Von der Lkw-Wäsche in den Landtag
NRW erlebt eine dramatische Wahl. SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wird abgewählt. Armin Laschet gewinnt für die CDU. Zitterpartie um die Linkspartei. Unser Reporter ist vor Ort.
Die Sonne scheint, eigentlich beste Voraussetzungen für eine hohe Wahlbeteiligung in Nordrhein-Westfalen. Ich bin gespannt, was wird sich ändern? Raus aus dem „Engelbert & Strauss“-Anzug, rein in ein T-Shirt und Sakko und ab in den Landtag, um die Auszählung der Wahl zu verfolgen. Erschöpft von einer 40-Stunden-Woche, ist meine bislang einzige Motivation das hoffentlich kostenlose Essen, das mir versprochen wurde. Meine Stimmen habe ich bereits per Briefwahl abgegeben und damit meine Pflicht erfüllt.
Ich fahre in Bottrop los, nehme den Bus Richtung Oberhausen HBF und scheitere gemeinsam mit dem afrikanischen Busfahrer am Kopfrechnen um das Rückgeld für mein Bahnticket. Ich setze mich nach hinten und merke, dass auch schon die ersten Flüchtlinge bemerkt haben, dass die Coolen hinten im Bus sitzen. Meinen Platz hinten im Bus lasse ich mir jedoch nicht nehmen.
Der Regen: ein Zeichen?
Vorbei an den etlichen Wahlplakaten und den lächelnden, um Stimmen bettelnden Gesichtern denke ich, dass die Linke und die FDP die ehrlichsten Wahlplakate dieses Jahr hatten. Wenn ich mir das Plakat der Linken angucke sehe ich nur Rot, auf dem Plakat der FDP sehe ich einen selbstverliebten Lindner, der in jeder Pose zeigen möchte, wie toll er ist. Hätte ich vor einigen Jahren Geld für Plakate gehabt, als ich mit einer Wählergemeinschaft zu den Kommunalwahlen in Bottrop angetreten bin, hätte ich mich genauso dargestellt.
Nicht jeder kann oder möchte sich den besten Anzug leisten in NRW, umso mehr fordere ich eine Jogginghosen-Quote in jedem Parlament.
Einige dummen Gedankengänge später bin ich am Hauptbahnhof in Oberhausen und am Bahnsteig empfängt mich starker Regen. Entweder weint der Himmel ob des möglichen Einzugs der AfD in den Landtag, oder weil die SPD heute die Mehrheit verliert, oder weil die Piraten ausscheiden.
Einstieg in den Landtag
Später komme ich im Sonnenschein am Landtag an, die Polizei stellt Absperrungen auf, die Sicherheitskontrollen sind streng. Ich fühle mich cool, ich darf als einer von der Presse rein, bekomme nach einer Kontrolle am Eingang einen Presseausweis, der mir praktisch jede Tür öffnet und einen Arbeitsplatz im Plenarsaal garantiert.
Auf dem Weg in den Plenarsaal fange ich an zu träumen, vorbei an provisorisch eingerichteten WDR, ZDF und N-TV Studios. Vielleicht hätte ich es irgendwann als Politiker und nicht als Journalist hier rein geschafft? Vor Jahren habe ich in Bottrop die Wählerinitiative „Die Verfassungsschüler“ gestartet und nur knapp den Einzug in den Stadtrat verpasst. Aber irgendwie schaffe ich es immer überall rein, schließlich war ich vor einigen Wochen, unter einem Vorwand einen Film zu zeigen, das erste mal in einem Gymnasium. Und eine Hochschule habe ich auch schon von innen gesehen und das mit einem Hauptschulabschluss. Nur an der Discotür scheitere ich manchmal.
Während die Kollegen die Tastatur ihrer Macbooks streicheln, kloppe ich in die Tastatur meines Hewlett Packard.
Posten in Social Media
Ich bin zurück in der Realität; Facebook und Instagram verraten, dass ich im Landtag bin um ein paar Likes abzustauben und meine credibility zu erhöhen.
