
Liebe Leserinnen und Leser,
Anfang dieser Woche waren sie schon einmal Thema im SPOTLIGHT: die neuen scharfen Grenzkontrollen, die Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordnet hat. Wir hatten aufgezeigt, dass sich diese Kontrollen schon rein organisatorisch nicht lange durchhalten lassen werden. Heute geht es im Thema des Tages weiter: Leserinnen und Leser schildern, warum das System äußerst löchrig ist.
Außerdem lesen Sie heute:
In der „Leserfrage der Woche“ beantwortet Jule Scharun, warum in Stuttgart Chemikalien in den Neckar eingeleitet werden dürfen.
In der „Werkbank“ zeigt Justus von Daniels auf, weshalb es uns alle angeht, dass die US-Eliteuni Harvard keine ausländischen Studenten mehr annehmen darf.
Und für die „Grafik des Tages“ hat Bildungsreporterin Anna Ernst recherchiert: Wo in Deutschland gibt es kostenloses Schulessen, wo nicht und warum nicht? Spoiler: Obwohl viel dafür spricht, gibt es dieses Angebot nur an einem Ort im Land.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende – und schreiben Sie mir gern: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Löchrige Grenzkontrollen
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Leserfrage der Woche: Warum darf ein Unternehmen schädliche Chemikalien in den Neckar leiten?
CORRECTIV Events: Hier können Sie uns treffen
Faktencheck: Stichwahl in Rumänien: Kein „wundersamer Zuwachs“, aber höhere Wahlbeteiligung
CORRECTIV-Werkbank: Streit um Harvard: Trump kopiert Orbáns Strategie
Grafik des Tages: Nur ein Bundesland mit kostenlosem Mittagessen für Schulkinder
Auf das Thema des Tages im SPOTLIGHT von Dienstag haben viele von Ihnen reagiert: Leserinnen und Leser, die in Grenzregionen leben und uns geschrieben haben, was Sie momentan erleben. Zwei Beispiele:
Lange Autoschlangen:
Leserin Uta M. lebt in der Nähe von Osnabrück, das relativ nah an der holländischen Grenze liegt. Sie berichtet von langen Schlangen aus Lastwagen und PKWs, die sich seit Einführung der neuen Grenzkontrollen an der niederländisch-deutschen Grenze bilden.

