsblocker (CORRECTIV.Ruhr)