
Liebe Leserinnen und Leser,
die AfD „wegregieren“ – das verkündete CSU-Politiker Dobrindt im Mai. Bislang sieht es danach nicht aus. Die Union befindet sich in Umfragen etwa auf Augenhöhe mit der rechtsextremen Partei. Weder Wirtschaftspolitik noch Dobrindts Grenzkontrollen haben das verändert.
Lange erklärten Kommentatoren die Beliebtheit der AfD mit dem Dauerstreit der Ampel. Und sicher schürt schlechte Regierungsarbeit Frust. Doch einfach nur „besser“ oder leiser als die Ampel zu regieren, wird nicht reichen. Diese nationalen Erklärungen greifen zu kurz. Sie ignorieren, dass der Rechtsruck weltweit stattfindet.
Genau deshalb ergründen wir von CORRECTIV die grenzüberschreitenden Netzwerke, die versuchen, unsere Politik nach rechts zu verschieben. Nicht ein bisschen nach rechts, sondern sehr radikal.
Dabei gibt es ein regelrechtes Drehbuch. Ein zentrales Element: der Angriff auf die Justiz. Ungarns Orbán machte es vor, Trump ist mitten dabei. Dass die gescheiterte Verfassungsrichterwahl in Deutschland ebenfalls in einer Kampagne von Rechtsaußen gründete, sollte uns deshalb zu denken geben.
Ein weiteres Kernelement: Medien, die Hass säen. Nach dem Vorbild radikaler US-Medien hat sich auch hierzulande eine solche Blase etabliert. Ihr Geschäftsmodell: Die Unzufriedenheit über emotionale Halb- und Unwahrheiten zur rasenden Wut steigern. Wie sich solche Krawallmedien grenzüberschreitend vernetzen, lesen Sie unter den heutigen Recherchen der Woche.
Ein weiterer Punkt des Drehbuchs: Die kritische Zivilgesellschaft angreifen und unter dem Vorwurf politischer Einseitigkeit die Finanzierung streitig machen.
All diese Strategien zielen darauf, die Gesellschaft zu spalten. So steht es auch im Strategiepapier der AfD: Die Mitte soll durch einen Kulturkampf auseinanderbrechen, damit Konservative in die Arme der AfD getrieben werden. Wie die Union darauf reagiert, ist deshalb entscheidend. Lässt sie sich nach rechtsaußen treiben (gelegentlich sieht es danach aus)? Oder orientiert sie sich stabil zur demokratischen Mitte?
Doch gibt es diese Mitte überhaupt noch? Darauf gibt es durchaus eine hoffnungsvolle Antwort: In vielen Sachfragen liegen wir gar nicht so weit auseinander. Das zeigt die Forschung des Soziologen Steffen Mau. Selbst bei großen Streitpunkten gibt es demnach hierzulande einen Grundkonsens – trotz Triggerthemen wie Migration, Diversität und Klima.
Was jedoch zugenommen hat, ist die affektive Polarisierung – die Abneigung gegenüber politisch Andersdenkenden, obwohl die thematischen Differenzen gar nicht so riesig sind. Das Dämonisieren („Gender-Ideologen“, „Klimakiller“) und die hohe Emotionalisierung innerhalb der Debatten führen zu einer Art permanenter Lagerbildung. Mit langfristigen Folgen.
Was hilft? Ein Baustein wäre: verbal abrüsten – auch in der Politik. Weniger oft die Triggerpunkte bewirtschaften; seltener über das Stöckchen springen, das die Rechtsextremen hinhalten. Ansonsten werden die Gräben tiefer.
Etwas ausgeruhter diskutieren bei hitzigen Themen – dazu gibt es den zweiten Teil des Denkanstoßes von unserem Migrationsexperten Carsten Wolf, den ich Ihnen empfehlen möchte. Zehn Jahre nach dem Satz „Wir schaffen das!“ blickt er darauf, was gut lief – und was nicht.