Diese Schlangen, schreibt sie, hielten nicht nur die Privatleute und den Warenverkehr auf, sondern schienen auch nicht sonderlich zielführend:
„Ein Fahrzeug wurde zur Kontrolle rausgezogen, alle anderen einfach durchgewunken.“
Uta M.
SPOTLIGHT-Leserin
Einfach woanders entlang gehen:
Markus V. aus Winterthur in der Schweiz schilderte uns seine Erfahrungen, und die seines Bekanntenkreises, bei Grenzübertritten aus der Schweiz nach Deutschland: Fahre man etwa mit dem Zug von Zürich nach Konstanz, könne man beim Ausstieg in Konstanz entweder den vorderen oder den hinteren Ausgang nutzen.
An einem stünden Grenzpolizisten, am anderen nicht.
Was Angela Merkel zum Thema sagt:
Die Ex-Kanzlerin äußert sich nur sehr selten zum aktuellen politischen Geschehen. Anlässlich der Grenzkontrollen machte sie jetzt eine Ausnahme: Merkel sagte:
„Ich glaube nicht, dass wir die illegale Migration an der deutsch-österreichischen oder deutsch-polnischen Grenze abschließend bekämpfen können.“
Angela Merkel
Bundeskanzlerin a.D.
Ein solcher Alleingang gefährde vielmehr den Zusammenhalt Europas – sie halte es für zielführender, gemeinsam die EU-Außengrenzen zu überwachen.
Was das Ganze kostet:
Wir hatten bereits beschrieben, dass die Grenzkontrollen die Bundespolizei personell an ihre Grenzen bringen. Jetzt gibt es auch erste Anhaltspunkte, was sie kosten:
Die Grünen-Fraktion im Bundestag hatte die neue Bundesregierung um eine Aufschlüsselung der Kosten gebeten. Jetzt gibt es eine Antwort. Demnach würden in einem halben Jahr rund 50 Millionen Euro an Kosten anfallen: für zusätzliche Arbeitsstunden für Bundespolizisten, deren Verpflegung und Unterbringung, die Miete für Container, in denen Grenzkontrollstationen untergebracht sind und anderes.
Die 50 Millionen sind allerdings noch nicht der vollständige Preis, den wir mit Steuergeld zahlen, denn in der Berechnung sind nicht die Einsätze an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz enthalten.
Was das Ganze bringt?
Innerhalb der ersten sieben Tage wurden laut Dobrindt 739 Menschen zurückgewiesen. In der Woche vor den verschärften Grenzkontrollen waren es 511. Ob sich dafür der Aufwand lohnt?
Auch hier gilt unser Motto: Das muss jeder Beobachter des Nachrichtengeschehens für sich selbst entscheiden.
Und dann ist da noch die Frage …
… gibt es bei den neuen Grenzkontrollen „Racial Profiling“? Werden also vor allem Leute kontrolliert, die „ausländisch“ aussehen? Unsere Reporterin Anna Ernst hat vor ein paar Jahren mal eine Reportage über ähnliche Grenzkontrollen geschrieben und dies erlebt:
„Ich saß mit Schleierfahndern der bayerischen Polizei gemeinsam im Dienstwagen: An der tschechisch-bayerischen Grenze suchten sie damals vor allem nach Drogen wie Crystal Meth, Waffen und gestohlenen Autos.
Vom Rücksitz aus erlebte ich mit, wie die beiden Fahnder die Gesichter vorbeifahrender Autofahrer musterten, Nummernschilder am Laptop überprüften. Sie hatten das Recht, jeden ohne weitere Begründung anzuhalten, Autos zu durchsuchen und Menschen bis auf die Unterhose und tiefer (Stichwort Körperschmuggel) zu durchsuchen. Damals hieß es, man würde vor allem auf auswärtige Nummernschilder achten.
Zum Schluss fragte ich die Fahnder: Ich fahre gleich für meine Reportage kurz zum Asiamarkt hinüber und wieder zurück. Wäre ich mit einem auswärtigen Nummernschild aus dem Ruhrgebiet nicht auch verdächtig?
Die beiden haben damals nur gelacht. Ich bin weiblich, blond und blauäugig und habe einen deutsch klingenden Nachnamen.“
EU vermutet iranischen Cyberangriff auf Grünen-Politikerin
Die Politikerin Hannah Neumann von den Grünen setzt sich für Menschenrechte und Demokratie ein, besonders im Iran. Das Europäische Parlament bestätigte nun den Hinweis einer iranischen Cyberattacke auf die Europaabgeordnete. Ziel der Attacke soll es gewesen sein, an Informationen zu gelangen.
spiegel.de
Neue Justizministerin möchte AfD-Verbot prüfen lassen
Die neue Bundesjustizministerin Stefanie Hubig von der SPD fordert ein AfD-Verbotsverfahren. Gegenüber der FAZ sagte Hubig, man müsse die AfD nach ihrer Einstufung als gesichert rechtsextrem „als mögliche Gefahr für unsere Demokratie sehr ernst nehmen“. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt ist hingegen der Meinung, dass das Gutachten des Verfassungsschutzes für ein Verbotsverfahren der AfD nicht ausreiche.
welt.de
München: Brandanschlag auf die Reiterstaffel der Polizei
Laut der Polizei wurden sechs Fahrzeuge beschädigt. Die betroffenen Pferde konnten von Einsatzkräften evakuiert werden und wurden nicht verletzt. Aktuell gehen die Ermittler von Brandstiftung aus. Zudem wird ermittelt, ob der Vorfall zu einer Serie an Brandanschlägen gegen die Münchner Polizei gehört.
abendzeitung-muenchen.de
Recherche: Wie Jugendliche von Kriminellen rekrutiert werden
Eine Recherche von STRG_F zeigt, dass immer mehr Jugendliche schwere Straftaten für kriminelle Gruppen in Deutschland übernehmen. Die Jugendlichen werden radikalisiert und rekrutiert. Über soziale Netzwerke werden die Jugendlichen angeheuert. Oft werden ihnen große Geldsummen versprochen. Europol gründet nun eine Taskforce, um dagegen vorzugehen.
tagesschau.de /play.funk.net

