
Ist Ihnen zu Neujahr auch viel Wind um die Ohren geweht? Der war nicht nur kalt, er hat zusammen mit der Sonne am Neujahrstag 125 Prozent unseres täglichen Strombedarfs erzeugt (davon wurden allerdings nur 80 Prozent genutzt, weil es Gegenden gibt, die noch mit Gas oder Kohle versorgt werden müssen). Das Wetter macht uns dadurch auch unabhängiger von Öl- und Gas-Autokratien.
Das gibt doch Hoffnung und zeigt zugleich, wie bedeutend Klimaschutz für den Wahlkampf werden könnte. Im vergangenen Jahr wurde der Strombedarf in Deutschland schon zu knapp 60 Prozent durch Erneuerbare gedeckt.
Und der Ausbau wird immer effektiver, weil die Technik besser wird; es werden Studien angefertigt, um dort möglichst viel Naturschutz zu ermöglichen, wo die Lithiumzellen aufgestellt werden. Windräder auf dem Meer werden größer. Die Nord-Süd-Stromtrasse wird gebaut.
Aber: Es geht bei der Energie auch um soziale Gerechtigkeit. Die hohen Kosten für den Ausbau werden auf den Strompreis umgelegt; und die künftigen Preissteigerungen für Gas und Öl treffen eher Mieterinnen und Mieter, die keinen Einfluss auf den Heizungs-Umbau durch ihre Vermieter haben. Wie wollen die Parteien soziale Ungleichheiten bei der Energiewende abbauen?
Viele von Ihnen hatten in unserer Umfrage geantwortet, dass Klimaschutz eine größere Rolle spielen sollte im Wahlkampf. Dafür gibt es in der Tat sehr gute Gründe. Bei Klimapolitik geht es auch um soziale Gerechtigkeit und gleichzeitig um Weltpolitik. Denn je weniger Gas wir aus Autokratien importieren müssen, desto stärker wird die Position gegenüber diesen Regimen, die uns (Beispiel Russland) zu leicht erpressen können.
Die Energiewende ist damit eines der relevanten Themen: Im Streit um die besten Konzepte, um den gerechten Ausgleich in der Gesellschaft, um Förderung von innovativen Ideen, die Arbeitsplätze schaffen. So könnten wir auch besser mit den Ängsten umgehen, die es ja gibt: Wie gelingt der (Auto)Industrie der Umstieg? Was kostet mich die Energiewende zuhause? Können wir genug saubere Energie erzeugen oder importieren (Stichwort Dunkelflaute)? Und wir könnten klar sehen, wo die Parteien stehen, vor allem wer von ihnen lieber Autokraten-Öl will statt ein modernes Land. In den Wochen vor der Wahl werden wir für Sie auch dazu recherchieren.
Haben Sie Ideen, Fragen oder Ängste zur Energiewende? Schreiben Sie mir gern. Wir nehmen das auf!
Am Ende dieses Spotlight beschreibt Ihnen mein Kollege Martin Böhmer, wie sich gestern Nachmittag bei der AfD-Kandidatenaufstellung in NRW radikale Kräfte durchsetzen konnten.
Herzliche Grüße und eine spannende Lektüre unserer Empfehlungen der Woche wünscht Ihnen
Justus von Daniels
Cum-Ex weiterhin möglich?
Die ehemalige Chefermittlerin im Cum-Ex-Skandal Anne Brorhilker hält Cum-Ex-Betrug trotz der Gesetzesanpassungen weiterhin für möglich. Die kriminelle Energie in der Finanzwelt versiege nicht, während Milliarden an Steuergeldern verloren gehen. Grund dafür sei ein geringes Entdeckungsrisiko, wegen fehlender Kontrollmöglichkeiten. Auf einem Panel des Chaos Computer Club erklärt Brorhilker, wie die Aufklärungsarbeit des internationalen Finanzbetrugs gelingen kann:
CumEx – wie schädlich ist Wirtschaftskriminalität für unsere Gesellschaft? (media.ccc.de)
Wie Spotify die Musik ruiniert
Die Reporterin Liz Pelly recherchiert zu den fragwürdigen Methoden des Unternehmens Spotify. So sollen die beliebtesten Playlists mit Stock-Musik befüllt worden sein, die pseudonymen Musikern zugeschrieben wird – auch Ghost- oder Fake-Künstler genannt –, vermutlich in dem Bemühen, Lizenzgebühren zu senken. Die Autorin geht unter anderem der Frage noch, ob Spotify die Titel möglicherweise selbst erstellt.
