Liebe Leserinnen und Leser,
im Thema des Tages geht es heute um einen Vorgang aus der Hauptstadt – der allerdings sinnbildlich für das ganze Land steht: Auf der einen Seite werden öffentliche Gelder für Kitas, Spielplätze und Kultur gekürzt. Auf der anderen Seite ist Geld für riesige Sportevents da. In Berlin aktuell für ein Football-Spiel.
Gestern habe ich Sie an dieser Stelle gefragt, ob Sie zuletzt für eine Partei gespendet haben, an welche und warum? Viele von Ihnen haben mir geantwortet, vielen Dank dafür! Das Ergebnis ist eindeutig: Fast alle, die geschrieben haben und an eine Partei gespendet haben, geben an, das Geld sei an die Grünen geflossen. Ein Einziger spendete an die SPD. Und dann gibt es eine Handvoll, die schreiben, einer Partei würden sie kein Geld geben, dann doch lieber gemeinwohlorientierten Einrichtungen (zum Beispiel CORRECTIV :-)) – auch hierfür vielen Dank.
Außerdem im SPOTLIGHT: In unserer Rubrik „Gute Sachen“ zeigen wir jeden Tag, wo sich gesellschaftlich etwas zum Positiven bewegt. Heute geht es darum, dass Rentner bald mehr in der Tasche haben. Und in einem neuen „Denkanstoß“ ordnet Migrationsexperte Carsten Wolf ein: Wie wahrscheinlich ist es, dass viele Schutzsuchende aus Syrien jetzt in ihr Heimatland zurückkehren?
Was bewegt Sie? Schreiben Sie mir: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Dafür hamse Geld
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Denkanstoß: Würden Sie zurückgehen? Über das aktuelle Wahlkampf-Geplänkel zu Syrien
In der Hauptstadt ringen die Mitglieder des Senats (dem Pendant zum Landtag in anderen Bundesländern) seit Wochen darum, wie viel öffentliches Geld im nächsten Jahr für was ausgegeben wird.
Wo gekürzt werden soll:
Klar ist: Die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker wollen unter anderem kräftig an der Sanierung von Kitas und Spielplätzen sparen. Genauer gesagt sollen ein Drittel der hierfür geplanten Ausgaben wegfallen, rund zwölf Millionen Euro. Ausführlicher steht dies und anderes zu den Haushaltsplänen in diesem Bericht des RBB.
Weniger stark gespart als zunächst angekündigt wird dagegen an der Kultur und bei der Verkehrssicherheit.
Wofür Geld da ist:
Für einige Aufregung sorgt gerade heute, dass der Berliner Senat 12,5 Millionen Euro (also ziemlich genau die Summe, die an Kita- und Spielplatzsanierungen eingespart wird) ausgeben will, um ein Football-Spiel in der Hauptstadt stattfinden zu lassen. Das hat mein Kollege Jonathan Sachse heute Morgen schon in Sozialen Netzwerken thematisiert.
Bei einer Pressekonferenz in Berlin wurde dies eben, kurz vor unserem Redaktionsschluss, offiziell bestätigt (und die BILD-Zeitung feierte es prompt).
Welche Begründung es dafür gibt:
Wenn Steuergelder für Sport-Großereignisse ausgegeben werden, argumentieren die Entscheider aus der Politik: Das locke Touristen an, sei also eine Investition in die lokale Wirtschaft.
Aber stimmt das?
Nein. Im vergangenen Sommer, anlässlich der Männer-Fußball-EM, haben wir recherchiert (hier nachzulesen), dass die wirtschaftlichen Effekte solcher Sport-Großereignisse sehr viel kleiner sind als immer wieder angegeben wird.
Scholz beantragt Vertrauensfrage
Der erste richtige Schritt zu den Neuwahlen ist gemacht: Olaf Scholz hat offiziell die Vertrauensfrage beantragt.
zeit.de
Zur Lage in Syrien
In Syrien überschlagen sich die Ereignisse. So setzten Islamisten etwa die Grabstätte von al-Assads Vater in Brand. Spiegel-Journalisten sind vor Ort und berichten im Liveblog.
spiegel.de
Brandenburg: Woidke wiedergewählt
In Brandenburg ist der SPD-Politiker Dietmar Woidke im zweiten Wahldurchgang wiedergewählt worden.
mdr.de
Echtzeit-Gesichtserkennung soll kommen
Bilder hessischer Überwachungskameras sollen künftig automatisch live nach bestimmten Personen durchsucht werden. Die Bundes-CDU fordert ähnliches.
netzpolitik.org
Stellen Sie sich selbst die Frage: Würden Sie gehen? In ein Land, das gerade aus dem Albtraum von zehn Jahren Bürgerkrieg erwacht ist. In dem mehr als 500.000 Menschen getötet wurden, darunter Freunde und Verwandte. In dem Städte und Dörfer in Schutt und Asche liegen. Und mit einer völlig unberechenbaren Rebellenregierung.
Die Antwort ist natürlich: Nein. Deshalb ist es eher Wahlkampf-Geschepper, was gerade in Deutschland diskutiert wird.
Die Situation in Syrien ist kompliziert und wird es bleiben. „Die Vorstellung, dass Millionen Syrer zurückgehen, ist reine Fantasie“, sagt der türkische Migrationsforscher Murat Erdogan im Tagesspiegel.