Leserfrage der Woche

Chemikalien wie Trifluoressigsäure, abgekürzt TFA, tauchen schon seit vielen Jahren nachweislich im Trinkwasser auf.
Spotlight-Leserin Gabriele M. hat uns gefragt, warum ein Unternehmen im badischen Bad Wimpfen die schädliche Chemikalie mit Behördengenehmigung in den Neckar einleiten darf.
Wir haben beim Regierungspräsidium Stuttgart nachgefragt: Seit 2016 hat die besagte Firma die Genehmigung, behandeltes Abwasser in den Neckar einzuleiten. Bis 2044 soll diese Erlaubnis gelten, sie kann jedoch jederzeit widerrufen oder modifiziert werden. Dies kann zum Beispiel erfolgen, wenn Gesetze geändert oder neue technische Standards eingeführt werden.
Das Umweltbundesamt hat im Jahr 2020 erstmals einen Grenzwert für TFA im Trinkwasser festgelegt. Maximal 60 Mikrogramm TFA pro Liter dürfen in den Fluss eingeleitet werden. Laut den Behörden sei das Ziel, die TFA-Konzentration auf maximal 10 Mikrogramm pro Liter oder weniger zu senken. Wann dies erfolgen soll, wurde uns nicht mitgeteilt.
Zu einem Verbot der Stoffe, zu denen TFA gehört, kann es nur durch die Politik kommen – nicht durch die Behörden vor Ort, sie sind lediglich zur Überwachung der bestehenden Regeln zuständig. Es müsste also erst ein Gesetz in Kraft treten, das die Einleitung von Chemikalien wie TFA in Gewässer verhindert.

CORRECTIV Events

CORRECTIV auf Tour: Was passiert, wenn Hass regiert?, Laufen
Die Termine von CORRECTIV auf Tour gehen weiter: Unser Reporter Marcus Bensmann spricht am Montag, dem 26. Mai, im bayerischen Laufen über seine langjährigen Recherchen zu neuen Rechten, völkischen Ideologien und der Verbindung der AfD zur rechtsextremen Szene.
Zu den Tickets
CORRECTIV auf der re:publica 2025, Berlin
Nächste Woche findet wieder vom 26.-28. Mai die re:publica 2025, das Festival für die digitale Gesellschaft, in Berlin statt. Auch dieses Jahr geben CORRECTIV-Redakteurinnen und -Redakteure Einblicke in unsere Arbeit und sprechen über wichtige gesellschaftliche Fragen, wie Partizipation im Journalismus, Desinformation, Klima und Lobbyismus.
Zu den CORRECTIV-Beiträgen
Salon5 auf der Tincon 2025, Berlin
Parallel zur re:publica 2025 findet die Jugendkonferenz Tincon in Berlin statt. Unsere Jugendredaktion Salon5 ist dort mit einem Interview-Workshop für junge Menschen und mit einem mobilen Podcast-Studio zum gemeinsamen produzieren von journalistischen Formaten wie Interviews, Reels oder Podcasts vertreten.
Zu den Salon5-Beiträgen