Mir wird langweilig, die ersten Ergebnisse lassen auf um 16 Uhr noch auf sich warten. Nach meinem Posting für Snapchat verlasse ich den Plenarsaal und laufe ziellos umher. Höre die ersten Gerüchte raus, Christian Lindner soll geweint haben. Vor Freude oder Trauer, weiß ich nicht. Ich schaue mir das Sicherheitspersonal und die Putzfrauen an, geschätzt 90 Prozent von ihnen sind türkischstämmig, immerhin haben sie es, genauso raffiniert wie ich, es in den Landtag geschafft. Kloppen und putzen können wir Türken bekanntlich gut.
Das Service Personal in der Mensa besteht zu gefühlt 90 Prozent aus Deutsch-Deutschen, dafür wären wir Türken wohl zu grob. Zufällig wird eine türkischstämmige Dame aus dem Sicherheitspersonal vor mir nach einem Interview angefragt. Ich freue mich und bin gespannt. Sie lehnt dankend ab und gibt dann noch einen Kommentar ab „Sanki baska isim yok ya“ (dt. „Als hätte ich nichts anderes zu tun“). Ich muss schmunzeln, typisch türkisch.
Hüda on Tour:
Endlich wird das Buffet eröffnet. Ich merke, dass die Kollegen genauso hungrig sind wie ich und stehe in der Schlange. Erst jetzt schaue ich mir das Menü für heute an und meine, dass etwas schief gelaufen ist. Für Veganer und Vegetarier ist etwas dabei. Für Fleischliebhaber Rindergluasch mit Röggelchen (was sind Röggelchen?), aber dann Berliner Currywust, Thüringer Bratwurst und Gebratene Mie-Nudeln? Im Landtag von Nordrhein-Westfalen? Ein NO-GO! Sollte die AfD heute einziehen, bin ich mir sicher, dass es in fünf Jahren nur noch westfälische Küche geben wird.
Obwohl ich im Ruhrgebiet aufgewachsen bin, kann ich nicht viel mit der westfälischen Küche anfangen. Es wäre toll, wenn man für mich den Döner und für die Araber Humus auf die Speisekarte nehmen würde.
Die Muff-Ecke bei der SPD
Mir ist echt langweilig. Ich beobachte die Studios der Fernseh-Sender und erkenne die Bundestagsabgeordnete der Linken Sevim Dagdelen. Ich spreche sie an und bitte sie um ein Statement. Sie fragt mich für welches Medium ich arbeite: CORRECTIV.Ruhr. Sie willigt ein, aber hat mir noch etwas zu sagen: Wegen einem Bericht, der auf CORRECTIV.Ruhr veröffentlicht wurde, wirft sie einem Kollegen vor „Dreckssack-Journalismus“ betrieben zu haben, ein Kurden-Hasser zu sein – weil er für die ZAMAN und somit für Fetullah Gülen geschrieben habe. Eigentlich würde ich gerne mit ihr über die steile These diskutieren. Aber nicht heute, heute stelle ich nur Fragen.
Es geht weiter, von Ecke zu Ecke. Ich möchte Stimmungen einfangen. Ich gehe zur SPD; es riecht muffig, vielleicht ist das Angstschweiß. In der Ecke der CDU riecht es besser, vielleicht weil hier Vorfreude herrscht. Abgelegen finde ich den Stand der Piraten und verwickele mehrere von ihnen in ein Abschiedsgespräch. Zudem staube ich noch ein paar Give-Aways ab, als persönliche Erinnerung an die Piraten.
Ich möchte von einem ihrer Vertreter erfahren, wieso die Piraten nicht den Hype von vor fünf Jahren halten konnten. Er erläutert mir die Fehler der Partei, aber auch die fehlende Unterstützung der Medien. Weiter im Gespräch kritisiert er den – angeblich verbotenen – Fraktionszwang in den Parlamenten. Damit erweckt er meine alten Sympathien zu der Partei. Es macht mich traurig, das jetzt schon feststeht, dass sie es nicht mehr schaffen werden. Der Regen heute Mittag war dem Abschied der Piraten gewidmet.
35 Prozent haben nicht gewählt
Ich verabschiede mich. Langsam sickern die ersten Infos durch: 65 Prozent Wahlbeteiligung. Der erste kleine Applaus. Ich frage mich, was es da bejubeln gibt. Es sind immer noch 35 Prozent zu wenig. Klar hat es einen Anstieg von rund fünf Prozent, aber ich frage mich, wieso die restlichen 35 Prozent nicht gewählt haben. Hatten sie keine Lust, keine Zeit oder keine Hoffnung auf einen politischen Wechsel? Oder ergeht es ihnen wie meinen Arbeitskollegen von der Lkw-Wäsche, wo ich derzeit hauptberuflich arbeite, die aufgrund der körperlich harten und langen Arbeit nicht jede Partei inspizieren können. Wir hatten immer wieder untereinander diskutiert, ob und wen wir wählen sollen.
