Ich kann das Bedürfnis gut verstehen, zu hoffen, dass alles doch harmloser ist als befürchtet.
Ist Trump wirklich so schlimm, wenn er ab Montag wieder Präsident der USA sein wird? Will Russland Europa dominieren oder doch nur ein bisschen erobern? Und ist das mit dem Hass auf den sozialen Plattformen wirklich so demokratiegefährdend? Es wäre natürlich schöner, wenn die Politik draußen nicht ganz so krass wäre.
Als Alice Weidel letzte Woche auf dem AfD-Parteitag sagte: „Und wenn das dann Remigration heißt, dann heißt das eben Remigration!“ und in derselben Halle schon ausgedruckte Werbeflyer hochgehalten wurden, die ein „Abschiebeticket“ zeigen, war mein Gedanke: Harmlos ist da gar nichts.
In derselben Woche kamen bei uns einige fragende E-Mails an, ob das denn jetzt stimme, dass das Potsdam-Treffen denn doch harmloser war als wir es beschrieben haben. Eine FAZ-Reiseblatt-Journalistin schrieb in einem Kommentar, dass es ja nur „ein zusammengewürfeltes Treffen rechter Netzwerker“ gewesen sei. Ja, schön wäre es.
Aber es ist nicht harmlos. Ein Jahr später zeigt sich die AfD radikaler als je zuvor und nutzt genau den Begriff, der in Büchern und Vorträgen der völkischen Vordenker mit Millionen Menschen verbunden wird, die aus Deutschland raussollen.
Übrigens zum Hass in den Sozialen Medien: Gestern wurde eine Studie der Organisation HateAid veröffentlicht, die zeigt, wie die Sprache des Hasses und der digitalen Drohungen unseren Diskurs nachweislich vergiftet. Dieser Kommentar der FAZ zeigt klar, welche Gefahr darin steckt, wenn die Betreiber der Plattformen dem Hass noch mehr Raum geben anstatt ihn einzuhegen.
Jeder und jede geht anders mit Problemen oder Missständen um. Wir bei CORRECTIV schauen ihnen ins Auge. Um daraus Schlüsse ziehen zu können, wie sie zu lösen sind. Gern konkret.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein erholsames Wochenende und lassen Sie sich von den Empfehlungen der Woche inspirieren.
Mit besten Grüßen
Ihr
Rechtsextreme Angriffe auf Wikipedia
Rechtsextreme haben offenbar jahrelang gezielt versucht, die deutschsprachige Wikipedia umzuschreiben. Mit mehr als 700 Fake-Accounts sollen sie versucht haben, Inhalte in ihrem Sinne zu verändern. Im SWR-Podcast gehen die Investigativjournalisten der Frage nach, wer hinter diesen Angriffen steckt und wie vertrauenswürdig die freie Enzyklopädie heute noch ist.
Sockenpuppenzoo (ardaudiothek.de)
Die Banalität des Bösen
Der ukrainische Geheimdienst hat Tausende Telefongespräche abgehört, in denen russische Soldaten ihren Familien von der Front berichten. Die Regisseurin Oksana Karpovychs verbindet die Mitschnitte mit eindringlichen Bildern von der Zerstörung in der Ukraine.
Abgehört (arte.tv)
Das PFAS-Problem
PFAS, auch bekannt als „Ewigkeitschemikalien”, verschmutzen Böden und Gewässer weltweit – mit immensen Kosten für Umwelt und Gesundheit. Doch wer trägt die Verantwortung? Süddeutsche Zeitung und die ARD zeigen, wie die giftige Substanz unser Leben beeinflusst, warum die Sanierung so schwierig ist und wer am Ende für den Schaden aufkommt.
