Liebe Leserinnen und Leser,
es klingt so bedrohlich, wie man es sich nur vorstellen kann: Russlands Präsident Wladimir Putin hat einen neuen Grundsatz verabschiedet, eine sogenannte Doktrin. Sie legt fest, dass Russland künftig schneller als bisher Nuklearwaffen gegen andere Staaten einsetzen kann. Wie beunruhigend ist diese Entwicklung? Im Thema des Tages ordnen wir es ein.
Aus diesem Anlass geht es im Spotlight heute auch noch an anderer Stelle um Russland: Unser Experte Sergey Lukashevsky muss seit 2022 in Deutschland im Exil leben und arbeiten. Er führt Radio Sakharov – das zu CORRECTIV.Exile gehört – von Berlin aus. In seiner Heimat konnte er nicht bleiben, nachdem er sich offen gegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgesprochen hatte. Jetzt ist er in Russland in seiner Abwesenheit zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Darüber schreibt er in der „Werkbank“.
Außerdem noch ein Lesehinweis: Gerade ist eine Studie erschienen, die zeigt, zu wessen Gunsten vor deutschen Familiengerichten entschieden wird, wenn Mutter und Vater um die Kinder streiten. Unsere Reporterin Gabriela Keller hatte vor ein paar Monaten eine Recherche dazu veröffentlicht. Sie stellte dar, wie Netzwerke sogenannter Väterrechtler die Entscheidungen der Familienrichter beeinflussen – zu Ungunsten der Mütter.
Gestern hatte ich Sie um Themenanregungen gebeten. Es sind irre viele Mails eingegangen, in denen viel mehr gute Ideen stehen, als wir sie mit unserer Redaktion jemals bearbeiten könnten. Trotzdem gebe ich jede Mail in unsere Redaktion weiter und wir schauen, was wir daraus machen können. Wenn auch Sie mir schreiben mögen: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Putin – jetzt noch gefährlicher?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
CORRECTIV-Werkbank: Acht Jahre Haft für die Wahrheit: Wie wir trotz Urteilsspruch weitermachen
Grafik des Tages: Sexuelle Straftaten gegen Frauen weiter gestiegen
Die Nachricht wirkt auf den ersten Blick wuchtig: Wladimir Putin hat eine neue „Nukleardoktrin“ unterschrieben – also grundlegende Handlungsregeln, wann Russland Atomwaffen einsetzen könnte. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:
Was ändert sich?
Russland wird künftig Angriffe „nichtnuklearer Staaten“ als ernste Attacke werten (und diese potenziell mit Nuklearwaffen beantworten), wenn diese nichtnuklearen Staaten von Verbündeten unterstützt werden, die über Atomwaffen verfügen.
Was ist damit gemeint?
Konkret geht es um die Ukraine – ein „nichtnuklearer“ Staat, der aber von Staaten mit Atomwaffen (USA, Großbritannien, Frankreich) unterstützt wird.
Es geht Putin also darum, in seinem nun schon mehr als 1.000 Tage dauernden Angriffskrieg auf die Ukraine ein neues Bedrohungsszenario aufzubauen. Auslöser sind die ukrainischen Gegenoffensiven gegen Russland: In den letzten Monaten griff die Ukraine erfolgreich Munitionsdepots, Treibstofflager und Militärflugplätze tief im russischen Territorium an.
Wie ernst ist das?
Das hat unser Russlandexperte Sergey Lukashevsky schon vor einigen Tagen hier im Spotlight eingeordnet, hier noch einmal zum Nachlesen. Kurz zusammengefasst: Putin nutzt ziemlich regelmäßig nukleare Rhetorik.
Das heißt für uns im Westen, dass wir die Bedrohung natürlich ernst nehmen müssen, aber nicht in Panik geraten sollten. Unter anderem, weil Putin klarstellte, ein Atomschlag komme nur dann infrage, wenn durch einen Angriff auf Russland dessen „Souveränität“ bedroht sei – also der gesamte Staat. Das ist aber sehr unwahrscheinlich.