Und das zeigt auch eine Mini-Umfrage unter Bekannten. Nur ihr Mann denke noch an Rückkehr, erzählt mir eine syrische Mutter, deren Töchter hier gerade Abitur machen. „Wir warten mindestens noch zwei Jahre, bevor wir vielleicht zurückgehen“, erzählt mir eine andere. Die Tochter wolle gar nicht mehr zurück.
Und rechtlich ist das abgesichert. Eine Million Syrerinnen und Syrer leben in Deutschland. Davon haben etwa zwei Drittel eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Theoretisch könnte diese enden, wenn sich die Situation in Syrien grundlegend ändert. Aber: Für einen Widerruf gelte ein strengerer Beweismaßstab als im anfänglichen Asylverfahren, sagt Migrationsexperte Constantin Hruschka in der SZ. „Der Staat muss beweisen, dass für den Betroffenen kein Risiko mehr herrscht.“
Und auch dann wird den Betroffenen vermutlich eine Alternative angeboten, zum Beispiel eine Beschäftigungserlaubnis zu Erwerbszwecken, sagt Arbeitsmarktexperte Wido Geis-Thöne der Tagesschau. Schon heute arbeiten rund 300.000 Syrer in Deutschland, davon 80 Prozent in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Viele von ihnen bekämen vermutlich dieses Angebot.
Das Ganze wäre für Deutschland nicht ohne Eigennutz. Auch wenn der Arbeitsmarkt ohne Syrer nicht in eine Krise stürzen würde. In einigen Bereichen sind sie relevant: Zum Beispiel arbeiten knapp 6.000 syrische Ärztinnen und Ärzte hier. Sollten viele von ihnen zurückgehen, würde das besonders Krankenhäuser in kleineren Städten, zum Beispiel in Thüringen, vor große Probleme stellen.
Aber, wie gesagt, das ist nicht zu befürchten. Die meisten Syrerinnen und Syrer werden bleiben. Das zeigen auch frühere Fluchtbewegungen. Das Einzige, was auf jeden Fall zurückkehrt, wird die verquere Debatte darüber sein.
Unser Gast-Autor ist außerdem Redakteur beim Mediendienst Integration.
Nach dem Sturz der Regierung in Syrien berichten russische Staatsmedien, dass der ehemalige Machthaber Baschar al-Assad und seine Familie sich nun in Moskau aufhalten. Ein Bild, das Assad und dessen Frau in Russland zeigen soll, ist jedoch alt und entstand in Syrien.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Waffenruhe, Feuerpause, Waffenstillstand – über diese Begriffe sind Sie bestimmt auch in den letzten Wochen gestolpert. Aber was bedeutet eigentlich was? Das erklärt unsere Jugendredaktion Salon5 in diesem Instagram-Feedpost:
Salon5 (Instagram)
So geht’s auch
Gute Nachrichten zum deutschen Rentensystem gibt es nicht so oft, daher sollten wir diese hier am besten mehrfach lesen, damit sie eine Weile nachklingt: Die Netto-Rente wächst im kommenden Jahr. Möglich wird das durch das kürzlich verabschiedete Jahressteuergesetz.
merkur.de
Fundstück
Wo sind die berühmtesten Menschen der Welt geboren? Auf dieser interaktiven Karte werden Sie fündig:
tjukanovt.github.io
Deutschland muss die Energiewende vorantreiben, doch wie schwierig die Umsetzung ist, wie stark die Macht der Energiewirtschaft und wie wenig kommunale Politik im Einzelnen ausrichten kann, zeigt ein aktueller Fall aus Baden-Württemberg.
Seit 2018 gibt es dort Streit um ein Stromnetz. Damals schrieben zehn Gemeinden die Konzessionen für das Netz neu aus und vergaben es im Anschluss an die Badenova. Doch der bisherige Betreiber, die Naturenergie, weigerte sich, die Netze herauszugeben – bis heute. Trotz zweier Gerichtsurteile, die die Übergabe bestätigen. Das Pikante daran: Die Naturenergie ist eine Tochter der ENBW, an der auch das Land Baden-Württemberg beteiligt ist.
„Wir sind nach eingehender Prüfung zu dem Entschluss gekommen, dass wir diesen Forderungen nicht nachkommen werden“, heißt es in einer E-Mail der Naturenergie an die betroffenen Gemeinden. „Das hier politisch Entscheidungen und Gerichtsentscheidungen nicht akzeptiert werden, das ärgert mich schon massiv“, sagt Andreas Schneucker, Bürgermeister von Binzen, eine der betroffenen Gemeinden, gegenüber CORRECTIV. Fraglich sei auch, inwieweit der Rechtsstreit die Energiewende in der Region ausbremse, so Schneucker.
„Wir brauchen immer mehr Strom für Wärmepumpen und PV-Anlagen. Dafür müssen die Netze ausgebaut werden.“ Angesichts der aktuellen Lage sei es fraglich, ob Naturenergie diese Investitionen noch tätigen werden. In der E-Mail von Naturenergie an die Gemeinden heißt es dazu: „Im Übrigen versichern wir Ihnen, dass wir das Stromnetz in Ihrer Gemeinde selbstverständlich weiterhin sicher und zuverlässig betreiben und zukunftsfähig machen werden.“ Bürgermeister Schneuker hofft auf eine schnelle Lösung.
Haben Sie Hinweise rund um diesen Fall oder zur Energiewirtschaft generell? Dann melden Sie sich gern unter hinweise@correctiv.org
Kürzlich veröffentlichten wir eine Recherche darüber, wie Trumps politische Pläne nach Deutschland schwappen: Hier zum nachlesen.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert und Alicia Resche
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