Integration & Gesellschaft

Russlanddeutsche und die AfD: die konservative Alternative

Die AfD konnte bei der Landtagswahl nicht nur in den sozial schwachen Wahlkreisen des Ruhrpotts punkten. Eine weitere Bevölkerungsgruppe erreichten die Rechtspopulisten erfolgreich: die Russlanddeutschen. Die Wahl in NRW ist dabei kein Einzelfall.

von Bastian Schlange

Die Homepage "Russlanddeutsche für die AfD NRW" wirbt auf deutsch und russisch.© Correctiv.Ruhr

Der Stadtteil Eichen in Waldbröl, eine Autostunde von Köln entfernt. Ein sozialer Brennpunkt in der 20.000-Einwohner-Stadt im Oberbergischen Kreis: hohe Arbeitslosigkeit und Kriminalität. In diesem Jahr gab es dort ein überdurchschnittlich hohes Wahlergebnis für die AfD: Die Rechtspopulisten holten hier 30,54 Prozent der Zweit- und 29,24 Prozent der Erststimmen im Stimmbezirk Maibuche-Eichen. Trotzdem unterscheidet sich Eichen von den AfD-Hochburgen im Ruhrpott – von Essen-Karnap oder Vogelheim, von Gelsenkirchen, Duisburg oder Oberhausen.

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Liebesgrüße aus Moskau. Im Bild (v.l.): der Essener AfD-Mann Guido Reil, Frauke Petry und Mucrus Pretzell.

Screenshot Correctiv.Ruhr

Denn im Gegensatz zu den sozialdemokratischen Herzkammern um Rhein und Ruhr verlor hier nicht die SPD ihre Stimmen, während die AfD gewann, sondern die CDU. Die AfD ließ in Waldbröl-Eichen die 30-Prozent-Marke hinter sich, die Christdemokraten schrumpften um fast 20 Prozentpunkte. Das wird allem Anschein nach daran liegen, dass statt Malocher eher Russlanddeutsche den Urnengang angetreten haben.

Die Wahlergebnisse im Ruhrgebiet von 2012 und 2017 im Vergleich

Helmut Kohl sei Dank

Traditionell wählen Russlanddeutsche CDU. Rund zwei Drittel der wahlberechtigten Aussiedler geben ihre Stimme den Christdemokraten, heißt es in einer Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Das lag an den gemeinsamen konservativ-christlichen Werten und an der Person Helmut Kohl. Der damalige Kanzler führte seiner CDU Hunderttausende dankbare Wähler aus der ehemaligen Sowjetunion zu. Denn vor allem er hatte sich zu Beginn der 90er Jahre für die Rückkehr der Aussiedler stark gemacht.

Doch die Bindekraft an die Partei lässt in den vergangenen Jahren nach.

Die Hochburg der Rechtspopulisten

Als unumstrittene AfD-Hochburg Deutschlands gilt seit der Landtagswahl 2016 die Stadt Pforzheim in Baden-Württemberg, wo die Rechtspopulisten über 24 Prozent holten. AfD-Hochburg in Pforzheim ist wiederum der Stadtteil Haidach-Buckenberg, in dem die Alternative für Deutschland auf 43,2 Prozent kam. Auf dem Haidach sind zwei von drei Anwohnern Russlanddeutsche. Während die AfD hier von null auf über 40 schoss, verlor die CDU rund 30 Prozentpunkte ihrer Stimmen.

Ein Phänomen, das sich bei der baden-württembergischen Landtagswahl nicht nur auf Pforzheim beschränkte. Auch im Rastatter Wahlbezirk Rheinau-Nord, in dem viele Aussiedler leben, hatte die AfD 41,2 Prozent geholt, die CDU landete dagegen bei kläglichen 14,2 Prozent.

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Rund 8500 Menschen leben in den Plattenbauten des Pforzheimer Höhen-Stadtteils Haidach, darunter etwa 5500 Deutsche aus Russland.

Correctiv.Ruhr

„Man sieht innerhalb der Umsiedler die AfD nicht so, wie wir sie sehen“, sagt Rolf Constantin, CDU-Stadtrat in Pforzheim, der sich seit drei Jahrzehnten für die Integration der Russlanddeutschen in die Stadtgemeinde einsetzt. „Sie empfinden die AfD nicht als negativ, sondern sagen, die Partei vertritt genau das Familienbild, das sie eigentlich leben wollen.“ Als Gründe für den Wählerwechsel nennt Constantin die offenere Ausrichtung seiner Partei.

Die Politik der Bundesregierung habe die Russlanddeutschen misstrauisch gemacht: Das liberalere Familienbild, das mittlerweile von der CDU vertreten wird, die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, das distanzierte Verhältnis zu Moskau und Putin. Sanktionen gegen Russland nach der Annexion der Krim führten für viele in einen Loyalitätskonflikt. Hinzu kommt die bundesweite Aufnahme von Flüchtlingen.