Das Billionen-Euro-Problem (sueddeutsche.de, €)
Vergiftet – Die Macht der Chemielobby (ardmediathek.de, Video)
Die Brandmauer fällt
Herbert Kickl von der rechtsextremen FPÖ könnte der erste Kanzler in der Geschichte seiner Partei werden. Vor 25 Jahren, als die FPÖ das erste Mal Teil der Regierung in Österreich wurde, war der Aufschrei noch groß. Inzwischen sind die Reaktionen „abgestumpft” und „resigniert”, sagt die Historikerin Margit Reiter. Reiter erklärt im Interview mit dem Spiegel, wie die Partei in der Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Wurzeln gescheitert ist.
»Ich lehne den Begriff ›rechtspopulistisch‹ für die FPÖ ab, weil er mir zu verharmlosend erscheint« (spiegel.de, €)
Arzt vor Gericht
Ein ostfriesischer Frauenarzt, bereits wegen des Todes eines Kindes verurteilt, steht erneut im Fokus: Hat er einen weiteren Behandlungsfehler bei einer Geburt gemacht? Die Ostfriesen-Zeitung rekonstruiert den Fall in einem mehrteiligen Podcast „Risiko Geburt – Ein ostfriesischer Frauenarzt vor Gericht“.
Hat ein ostfriesischer Arzt noch ein Kind in Gefahr gebracht? (oz-online.de, Audio)
CORRECTIV Inside
Bei Nachrichten kommt es ja auch immer aufs Timing an. Diese hier hatte offensichtlich nicht den Effekt, den sich der Linken-Chef Jan van Aken erhofft hatte. Sicherlich auch, weil sie ein paar Jahre zu spät kommt. Für uns war die Meldung dennoch ein bisschen spannend. Darum geht’s: Jan van Aken, Spitzenkandidat der Linken, hat im Spiegel-Gespräch zugegeben, dass er die Quelle für ein Leak war, das 2016 viel Aufsehen erregt hatte. Greenpeace veröffentlichte damals die Geheimpapiere der umstrittenen TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU. Vielleicht erinnern Sie sich: Alle sprachen damals über das geplante Freihandelsabkommen. Es gab riesige Demos, politisch war es ein Aufregerthema. Auch wir hatten damals einen eigenen TTIP-Schwerpunkt. Wir waren mit die Einzigen, die einfach zu den Verhandlungen hingefahren sind und damals exklusiv davon berichtet haben. Auch wir hatten unsere Quellen und machten geheime Verhandlungsdokumente der Öffentlichkeit zugänglich. Die EU hat daraufhin sogar ihre Transparenz-Regeln verändert. Kurzum: Natürlich war es für unser Recherche-Team, vor allem meine Kollegin Marta Orosz (mittlerweile bei Frontal) und mich, jetzt spannend zu lesen, dass sich Jan van Aken als derjenige zu erkennen gab, der damals das Leak weitergab, das dann von unserer Konkurrenz veröffentlicht wurde.
Aber wahrscheinlich waren wir eine der ganz wenigen. Denn die Nachricht verploppte mehr oder weniger. Vor sechs oder acht Jahren wäre es sicher ein großes Thema gewesen. Was hat sich Aken wohl davon versprochen, jetzt damit rauszukommen? Vielleicht ein paar Sympathie-Punkte für den Wahlkampf? Ob er die nun bekommt oder nicht: jedenfalls zeigt diese kleine Anekdote, wie Nachrichten-Zirkel funktionieren. Es kommt eben auf den Zeitpunkt an.
Deine Stimmen, deine Themen: Ergebnisse
Klimaschutz, nachhaltiges Wachstum, Maßnahmen gegen Extremwetter: Über solche Themen sollte im laufenden Wahlkampf zur Bundestagswahl mehr gesprochen werden. Das ist das Ergebnis von verschiedenen Umfragen, die CORRECTIV zusammen mit sechs Lokalmedien in vier Bundesländern durchgeführt hat.
correctiv.org
Gründung neuer AfD-Jugendorganisation
Die AfD hat ihre rechtsextreme Parteijugend mitten im Bundestagswahlkampf abgestoßen. Eine ungewöhnliche Entscheidung, die wohl Folgen für mögliche Verbotsverfahren haben wird.
correctiv.org
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Marie Bröckling und Finn Schöneck.
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