Liebe Leserinnen und Leser,
wie erwartet hat der Bundestag Kanzler Olaf Scholz nicht das Vertrauen ausgesprochen. Es gibt also Neuwahlen im Februar. Zeit für die Frage: Angesichts politischer Manöver, vor allem der AfD – können wir noch darauf vertrauen, dass die Politik in unserem Sinne handelt, im Sinne der Inhalte?
Apropos Vertrauen: Gestern hat CORRECTIV eine wichtige zivilgesellschaftliche Auszeichnung erhalten, den Stuttgarter Friedenspreis. Ich war in Stuttgart und habe den Preis stellvertretend entgegengenommen. Begleitet wurde die Verleihung von einem Protest: Einzelne Mitglieder des Vereins „Die AnStifter“, der den Preis verleiht, verteilten Flugblätter gegen die Auszeichnung für uns. Darin die üblichen Falschinformationen, die offenbar von rechtsgerichteten Gruppierungen in Sozialen Netzwerken stammen: Die CORRECTIV-Recherchen seien staatlich finanziert und wir seien deshalb nicht vertrauenswürdig. In meiner Dankesrede habe ich gesagt: Dass die Veranstalter sich davon nicht beirren ließen, zeigt Zivilcourage.
Hier ist unser Finanzbericht von 2023 verlinkt.
In der „Werkbank“ steht heute ein etwas längerer Text als gewöhnlich: Unser Autor Bassel Alhamdo, der aus Syrien kommt, beschreibt, wie es eine Woche nach dem Sturz Assads im Land weitergeht. Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenstart, und schreiben Sie mir wie immer gerne: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Die Sache mit dem Vertrauen
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Faktencheck: Gezielte Kampagne: Robert Habeck sollte mit Falschbehauptung diffamiert werden
Olaf Scholz hat heute Mittag im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt. Die Mehrheit der Abgeordneten entschied sich vor ein paar Minuten nun dafür, ihn nicht mehr als Kanzler haben zu wollen, also gibt es Neuwahlen.
So weit, so erwartet. Was aber noch beleuchtet werden sollte: Wie hat sich die politische Kultur bei uns verändert, seit die AfD eine Rolle spielt – und was hat das mit den Neuwahlen zu tun?
Was bedeutet die „Vertrauensfrage“ noch mal?
Das ist in dieser Zusammenfassung der Tagesschau anschaulich erklärt – auch, wie häufig in der Geschichte der Bundesrepublik die Vertrauensfrage bereits gestellt wurde und wie genau es jeweils ablief.
Was ist diesmal anders?
Wie sich die Mitglieder des Bundestags verhalten, ist weniger verlässlich als früher – und es wird mehr taktiert, anstatt (ausschließlich) nach politischen Überzeugungen zu entscheiden.
Ein Beispiel:
Das konnte man zuletzt bei der ersten Sitzung des Thüringer Landtags im September sehen: Die AfD-Fraktion stellte den Alterspräsidenten, der die konstituierende Sitzung leiten durfte. Deshalb war es der Fraktion möglich, die notwendigen Abstimmungen zur Geschäftsordnung zu blockieren. Ihr eigentliches Ziel war es, einen eigenen Kandidaten als Landtagspräsident durchzudrücken. Am Ende musste das Verfassungsgericht einschreiten.
Wie die Fraktionen für heute vorab taktiert hatten:
Die Grünen im Bundestag hatten vorab angekündigt, sich enthalten zu wollen. Dahinter standen taktische Gründe: Die Grünen hatten die Sorge, würden sie und die SPD für Scholz als Kanzler stimmen, könnte die AfD die Abstimmung sabotieren und ebenfalls für Scholz stimmen – womit der gesamte Plan hätte scheitern können und Rot-Grün blamiert gewesen wäre.
Bei der CDU war klar, dass sie gegen Scholz stimmen wollte – sie hofft, bei den vorgezogenen Neuwahlen als stärkste Kraft abzuschneiden.
Genauso die AfD (wobei es ausgerechnet hier einen Abgeordneten gibt, der aus politischen Gründen für eine weiter bestehende Kanzlerschaft von Scholz stimmen will).
Überraschender war, dass die FDP ankündigte, gegen Scholz zu stimmen. Überraschend deshalb, weil die FDP bei den Neuwahlen mit recht hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Bundestag vertreten sein wird. Die Erklärung liegt darin: Im jetzigen Bundestag spielt die Partei auf jeden Fall keine Rolle mehr. Nach den Neuwahlen besteht aber eine kleine Chance für die FDP. Nämlich dann, wenn sie doch in den Bundestag käme – und gleichzeitig die CDU/CSU so viele Stimmen erhielte, dass es für Schwarz-Gelb reicht.
Welche Regierungskoalitionen nach den Neuwahlen möglich wären (laut aktuellen Umfragen), sehen Sie hier.