Ukraine
Seit 1.001 Tagen herrscht in der Ukraine Krieg. Es ist der tödlichste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Folgen in Grafiken:
dw.com
Waitangi-Abkommen
Das Video von einem Haka im Neuseeländischen Parlament ging viral. Jetzt gehen zehntausende indigene Menschen auf die Straße, um gegen einen regressiven Gesetzentwurf zu protestieren.
taz.de
„Operationsplan Deutschland“
Laut einem FAZ-Bericht bereitet die Bundeswehr Unternehmen darauf vor, wie in einem Verteidigungsfall gegen Russland vorgegangen werden soll.
faz.net (€) / morgenpost.de
Investigativ
Lieferanten wollen 480 Millionen Euro für nicht gelieferte Masken erstreiten. Darunter das Unternehmen eines Ex-CDU-Politikers, der 2021 durch eine E-Mail an den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufgefallen war.
tagesschau.de
Auf Tiktok heißt es, in Deutschland solle ein Heizungsverbot für Autos kommen. Die Behauptung beruht auf einem irreführenden Artikel des Karlsruhe Insider. Doch es gibt keine neue Regelung: In Deutschland ist es schon länger verboten, den Motor im Stand unnötig laufen zu lassen.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Ein Kleinkrimineller aus Georgien wird zum mächtigsten Mann der Sowjetunion. Wie hat Josef Stalin das geschafft? Warum baut Putin heute wieder Statuen des grausamen Diktators? Dieser Podcast holt die Geschichte Stalins aus der Mottenkiste und zeigt, warum der Stalin-Kult in Russland zurück ist.
wondery.com (Podcast)
So geht’s auch
Ein Start-Up aus Österreich möchte gegen die zunehmende Erwärmung der Städte vorgehen. Durch eine interaktive Karte können Nutzer potenzielle Orte für das Pflanzen von Bäumen vorschlagen und so gemeinsam einen Datensatz zusammenstellen.
standard.at
Fundstück
Eine Frau kauft in Paris ein altes Fotoalbum. Erst auf den zweiten Blick wird ihr klar: Die Fotos geben einen einzigartigen Einblick in den Alltag während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg – die Nazis hatten derartige Fotos eigentlich verboten.
npr.org (Englisch)
Es ist jetzt fast drei Jahre her, dass meine Frau, unsere beiden Töchter und ich vier kleine Koffer packten, unsere Wohnung abschlossen und Moskau im März 2022 verließen.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs unterschrieb ich Anti-Kriegs-Petitionen, schrieb in den sozialen Medien über die Schrecken und meine Empörung, drückte Solidarität mit der Ukraine aus und formulierte klar, dass Russland einen Akt der Aggression gegen ein Nachbarland verübt.
Während russische Truppen versuchten, Kiew einzunehmen, verwandelte sich Russland von einem autoritären Regime in eine Militärdiktatur. Der bereits bestehende Druck auf die Meinungsfreiheit wurde durch brutale Repression ersetzt. Die Wahrheit über den Krieg in Russland auszusprechen, bedeutete ab sofort eine unmittelbare Verhaftung. Freie Stimmen konnten nur noch aus dem Ausland gehört werden.
Im Mai 2023 haben wir mit Unterstützung von CORRECTIV Radio Sacharow ins Leben gerufen – eine Online-Plattform und ein Internetradio für Podcasts, die weiterhin über den Krieg und die politische Repression sprechen: darüber, wie die Ukrainer der Aggression widerstehen, wie Menschen in Russland der Diktatur die Stirn bieten, Kriegs- und Repressionsopfern helfen und eine Kultur bewahren, die auf den Werten von Freiheit und Achtung der Menschenwürde basiert. Unser Projekt ist benannt nach Andrei Sacharow, einem sowjetischen Dissidenten, Menschenrechtler und Friedensnobelpreisträger, der sich gegen den Krieg der Sowjets in Afghanistan stellte.
Im selben Monat erfuhr ich, dass in Russland ein Strafverfahren gegen mich eröffnet worden war. Der Vorwurf lautete, ich hätte falsche Informationen über die russische Armee verbreitet. Dabei handelte es sich um Beiträge, in denen ich den Krieg in der Ukraine als Aggression bezeichnete, die mit Verbrechen einhergeht.
Die „Ermittlungen“ und der „Prozess“ dauerten mehr als ein Jahr. Am 18. November 2024 wurde ich in Abwesenheit zu acht Jahren Haft verurteilt.In dieser Zeit hat Radio Sacharow mehr als 40 russischsprachige Medien und Podcasts vereint. Wir senden täglich 12 Stunden und sind inzwischen Teil des Senderpakets von Svoboda, eines Programms von Reporter ohne Grenzen, womit Millionen Menschen in Russland via Satellit unabhängige Medien empfangen können.
Gestern veröffentlichte das BKA seinen Lagebericht zu Straftaten gegen Frauen. Die Kernaussage: In allen Bereichen – zum Beispiel häusliche Gewalt, digitale Bedrohung oder Feminizide – ist die Zahl der erfassten Fälle gestiegen. Auch im Bereich der sexuellen Gewalt zeigen die Zahlen nach oben, wie unsere Grafik des Tages zeigt. (Übrigens: Der Großteil der zumeist männlichen Täter hat die deutsche Staatsbürgerschaft.)
n-tv.de
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Sebastian Haupt, Elena Schipfer und Finn Schöneck.
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