Die Ängste vor dem Islam

In der 120.000-Einwohner-Stadt Pforzheim leben derzeit knapp über tausend Asylsuchende in verschiedenen Unterkünften, davon 33 auf dem Haidach. „Angst spielt da eine entscheidende Rolle“, sagt Constantin. „Die AfD ist für Russlanddeutsche keine Partei, die irgendwo am rechten oder linken Rand steht. Sie haben nur das Gefühl, sie setzt sich ein. Sie merken, dass sie ein Stück weit gegen die Überfrachtung der Muslime ist und gegen die ungesteuerte Zuwanderung.“

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Waldemar Meser (li.) und der Pforzheimer CDU-Stadtrat Rolf Constantin in Mesers Schrebergarten auf dem Haidach.

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Der Islam ist in sechs Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wie Kasachstan oder Kirgistan, die dominierende Religion. „Die Russlanddeutschen, die aus diesen Ländern kommen, meinen zu wissen, wie sich das Ganze entwickelt“, sagt Waldemar Meser. Er kam vor gut vierzig Jahren von Irkutsk nach Pforzheim und engagiert sich zusammen mit Constantin für das gemeinsame Leben im Stadtteil Haidach. Die Bedenken gegenüber dem Islam seien groß, beschreibt er die gefühlten Ängste der deutsch-russischen Gemeinschaft. „Viele sagen: So lange die Muslime in der Minderheit sind, werden sie sich ruhig verhalten. Aber sobald sie eine starke Community bilden, dann fangen sie an, ihre Forderungen zu stellen.“

Der Vater der Russlanddeutschen

Auch in Waldbröl-Eichen in Nordrhein-Westfalen sind Asylsuchende in leerstehenden Wohnblocks untergebracht. In dem idyllischen Ort im Bergischen Land ist mindestens jeder sechste ein Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, im Stadtteil Eichen sind sogar vier von fünf Anwohnern Aussiedler oder haben einen entsprechenden Migrationshintergrund, ergab die Zählung einer Bürgerinitiative Ende der 90er-Jahre. Aktuellere Zahlen liegen der Stadt nicht vor.

Besonders seit den 90er-Jahren war Waldbröl Ziel vieler Spätaussiedler, was auf die politische Geschichte der Stadt zurückzuführen ist: Von 1975 bis 2002 saß Horst Waffenschmidt als Ratsherr im Stadtrat von Waldbröl. Der CDU-Politiker und langjährige Staatssekretär im Bonner Innenministerium war Aussiedlerbeauftragte der Kohl-Regierung und ließ sich gern als „Vater der Russlanddeutschen“ feiern. CDU-Broschüren in russischer Sprache gehörten zum Wahlkampfalltag in Waldbröl und erregten nicht annähernd so viel Aufsehen wie der Werbeversuch des kommenden Ministerpräsidenten Armin Laschet im diesjährigen Wahlkampf.

Die CDU versuchte es, die AfD schaffte es

„Wir kämpfen für Ihre Rente!“, textete vor der Landtagswahl die CDU auf Russisch in dem Magazin Rejnskoe Vremja („Rheinische Zeit“). Dazu ein Bild von Armin Laschet: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, bald sind Landtagswahlen in NRW und es steht einiges auf dem Spiel – zum Beispiel die Rente für Spätaussiedler.“ Ganz gezielt hatten die Christdemokraten versucht, die Gemeinden der Aussiedler in NRW anzusprechen. In Nordrhein-Westfalen leben derzeit knapp eine Millionen Aussiedler der ersten und zweiten Generation aus der ehemaligen Sowjetunion, so die aktuellsten Zahlen des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration.

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Wahlaufruf der Russlanddeutschen für die AfD NRW

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Dieses Wählerpotential versucht auch die AfD zu erschließen – mit sichtlichem Erfolg, wie die Ergebnisse der NRW-Wahl zeigen. In den Paderborner Stadtteilen Kaukenberg und Auf der Lieth liegt der Bevölkerungsanteil von Aussiedlern bei über 20 Prozent. Während im gesamten Wahlkreis Paderborn II die AfD auf lediglich 5,88 Prozent der Stimmen kam, erlangte die Partei in den beiden Stimmbezirken mehr als das Dreifache. In den Bielefelder Stadtteilen Sennestadt und Heepen das gleiche Spiel: Bei einem Aussiedleranteil von über 20 Prozent kam die AfD auf mehr als das Doppelte der Stimmen als im Rest der Stadt. Und während Düsseldorf den Rechtspopulisten lediglich 6,3 Prozent ihrer Zweitstimmen gab, kamen einige Straßenzüge im Aussiedler-Stadtteil Garath auf über 20.

Russlanddeutsche für die AfD NRW

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Die Homepage „Russlanddeutsche für die AfD NRW“ wirbt auf deutsch und russisch.

Screenshot Correctiv.Ruhr

Das AfD-Wahlprogramm wurde für mehrere Landtagswahlen ins Russische übersetzen. Auf der Internetseite Russlanddeutsche für die AfD NRW heißt es auf Deutsch und Russisch:

„Die steigende Straßenkriminalität, die Frühsexualisierung unserer Kinder, die Ukraine-Krise, die harte Linie Angela Merkels gegenüber Russland, eine zunehmende Faktenverdrehung in deutschen Medien und nicht zuletzt das Asylchaos haben ihnen Angst um die Zukunft gebracht. Angst, alles zu verlieren, Angst um ihre Frauen, ihre Kinder und vor allem Angst vor dem Terror. Nun haben die Russlanddeutschen den Eindruck, daß die Regierung auf die aktuellen Gefahren inkompetent und fahrlässig reagiert, und daß sich ihre neue, alte Heimat Deutschland in ernster Gefahr befindet. Das treibt sie auf die Straße und in Opposition zu den Berliner Konsens-Parteien.