Zurück im Plenarsaal bricht Jubel in der CDU-Ecke aus. Ich frage mich was los ist und gehe hin. Minuten langer Jubel – die ersten Wahlergebnisse werden eingeblendet. Armin Laschet hat gewonnen!
Wenn Armin Laschet gewonnen hat, bedeutet das, dass Hannelore Kraft verloren hat. Also ab in die SPD-Ecke, Beileid wünschen. Doch in die Muffnische der SPD komme ich jetzt kaum rein, zu viele Menschen strömen mit lang gezogenen Gesichtern raus. Eine Frau weint sogar. Ich bin begeistert, diese Frau muss für die Politik leben. Keiner möchte mehr mit mir reden.
Ich schwöre. CDU hat gewonnen
Ich begebe mich daher zurück an meinen Schreibplatz. Im Plenarsaal wird die Wahl live übertragen und ich sehe im WDR einen runden, rotköpfigen Herrn, den ich unten schon gesehen habe. Ich stürme raus und möchte ich ihn für CORRECTIV.Ruhr um ein kurzes Statement bitten. Ich finde ihn, dort, wo ich ihn im Fernsehen gesehen habe, spreche ihn an und bitte um ein Statement. Er bittet mich, seinen Namen vorher anzusagen. Ich bin aufgelaufen. Ich frage ihn, wie sein Name nochmal war. Er antwortet mir und ich verstehe nur „Hermann Grööööö“, CDU, und Gesundheitsminister. Fuck, ich habe meinen Gesundheitsminister nicht erkannt.
Ich starte das Video und sage ihn an: „Hermann Gröö“ und nuschele den Nachnamen einfach weg. Das war knapp, denke ich mir und ziehe mich zurück, um endlich das vorläufige Wahlergebnis analysieren zu können.
Meine Angst, dass die Wähler die Bundesregierung in den Landtagswahlen abstrafen wollen, hat sich meiner Meinung nach nicht bestätigt. Umso mehr haben die Wähler die SPD abgestraft. Insbesondere der Innenminister der SPD, Ralf Jäger, hat seinen Beitrag dazu geleistet. Gleichzeitig zieht die AfD in Landtag ein. Ich hoffe, dass die AfD genauso schnell aus dem Landtag verschwindet wie die Piraten.
Allerdings sollten wir die AfD-Wähler für ihre Wahl nicht verurteilen. Durch viele Gespräche in den letzten Wochen konnte ich erfahren, dass sie die Landesregierung abstrafen wollten. Das haben viele heute geschafft, auch ohne die AfD zu wählen.
Während meiner Analyse schallt ein weiterer Jubel bis in den Plenarsaal, gemeinsam mit den Kollegen stürmen wir raus. Obwohl das Ergebnis schon seit gut zwei Stunden feststeht, fragt ein junger Mann von der Secuirty, was passiert ist. Der Mann rennt zum Fernseher und schreit rüber: „Die CDU hat gewonnen!“ Ein Kollege will, dass der Mann schwört. „Ich schwöre die CDU hat gewonnen!“ Diese Jungs haben ihren Job heute gemacht.
Und mit dem Zitat „Ich schwöre die CDU hat gewonnen“, beende ich meine Reportage.
Zurück in die LKW-Wäsche
Morgen früh um 8 Uhr muss ich mein Sakko eintauschen, gegen einen Anzug von „Engelbert & Strauss“ und weiter Lkw waschen. Einen Wunsch möchte ich aber noch los werden: Es sollten mehr junge Menschen in den Parlamenten Platz finden, nicht als Sicherheitspersonal, sondern als Abgeordnete.
Abgeordnete, die auch mal gerne in Jogginghose aufkreuzen und die Politik für viele von uns wieder greifbar machen, denn seit ich in der Lkw-Wäsche arbeite habe ich nicht viel mitbekommen – außer die hohen Abzüge von meinem Lohn.