„NSU-Untersuchung muss fortgesetzt werden“
Der nordrhein-westfälische Landtag hat am Montag den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses veröffentlicht. Der Anwalt der Familie des NSU-Opfers Mehmet Kubaşık bezeichnet das Ergebnis als enttäuschend.
Seit Dezember 2014 hat sich der NSU-Untersuchungsausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag mit den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds, ihrem möglichen Unterstützer-Netzwerk und dem Handeln der Behörden auseinandergesetzt. Am Montag veröffentlichte der Landtag nun den Abschlussbericht: Die mehr als zwei Jahre Ausschuss-Arbeit füllen 1150 Seiten.
Darin geht es auch um die Entwicklung der rechtsextremen Szene in Nordrhein-Westfalen seit Beginn der 1990er Jahre, um einzelne Neonazi-Kameradschaften und um rechtsterroristische Strukturen. „Das ist eine beeindruckende Materialsammlung zur radikalen Nazi-Szene mit Verbindungen ins NSU-Umfeld“, sagte NSU-Opferanwalt Carsten Ilius am Dienstag bei einer Gedenkkundgebung für Mehmet Kubaşık in Dortmund, der am 4. April 2006 das achte Opfer der rechtsextremen Mordserie wurde.
„Der Bericht enthält viele einzelne Indizien und Nachweise dafür, dass es Verbindungen gegeben haben muss. Leider enthält er wenige politische Schlussfolgerungen.“ Die Indizien würden im Abschlussbericht nicht zu Thesen für direkte Kontakte zum NSU verdichtet, so Ilius. „Dafür finden sich dort pauschale Aussagen dazu, dass es keine Beweise für eine Unterstützung aus der Szene gegeben hat. Das finde ich enttäuschend. All das sehr gute Material, das im Bericht zusammengetragen wurde, wird leider nicht vernünftig zu Thesen in Bezug auf das NSU-Netzwerk und zu politischen Forderungen kanalisiert.“
Terrorzelle um Dortmunder Neonazis
„Meiner Meinung nach erwächst aus dem Bericht eigentlich das Material, um den Ausschuss fortsetzen zu müssen“, sagt Carsten Ilius. Dazu seien aber nicht genügend weitergehende Fragestellungen formuliert worden. „All die Widersprüche, die der Verfassungsschutz in Bezug auf die Beobachtung der in Dortmund entstehenden Combat 18-Zelle aufgeworfen hat, schreien eigentlich nach einer Fortsetzung“, befindet der Anwalt. Der Bericht klinge aber so, als würde der Ausschuss die Arbeit als abgeschlossen betrachten.
„Combat 18“ ist der bewaffnete Arm des in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“. Zwischen 2003 und 2006 haben Neonazis rund um die Rechtsrock-Band „Oidoxie“ auch in Dortmund einen Ableger des rechtsextremen Terror-Netzwerks aufgebaut.
Am Tag nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts gingen in Dortmund laut Polizeiangaben rund 300 Menschen auf die Straße. Zum elften Mal jährte sich die Ermordung von Mehmet Kubaşık durch den NSU. Zum fünften Mal veranstaltete ein breites Bündnis anlässlich des Todestages den „Tag der Solidarität“.
Die Gedenkdemonstration begann mit einer Schweigeminute am Tatort, Mallinckrodtstraße 190. Hier hatte Mehmet Kubaşık bis zu seiner Ermordung einen Kiosk betrieben, hier wurde er mutmaßlich von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen. Vor dem kleinen Lokal erinnert heute ein Gedenkstein an den Familienvater. Nachdem seine Witwe Elif, seine Tochter Gamze Kubaşık und viele andere Menschen dort Blumen niedergelegt hatten, lief die Gedenkdemonstration dann schweigend zum Dortmunder Hauptbahnhof.
Opfer in den Vordergrund rücken
Vor dem Mahnmal für die Opfer des NSU hinter dem Hauptbahnhof fand die Abschlusskundgebung statt. Auf dem Denkmal vor der Steinwache wird an die zehn Opfer des NSU namentlich gedacht. „Nicht die rassistische Terrorgruppe, sondern die Opfer und ihre Angehörigen gehören in den Vordergrund“, sagte ein Redner des Gedenk-Bündnisses. Seit der Selbstenttarnung des NSU habe es eine starke Fokussierung auf die Täter gegeben.
„Statt den Fokus auf das Leid der Familien und die Geschichten der Opfer zu legen, wird lieber Beate Zschäpes Lügenmärchen von ihrer Abhängigkeit und Unschuld diskutiert“, erklärte er. Es sei wichtig, zu wissen, dass Mehmet Kubaşık nicht nur das achte Opfer der NSU-Mordserie war, sondern auch ein Ehemann und Vater, ein Mensch mit Vorstellungen und Hoffnungen.
Das Bündnis will den Blick außerdem weiter auf die Behörden lenken. Nicht nur in Dortmund wurden die Angehörigen der NSU-Opfer von den Ermittlungsbehörden immer wieder zu Verdächtigen erklärt. Für das Dortmunder Gedenkbündnis ist klar: „Institutioneller Rassismus ist auch heute noch Bestandteil polizeilicher Ermittlungen. Darum heißt Erinnern für uns immer auch kämpfen.“
Update, 5.4.2017: Auf Nachfrage von Correctiv.Ruhr hat sich die Piraten-Fraktion im Düsseldorfer Landtag zu der Forderung geäußert. Abgeordneter Dirk Schatz sagte: „Es ist auf jeden Fall Aufklärung nötig, das sehen wir auch so. Aber ob ein Untersuchungsausschuss Sinn ergibt, ist fraglich: Die zurückliegenden Untersuchungen haben gezeigt, dass Aufklärung im Rahmen eines Untersuchungsausschusses an Grenzen stößt. Besser wäre es, wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft auf Grundlagen der Erkenntnisse weitere Ermittlungen anstrengen.“ Schatz ist stellvertretender Sprecher des Ausschusses, der maßgeblich von den Piraten initiiert wurde.