Tausende Tote nach Zyklon befürchtet
Im französischen Überseegebiet Mayotte, einer Inselgruppe nahe der ostafrikanischen Küste, laufen nach einem Wirbelsturm die Rettungsarbeiten. Es werden Tausende Todesopfer befürchtet.
euronews.com
Zahl der Insolvenzen auf Langzeit-Hoch
Die anhaltende Wirtschaftsflaute hierzulande sorgt für so viele Insolvenzen wie seit 2014 nicht mehr. Am häufigsten trifft es Kleinstunternehmen, mit Galeria Karstadt Kaufhof und FTI Touristik waren aber auch Branchenriesen dabei.
n-tv.de
Haftbefehl gegen mutmaßliche Rechtsextreme
Nach einem gewaltsamen Angriff auf SPD-Politiker in Berlin am vergangenen Wochenende hat die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen die vier Verdächtigen erlassen.
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Fracking statt Nachhaltigkeit
Die Schweizer Pensionskassen sind ein riesiger Player im globalen Investitionsgeschäft – und sie versprechen, mehr auf Nachhaltigkeit zu setzen. Aber stimmt das? CORRECTIV in der Schweiz hat gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk WAV recherchiert. Das Ergebnis in Zürich: Die Pensionskassen investieren in die weltweit größten Fracking-Unternehmen oder beharren weiterhin auf völlige Intransparenz.
tsri.ch
Über eine vermeintliche Nachrichtenseite und ein mutmaßlich KI-generiertes Video wird im Netz versucht, Robert Habeck zu diffamieren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bereits vor solcher Desinformation vor der Bundestagswahl gewarnt.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Viele Institutionen und Prominente haben ihre Accounts auf X in den vergangenen Wochen stillgelegt. Warum das für die Plattform zum Problem wird und welche Alternativen stattdessen an Bedeutung gewinnen können, erklärt Netzpolitik.org.
netzpolitik.org
So geht’s auch
Das häufige Verschreiben von Antibiotika führt dazu, dass immer mehr resistente Bakterien entstehen. Eine App soll helfen: Sie liefert Kinderärztinnen und Kinderärzten zielgenaue Informationen und könnte so den Einsatz von Antibiotika reduzieren.
zdf.de
Fundstück
Schlittenfahren oder Eislaufen ist Ihnen zu langweilig? Hier gibt es Ideen für andere Wintersportarten – zum Beispiel Eistennis oder Unterwasserhockey.
billiger-mietwagen.de
Eine Woche ist vergangen, seit das Assad-Regime gestürzt wurde. Die Bilder aus den syrischen Geheimdienst-Gefängnissen und dem Sednaya-Gefängnis waren so grausam, dass manche meinten, es sei besser gewesen, dass diese Gräueltaten und Foltermethoden erst nach Assads Sturz ans Licht kamen. Andernfalls hätten viele Syrer aus Angst vor einem ähnlichen Schicksal davon abgesehen, das syrische Regime herauszufordern.
Seit dem Sturz des Regimes haben die Rufe der Syrer nach einer Abrechnung mit dem kriminellen Regime, seinen Helfern und allen Beteiligten an den Blutvergießen nicht aufgehört. Es ist bekannt, dass mehr als 30.000 Soldaten, Offiziere und Beamte verschwunden sind.
Besonders bezeichnend sind auch die aus den Geheimdienststellen durchgesickerten Dokumente, die zeigen, dass Präsident Assad seine Offiziere angewiesen hatte, Autobomben unter Zivilisten und Soldaten zu zünden.
Doch blicken wir in die Zukunft: Wie steht es um die neuen Machthaber? Der frühere Anführer der Nusra-Front, Ahmed al-Sharaa alias Abu Mohammad al-Golani, distanzierte sich nach seiner Abspaltung vom IS von extremistischen Elementen und führte umfassende Reformen in Idlib durch. Er erlaubte mehr Freiheiten, offenbar als Teil eines Plans, die Organisation in die syrische Gesellschaft zu integrieren.
Seine moderaten Aussagen und Entscheidungen nach dem Sturz des syrischen Regimes durch die Fraktionen der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die er anführt, sowie die Bildung einer Übergangsregierung zur Schaffung eines gemäßigten Staates, in dem alle Konfessionen in Frieden zusammenleben können, stießen auf internationale Zustimmung.
Westliche und regionale Staaten erklärten ihre Bereitschaft, mit ihm zusammenzuarbeiten, um ein modernes, gemäßigtes Syrien zu schaffen, das allen Konfessionen und Ethnien Platz bietet. Diese Erklärungen wurden von der syrischen Bevölkerung begrüßt, die an die Notwendigkeit einer internationalen Rolle und Überwachung in Syrien glaubt. So soll eine Wiederholung des Szenarios der IS-Herrschaft verhindert werden. Der IS hatte anfangs ähnlich begonnen, dann aber das Monopol der Macht übernommen und grausame Verbrechen begangen.
Die kommende Zeit wird die Fortsetzung der syrischen Revolution erfordern, um sicherzustellen, dass der Sturz des Assad-Regimes und die 14 Jahre Geduld des syrischen Volkes nicht umsonst waren.
Hohe Mieten und gestiegene Nebenkosten treiben viele Menschen in die Armut. Das hat der Paritätische Gesamtverband errechnet. Berücksichtigt man die Wohnkosten, fallen 5,4 Millionen Menschen unter die Armutsdefinition, die sonst nicht als solche erfasst werden. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, Rentner und junge Erwachsene. Regional schneiden die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Bremen und Hamburg besonders schlecht ab.
focus.de
An der heutigen Ausgabe hat mitgewirkt: Sebastian Haupt.
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