The Ghosts in the Machine (harpers.org, Englisch)
Politische Krise in Südkorea
Südkorea erlebt schon seit einigen Wochen die größte politische Krise seit Jahrzehnten, nachdem der Präsident Yoon Suk-yeol aus Frust über eine Blockade der Opposition kurzzeitig das Kriegsrecht verhängt hatte. Mitte Dezember wurde er als Folge abgesetzt und Ermittlungen wegen möglichem Amtsmissbrauch eingeleitet. Seitdem entzieht sich Yoon den Behörden. Erst kürzlich habe eine Militäreinheit die Verhaftung des Ex-Präsidenten auf seiner Residenz verhindert. Was gerade in Südkorea passiert und warum Yoon die Erinnerungen an die diktatorische Vergangenheit geweckt hat, ordnet der Text der taz verständlich ein.
Südkoreas verbarrikadierter Präsident (taz.de)
Völkische Siedler für Russland
Die russische Anastasia-Bewegung sucht neue Siedler für ihre Siedlungsprojekte in Russland. Was nach außen nach einem ländlichen Idyll aussieht, hat eine Kehrseite: das Weltbild der sektenartig organisierten Gemeinschaft ist von Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologie geprägt. Auch in Deutschland werben Mitglieder der Sekte für die Übersiedelung nach Russland, wie dieser Bericht des MDR zeigt.
Anastasia-Bewegung wirbt um neue Siedler für Russland (youtube.com)
Medizinisches Cannabis boomt
Während die Cannabis-Legalisierung zwar per Gesetz erlaubt ist, aber in der Praxis aufgrund bürokratischer Hürden stockt, boomt ein anderer Markt: in Deutschland wächst die Nachfrage nach medizinischem Cannabis. Einer der wichtigsten Handelspartner dabei ist Kanada. Wie sich der Markt in Deutschland entwickelt und welche Rolle Kanada dabei spielt, erklärt der Text der Wirtschaftswoche.
„Weil es so kompliziert ist, kann uns niemand schnell auf die Pelle rücken“ (wiwo.de)

CORRECTIV Inside
Radikaler Kurs statt gemäßigte Geschlossenheit: Die AfD NRW hat am Freitag die wichtigsten Plätze für die Landesliste aufgestellt – mit einem Fiasko für die Landesspitze. Mehr noch als um die Kandidaten, ging es nämlich auch um einen offen ausgetragenen Machtkampf zur Marschrichtung.
Sich gegenüber stand das – für AfD-Verhältnisse – gemäßigte Lager um den Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Martin Vincentz, und die Allianz der Radikalen, um die Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich und Roger Beckamp. Zu beiden haben wir vor Kurzem Recherchen veröffentlicht.
Die Listenaufstellung ist eine krachende Niederlage für Vincentz und sein moderates Lager: Denn auf Platz 6 konnte sich Matthias Helferich durchsetzen. Der Dortmunder AfD-Mann bezeichnete sich selbst 2017 als „das freundliche Gesicht des NS“ (Anm.: Nationalsozialismus) und fordert „millionenfache Remigration“ nach dem Vorbild und vermeintlichen Masterplan von Martin Sellner. Kurz vor der Listenaufstellung stärkte Sellner Helferich in einem Video den Rücken. Man kennt sich, man schätzt sich.
Weil er der Spitze ein Dorn im Auge ist, läuft seit Sommer ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich und seine Direktkandidatur wurde von der Landesspitze blockiert. Helferich vernetzte trotzdem bekannte Akteure der Neuen Rechten im Bundestag.
Auch Vincentz Joker half nicht: Maximilian Krah diskutierte noch vor einem Jahr mit Helferich über „Remigration“. Jetzt stellt sich Krah gegen einen radikalen „Remigrations“-Kurs und positionierte sich für Vincentz – und somit gegen Helferich. Und trotzdem setzte sich Helferich knapp durch.
Ob auch der andere Radikale, Roger Beckamp, es auf die Landesliste schafft, stand zum Redaktionsschluss noch nicht fest. Beckamp war nach einer CORRECTIV-Recherche zuletzt ebenfalls im Fokus. Mitte Dezember traf er sich mit Neonazis in der Schweiz, darunter auch Personen des in Deutschland verbotenen, international tätigen Netzwerks „Blood & Honour“. Im Nachklapp des Treffens erzählte er dem verdeckten Reporter, dass seine Kandidatur „nur zum Schein“ sei. Nun ruderte er zurück, dies sei nur eine Falle für den Reporter gewesen, behauptete Beckamp.
Ob Beckamp es jetzt wieder auf die Liste schafft, wird nach diesem Wochenende klar sein. Dann müsste der Landesverband aber die Frage beantworten, wie er zu dem Neonazi-Treffen in der Schweiz steht. Eine CORRECTIV-Anfrage blieb bislang unbeantwortet.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert und Finn Schöneck.
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