Ich darf heute meine Kollegen Justus von Daniels vertreten und wünsche Ihnen einen guten Start ins Wochenende. Natürlich auch mit den Recherche-Empfehlungen der Woche.
Herzlich
Sebastian Haupt
Rechtes Medien-Netzwerk um Sebastian Kurz
Wie setzt man Themen? Mit Lautstärke auf den eigenen Kanälen: Die österreichische Falter-Zeitung hat untersucht, wie ein Geflecht aus Politikern, Journalistinnen und Geldgebern ein „illiberales Netzwerk“ in Deutschland und Österreich aufgebaut hat. Ein Kanal: die Krawallplattform Exxpress – dem österreichischen Pendant zu Nius. Ein Blick auf die Macher – von Viktor Orbán bis Julian Reichelt, von Sebastian Kurz bis Frank Gotthardt.
Der Ex-Kanzler, seine Freunde und ihr rechtes Mediennetzwerk (falter.at) (€) / kostenfreier Überblick: falter.at
Masken-Affäre: Abschlussbericht gibt weitere Hinweise
Die Sonderermittlerin Margaretha Sudhof sollte die Maskenbeschaffung während der Corona-Pandemie untersuchen. Besonders im Fokus: das Verhalten des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn. Laut MDR Investigativ gibt der Abschlussbericht Hinweise auf eine Firma aus Sachsen: mit auffälliger Nähe zur CDU.
Sudhof-Bericht mit Hinweisen auf Firma in Sachsen (mdr.de)
Mythos Aufstieg – wie gerecht ist Deutschland wirklich?
„Wer will, der kann.“ Klingt gut – und macht Milliardäre zu Vorbildern. Doch die Realität sieht anders aus: Soziale Mobilität ist in Deutschland erschreckend gering, während Reiche deutlich weniger Steuern zahlen als Normalverdiener. Katty Salié ergründet in dieser Doku, warum die Chancen in Deutschland ungleicher verteilt sind, als wir glauben – und was sich ändern müsste, damit Aufstieg mehr ist als ein Märchen.
Mythos Aufstieg (zdf.de)
Angriff auf das Nasser-Krankenhaus
Mehrere getötete Journalisten und zahlreiche weitere Todesopfer: Die israelischen Militärschläge auf das Nasser-Krankenhaus im Gazastreifen lösten international kritische Reaktionen aus. Sky News hat nachrecherchiert, was sich aus Satellitendaten, Zeugenaussagen und Social-Media-Beiträgen rekonstruieren lässt.
Israeli strike on Gaza hospital (sky.com)
Vor zehn Jahren sprach Merkel ihren berühmten Satz: „Wir schaffen das“. Vor zwei Tagen habe ich hier erklärt, warum sie recht hatte. Deutschland ist nicht in „bürgerkriegsähnlichen“ Zuständen versunken. Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, dass die Integration der Geflüchteten von 2015 besser gelaufen ist als früher. Heute geht es um das „Aber“.
Mehr als zwei Millionen Menschen haben seit 2015 in Deutschland Schutz vor Krieg und Vertreibung erhalten. Das ist eine enorme gesellschaftliche Leistung. Es gibt aber noch Bereiche, in denen viel zu tun ist.
Integration von Frauen:
Die allermeisten geflüchteten Männer, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben einen Job gefunden (76 Prozent). Bei geflüchteten Frauen ist das anders: Sie arbeiten immer noch viel seltener (35 Prozent). Die wenigsten hatten einen Berufsabschluss, als sie nach Deutschland kamen. „Traditionelle Rollenbilder“ hindern sie am Arbeiten. Häufig sind sie für die Kinderbetreuung zuständig. Hier sind viele Integrationsbemühungen bisher ins Leere gelaufen.