Die Russlanddeutschen befinden sich momentan auf der Suche nach einer Partei, die ihre Belange und Interessen vertritt und für konservative sowie christliche Werte eintritt. Die Partei soll für die Interessen der Familien, gegen eine potentiell bedrohende Islamisierung Deutschlands und für eine ausgewogene Innen- und Außenpolitik im Interesse Deutschlands stehen. Diese Kriterien erfüllt mit der ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND nur eine Partei und das ist damit auch der Grund, warum sich immer mehr Russlanddeutsche der AfD zuwenden.“

„Unsere Community ist gespalten“, sagt Waldemar Meser. „Die erste große Welle an Russlanddeutschen kam ab 1974 nach Pforzheim. Da funktionierte die Integration gut. Es gab Sprachkurse und Arbeit. Die, die dann in den Neunzigern kamen, kamen überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen. Und waren stärker Russland verbunden.“

Der Einfluss russischer Medien

Spätaussiedler, also Aussiedler die nach 1990 aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland zurückkehrten, haben in der Regel mit größeren Integrationshürden zu kämpfen. Den meisten nach Kasachstan oder Sibirien deportierten Russlanddeutschen war es bei Androhung schwerster Strafen verboten, deutsch zu sprechen. Dies hat auch zu Defiziten bei der Sprache in den Folgegenerationen geführt. Auch noch in Deutschland werden vorzugsweise russische Medien wie RTR, Russia24 oder Channel One Russia konsumiert.

Das spielt mit Blick auf die gesellschaftlichen Vorstellungen und Ängste natürlich eine große Rolle. Zu den dominierenden Themen in den russischen Medien gehören immer wieder: die Verweichlichung und sogenannte Verschwulung der deutschen Männer – zum Beispiel nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht. Und die angebliche Gefahr durch Flüchtlinge. Islamophobie wird mit Falschmeldungen und Propaganda geschürt: Der Fall der damals 13-jährigen Russlanddeutschen Lisa aus Berlin-Marzahn, die, wie russische Medien behaupteten, von einem Flüchtling verschleppt und vergewaltigt worden sei, brachte im Januar vergangenen Jahres zeitgleich Aussiedler in ganz Deutschland auf die Straße.  

Kein Zufall, meint Meser. Auch in Pforzheim demonstrierten viele Russlanddeutsche. Er selbst habe eine WhatsApp-Nachricht erhalten und „es gab auf Russisch einen Aufruf im Internet“. Der Fall Lisa, der von russischen Medien gezielt zur Hetze gegen Flüchtlinge und deutsche Staats- wie Medienorgane genutzt wurde, stellte sich als Lügengeschichte heraus. Das junge Mädchen wurde weder verschleppt noch vergewaltigt. Es hatte sich lediglich nach schlechten Noten nicht nach Hause getraut.

Irrationale Ängste

Vieles scheint irrational und absurd an den Ängsten, mit denen in der Community der Russlanddeutschen gespielt wird: Buckenberg-Haidach gilt laut dem zuständigen Polizeipräsidium in Karlsruhe als einer der sichersten Stadtteile in Pforzheim. Trotzdem gründete im vergangenen Jahr der vorbestrafte Russlanddeutsche Andreas Fabrizius (im Video unten), der auch die Demonstration zum Vorfall Lisa in Pforzheim organisiert hatte, die Buckenberger Bürgerwehr.

Geringe Kriminalität, große Sorgen – das gilt auch für Marzahn-Hellersdorf. Nach der jüngsten Statistik der Stadt ist der Berliner Bezirk, in dem neben Lisa etwa 30.000 Russlanddeutsche leben, einer der sichersten in ganz Berlin. Die AfD kam genau hier bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr auf 23,6 Prozent.

Neben den Kernthemen der AfD – Sicherheit und konservative Werte, Überfremdung, und Flüchtlinge – die in den russischen Medien bespielt werden, wird die Partei auch gern direkt hofiert. Russische Staatsmedien mögen die AfD. Das gilt allerdings für Rechtspopulisten aus ganz Europa. „Die russische Medien unterstützen die AfD, weil das halt passt. Die unterstützen alles, was Europa spalten kann“, sagt Rolf Constantin.

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Die AfD wirbt um die Community der Russlanddeutschen.

Screenshot Correctiv.Ruhr

Über vier Millionen Aussiedler leben in Deutschland, etwa zwei Drittel kamen nach 1990 ins Land. Eine Gruppe, die zur anstehenden Bundestagswahl wichtig werden könnte, doch von Politik und Integration vergessen zu sein scheint. Und die nun eine neue Heimat bei den Rechtspopulisten der AfD gefunden hat.

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