
Till Eckert
Investigativreporter
Die Angst einiger Menschen, dass ihre Kommunikation in gängigen Messenger-Apps abgehört wird, ist nicht gänzlich unberechtigt.
Zwar sind die Hürden für Ermittlungsbehörden bei der klassischen Telekommunikationsüberwachung, auch TKÜ genannt, sehr hoch, sie greift erst bei sehr schweren Straftaten. Und gerade verschlüsselte Dienste stellen eine echte Herausforderung dar. Aber ganz prinzipiell – und mit entsprechender kreativen Vorbehandlung – können Ermittler auch Nachrichten mitlesen, die verschlüsselt werden. Das funktioniert zum Beispiel mit einer Art staatlicher Malware auf dem Smartphone, um das Geschriebene vor dem kryptografischen Vorgang zu überwachen.
So ähnlich gingen niederländische und französische Behörden vor, um mögliche Straftaten zu ermitteln. Im April 2020 konnten sie bei der bei Kriminellen beliebten Messenger-App „Sky ECC“ einen technischen Fehler ausnutzen und Gruppenchats auslesen. Über heimlich verschickte Push-Nachrichten entschlüsselte das Team ab Dezember 2020 dann schließlich sämtliche Chats. Mehr als eine Milliarde Nachrichten wurden auf einen Schlag entschlüsselt. Ab Mitte Februar 2021 konnten die Ermittler wochenlang live mitlesen. Bis heute werten Ermittler die Chat-Nachrichten aus.
Ihnen gelangen dadurch bemerkenswerte Erfolge: Europol habe durch das Vorgehen 114 Morde verhindern und am Hamburger Hafen 16 Tonnen Kokain sicherstellen können. Es war der größte Kokainfund in Europa. Trotzdem: Ihr Vorgehen ist höchst umstritten. Denn es wurden sämtliche Nutzer ausgespäht, nicht nur Kriminelle.
Die Recherchen, die unter anderem das ZDF in dieser Woche dazu veröffentlichten, sind daher eine Erinnerung, dass wir wachsam bleiben sollten. Wir alle müssen Strafverfolgungsbehörden auf die Finger schauen – denn ihre Zugriffsmöglichkeiten auf unsere Kommunikation sind weitreichend.
Ihr
Till Eckert

Recherchen der Woche
Steuerbetrug jetzt leichter?
Mit dem neu verabschiedeten „Bürokratieentlastungsgesetz IV“ will die Bundesregierung Unternehmen entlasten. Unter anderem wird die gesetzliche Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege von zehn Jahren auf acht Jahre verkürzt. Gespart werden sollen so vor allem Mietkosten für Lagerräume. Ob es diese Art der Aufbewahrung bei modernen Unternehmen noch gibt, scheint nebensächlich. Das neue Gesetz sorgt für Kritik: Vor allem Steuerbetrüger würden davon profitieren. Steuerfahnder benötigen viel Zeit, um große Fälle aufzudecken. Die Verkürzung von zwei Jahren ist für ihre Arbeit fatal. Das betrifft auch die Ermittlungen zu Cum-Ex und Cum-Cum.
Steuerbetrug: Kriminelle werden dieses Gesetz lieben / Ampel-Gesetz macht Steuerbetrug leichter (zeit.de / youtube.com )
Wie Demenzkranke unwissentlich den US-Wahlkampf finanzieren
Eine CNN-Recherche zeigt, wie politische Spendensammler gezielt ältere Menschen, darunter auch Demenzkranke, ins Visier nehmen, um Millionen für Wahlkampagnen zu generieren. Die Investigativ-Reporter gingen mehr als 1.000 Beschwerden nach, verfolgten Finanzflüsse und interviewten Betroffene. Kleine Spenden von 5 bis 10 Dollar summierten sich bei den Spendern auf über 6 Millionen Dollar – der Großteil davon ging laut CNN an Trump und zahlreiche weitere republikanische Kandidaten.
How elderly dementia patients unwittingly fueling elections (cnn.com, Englisch)
Interaktive Karte: Wie viel verdienen Ihre Abgeordneten nebenbei?
Hier ein Vortrag, dort ein Posten im Aufsichtsrat: Viele Politikerinnen und Politiker haben Nebeneinkünfte. Doch wer verdient eigentlich wie viel? Alle Abgeordneten müssen ihre zusätzlichen Verdienste offenlegen, das regelt das Gesetz. Mit der interaktiven Karte von abgeordnetenwatch.de können Sie nun in Ihrem Wahlkreis nachschauen, was die Politiker nebenbei verdienen.
So viel verdienen Ihre Abgeordneten nebenbei (abgeordnetenwatch.de)
Vernetzung Deutscher und Schweizer Naziszene
Dass die Naziszene in der Schweiz und Deutschland gut vernetzt ist, zeigte sich schon im Sommer vor zwei Jahren. Bei einem Treffen im Zürcher Oberland des Blood-and-Honour-Netzwerks waren zentrale Figuren aus beiden Ländern versammelt. Vor Ort waren auch Bands wie „Fiel“ aus Mecklenburg-Vorpommern oder „Oidoxie“ aus Dortmund. Letztere weist Verbindungen zu „Combat 18“ auf, die auch „Kampftruppe Adolf Hitler“ genannt wird und in Deutschland verboten ist. Eine in der Schweiz lebende Frau, die sich selbst als „Bandmutti“ von Oidoxie bezeichnete, wurde kürzlich von Ermittlern des Deutschen Bundeskriminalamtes besucht. Laut dem Spiegel soll NSU-Terrorist Uwe Mundlos einige Zeit bei ihr untergetaucht sein.
Rechte Posterboys und militante «Heil Hitler»-Rocker: So tickt die rechtsextreme Szene in der Schweiz (nzz.ch)
USA: Keine Abtreibung nach Missbrauch
In 14 konservativen US-Bundesstaaten wurden 2022 Abtreibungen verboten– auch bei sexueller Gewalt. Damit reagierten sie auf den Beschluss des obersten Gerichtshofs in den USA. Erst jetzt zeichnet sich ab, welche Auswirkungen diese Gesetze für betroffene Frauen haben. Die Dokumentation von Arte gibt einen Einblick in das Dilemma Abtreibung in den USA.
Keine Abtreibung nach Missbrauch (arte.tv)
Ausbeutung ukrainischer Geflüchteter
Einige ukrainische Geflüchtete werden von ihren deutschen Arbeitgebern ausgenutzt und um ihren vollen Lohn geprellt, berichtet Fluter. Beratungsstellen sprechen von Fällen in ganz Deutschland, bei denen falsche Versprechen gemacht und die fehlenden Sprachkenntnisse ausgenutzt wurden.
Sweatshop Germany? (fluter.de)

CORRECTIV ist spendenfinanziert
CORRECTIV ist das erste spendenfinanzierte Medium in Deutschland. Als vielfach ausgezeichnete Redaktion stehen wir für investigativen Journalismus. Wir lösen öffentliche Debatten aus, arbeiten mit Bürgerinnen und Bürgern an unseren Recherchen und fördern die Gesellschaft mit unseren Bildungsprogrammen.