Bürgergeld:
Mehr als zwei Drittel der Geflüchteten von 2015 benötigen keine Sozialleistungen mehr. Das heißt aber im Umkehrschluss: Ein Drittel lebt seit zehn Jahren von staatlichen Hilfen. Das ist viel im Vergleich zu anderen Migranten. Auch wenn viele Bürgergeld-Kritiker das Problem übertreiben – tatsächlich läuft die Integration im Bürgergeld immer noch langsam. Aber: Das Bürgergeld ist das kleinere Übel. Im Unterschied zu den Asylleistungen erlaubt es immerhin einen strukturierten Zugang zu Maßnahmen wie Sprachkursen oder Weiterqualifikationen. Die Pläne der Bundesregierung, neu ankommende Ukrainer künftig nur noch Asylleistungen zu zahlen, verschlechtern deren Job-Chancen eher.
Kriminalität:
Die allermeisten Geflüchteten werden nicht straffällig. Trotzdem sind es junge, ausländische Männer aus Asylländern, die häufiger für Gewaltdelikte verantwortlich sind. Dafür gibt es viele Gründe: Sie leben etwa häufiger in Armut und stehen eher im Fokus der Polizei. Das kann man zwar rausrechnen – und für einen Vergleich ist das auch wichtig. Aber das ändert nichts daran, dass Geflüchtete für diese Straftaten verantwortlich sind. Dazu kommen furchtbare Angriffe wie in Solingen, Mannheim oder Aschaffenburg. Dadurch und durch die überproportionale Berichterstattung fühlen sich viele verunsichert. Da hilft es auch nicht, dass die Kriminalität heute viel niedriger ist als zum Beispiel noch in den Neunzigerjahren.
All diese Punkte sind offene Integrations-Baustellen. Und die rechtsextreme AfD nutzt sie für ihre spalterische Politik. Das hat dafür gesorgt, dass die Akzeptanz vieler Menschen schwindet. Mehr als zwei Drittel sagen in Umfragen, Deutschland solle weniger Flüchtlinge „aufnehmen“. Vor zehn Jahren waren es noch 21 Prozent.
Haben wir es also geschafft? Eine eindeutige Antwort habe ich nicht. Es gibt Erfolge und es gibt Probleme. In jedem Fall hat Deutschland viel dazu gelernt in den letzten Jahren.
Carsten Wolf ist Fachautor für Migration und schreibt sonst für den „Mediendienst Integration“. https://x.com/zeitungsboy

Lukrative Kita: Offshore-Strukturen in der Marienkäfergruppe
Ein undurchsichtiges Firmengeflecht, eine Stiftung in Liechtenstein, Verdacht auf Steuerhinterziehung: Der Fall eines fragwürdigen Kita-Betreibers steht für ein größeres Problem. Denn die Regierung will mehr Investments in die soziale Infrastruktur locken. Die Frage ist nur, ob der Staat den Überblick über diese sensiblen Bereiche behält.
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„Unterführung? Gefahren-Zone!“
Menschen mit Behinderungen sollen gleichberechtigt leben können. Das Schweizer Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz garantiert dies seit über 20 Jahren. Aber die Wahrheit sieht anders aus. Ein Projekt von CORRECTIV.Schweiz und der Hochschule Luzern zeigt: Es gibt viele unsichtbare Hindernisse. Hindernisse, die Angst machen. CORRECTIV.Schweiz ist ein Recherchezentrum, das sich für das Wohl aller einsetzt.
correctiv.org (leichte Sprache)
So wenig aus dem Infrastruktur-Topf soll in den Kommunen ankommen
Von den 500 Milliarden Euro „Sondervermögen Infrastruktur“ bekommen die Bundesländer im Herbst 100 Milliarden – und müssen sie zum Teil an die Kommunen weitergeben. Nach CORRECTIV-Informationen wird aber deutlich weniger Geld in die Städte und Gemeinden fließen, als zunächst erwartet.
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„Zusammen sind wir stark“: Deutsche Spenden für Russlands Krieg
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An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Martin Böhmer, Samira Joy Frauwallner, Pia Tiber.
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