Faktencheck

Nach dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Rumänien kursiert online das Gerücht, der hohe Stimmenzuwachs für den pro-europäischen Wahlsieger Nicușor Dan sei „wundersam“. Dabei wird missachtet, dass die Wahlbeteiligung stieg.
correctiv.org
Endlich verständlich
Auf Arztüberweisungen stehen medizinische Diagnosen als sogenannte ICD-Codes – international standardisiert. Gängige Codes sind zum Beispiel „E11“ für Zuckerkrankheit, „I10“ für Bluthochdruck oder „F32“ für Depressive Episode. Auf Gesund.bund.de wird jeder Code erklärt.
gesund.bund.de
So geht’s auch
Max ist 16 Jahre alt und wohnt in einer Stadt in Sachsen-Anhalt. Im Ort sei es normal, rechts zu sein. Auf dem Schulhof würden häufig Naziparolen gerufen. Ende April reicht es ihm: Bei einer Querdenker-Demo stellt er sich auf die Bühne und hält eine Gegenrede. Für seinen Auftritt bekommt er Zuspruch – und Hass. Unsere Jugendredaktion Salon5 sprach mit Max darüber, wie es ihm seit seiner Rede geht. Das Gespräch hier anhören
Fundstück
Pinguinkot ist womöglich gut fürs Klima: Er setzt Ammoniak frei, der die Bildung von Wolken begünstigt – das zeigt eine neue Studie. Diese Wolken würden wie eine isolierende Schicht wirken, die Oberflächentemperatur senken und damit die Ausdehnung des Meereises in der Antarktis beeinflussen.
spiegel.de
Dass die berühmte amerikanische Harvard Universität keine ausländischen Studierenden mehr aufnehmen darf: typisch Trump. Diese Entscheidung ist fast schon nicht mehr überraschend, schließlich kommen aus dem Trump-Washington ja nun dauernd neue autoritäre Ansagen. Und außerdem ist es auch ein ziemlich elitäres Problem, das eine Spitzen-Uni mit sehr hohen Studiengebühren betrifft. Oder?
Als ich die Nachricht gestern las, musste ich sofort an Budapest denken und daran, welche Auswirkungen solche Entscheidungen haben. Viktor Orban erließ vor einigen Jahren ein unscheinbares Gesetz, das darauf gerichtet war, die Central European University aus dem Land zu verbannen. Das ist nicht irgendeine Hochschule, sie hat als internationale Uni eine weltoffene Atmosphäre geschaffen, an der vor allem junge Menschen aus ganz Osteuropa hervorragend ausgebildet wurden. Orban sorgte dafür, dass die Uni nach Wien umziehen musste. In seinem eigenen Land wird die wissenschaftliche Ausbildung seitdem ganz auf sein Regime ausgerichtet.
Droht in den USA nun dasselbe? Es ist erstens schon auffällig, dass Trump immer wieder auf die Strategien Orbans zurückgreift, wenn es darum geht, demokratische in autokratische Strukturen umzuwandeln. Zweitens geht von dem Kampf Trump vs. Harvard natürlich eine enorme Wirkung auf weniger betuchte Unis in den USA aus. Harvard kann sich noch wehren, andere Unis werden dem Druck eher nachgeben. Denn der einzige Grund, weshalb Trump der Uni „das Privileg” (so nennt er es) wegnimmt, ausländische Studierende aufzunehmen, liegt darin, das sich die Uni geweigert hatte, seine Forderungen zu übernehmen: Er will unter anderem die Zulassungsdaten von Studierenden und mehr Kontrolle über politische Ansichten an den Unis.
Liefern sie nicht, quetscht er sie an die Wand. Dieser Kampf betrifft uns auch. Denn dort wird nicht nur wissenschaftliche Freiheit begrenzt, sondern wir sehen, wie sich die Macht des Autoritären in einer westlichen Demokratie Stück für Stück über gesellschaftliche Institutionen legt.
Schauen wir also nach Ungarn (was wir mit Recherchen dazu übrigens tun), dann sehen wir, wo Trump seine nächsten Schritte machen dürfte.

Berlin hat etwas, wovon die Koalitionen in Thüringen und Niedersachsen träumen: kostenloses Mittagessen für Schulkinder. Experten sehen viele Vorteile: Gesunde Ess- und Trinkgewohnheiten werden geübt, Bindungen verbessert, soziale Ungleichheiten verringert. Auch ein Bürgerrat hat im vergangenen Jahr eine flächendeckend kostenlose Schulverpflegung in Deutschland gefordert – sein wichtigstes Anliegen im Bereich Ernährung.
Umgesetzt wird dessen Empfehlung aber nicht: Schulen sind Ländersache – und in vielen Ländern fehlt es an Geld. Auch Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat das gebührenfreie Schulessen (Kosten: rund 170 Millionen Euro im Jahr) in dieser Woche wieder infrage gestellt. Seit Monaten wird in Berlin um das Thema gerungen.
CORRECTIV-Reporterin Anna Ernst hat alle Kultusministerien angefragt. Der Überblick zeigt: In den meisten Ländern gibt es kein flächendeckendes Angebot. Immerhin: Teilweise gibt es kommunale Zuschüsse und Preisdeckelungen. In Hamburg etwa gibt es ein Misch-Modell mit Subventionen aus dem Haushalt und Rabatten für Geschwisterkinder. So etwas könnte sich auch Berlins Senatorin vorstellen. Aus der Pressestelle heißt es, das Hamburger Modell sei „eine flexible Lösung“.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt und Jule Scharun.
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