Teaser Bild des CORRECTIV Spotlight Newsletters

vor wenigen Tagen saß ich im Rathaus meiner kleinen französischen Gemeinde. Patentante sollte ich werden – für die Tochter einer guten Freundin. „Das ist ein schöner Tag“, sagte die Vize-Bürgermeisterin, mit blau-weiß-roter Schärpe, vor der blau-weiß-roten Flagge, und fügte mit strahlendem Lächeln hinzu: „Auch mit unserer Patin von der anderen Seite.“

Von der anderen Seite? Moi? Seit mehr als 15 Jahren wohne und arbeite ich in Frankreich, ich erkenne blind 37 Käsesorten, ich exe Champagnerflûtes und fluche auf Französisch, aber in diesem Moment wurde ich wieder zur Einwanderin. Merde. Auch die blau-weiß-rote Vize-Bürgermeisterin guckte etwas erschrocken über ihre eigenen Worte. Später überreichte sie mir sehr viele zuckrige Mandeln.

Mit dem süßen Marzipangeschmack im Mund traf mich dann Friedrich Merz’ Äußerung. Der CDU-Bundeskanzler machte „Probleme mit dem Stadtbild“ im Zusammenhang mit Migration aus – vage genug, um als Verstolperung durchzugehen, gezielt genug, um hängenzubleiben. Später relativierte er sich ein wenig. Ein Versehen? Ein Unfall? Ich bitte Sie!

Worte sind Merz’ Macht.

Wortfallen stellte kürzlich auch Kulturminister Wolfram Weimer auf. Er bemängelte die „Zwangsbeitrag“ für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Zwangsbeitrag. Eine Vokabel-Anleihe von der düsteren anderen Seite, der AfD. Ein Versehen? Ich bitte Sie!

Worte sind Weimers Werkzeug.

Dann Julia Klöckner, und langsam schmerzte der Mandelmagen. In der Talkshow Lanz verteidigte sie mühsam, einen Post weiterverbreitet zu haben. Der Originalsatz: Merz habe die Moderatorin Dunya Hayali „fertig gemacht“. Fertig gemacht? Ein aggressives Wort, unpassend für eine Bundestagspräsidentin. Aber ein Missgeschick? Ich bitte Sie!

Worte sind Klöckners Kalkül.

(Zufällig recherchieren wir gerade zu Julia Klöckners Einfluss in der CDU. Viele halten sie, so viel sei verraten, für eine ausgebuffte Strategin. Sie können gespannt sein.)

Drei gestandene Politiker, drei rhetorische „Unfälle“. Doch die Richtung bleibt stets dieselbe: ins Glitschige. „Ce n’est pas une gaffe, c’est un plan“, würde meine blau-weiß-rote Bürgermeisterin sagen. Kein Versehen, sondern Strategie. Sag hastig etwas Grenzwertiges – und sieh gemütlich zu, wie sich der Diskurs mandelbreit verschiebt.

Inzwischen ist die Marzipankette so lang, dass Angela Merkel heute wie eine linke Socke daherkommt.

Aber damit Sie, liebe Leserinnen und Leser, das Wochenende mit einer geschenkten Stunde zuckersüß genießen können, gibt es auch positive Wort-Neulinge:

Das Bundesverwaltungsgericht urteilte in dieser Woche, das „Remigrationskonzept“ von Martin Sellner sei „menschenwürdewidrig“. Sie erinnern sich: CORRECTIV hatte dieses Konzept in der Geheimplan-Recherche offengelegt. Es sah vor, Nicht-Deutsche und „nicht-assimilierte Staatsbürger“ durch „Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderte Gesetze“ zu vertreiben. Ein schrecklicher Plan, den das Gericht als verfassungswidrig verurteilte – mit dem wunderbaren Wort: Menschenwürdewidrig.

Wir bei CORRECTIV setzen uns weiter für die Achtung der Würde aller Menschen ein – mit Recherchen, die wir in die treffendsten Worte gießen. Versprochen.

Herzlich,

AfD: Stellt sie Anfragen im Auftrag Russlands?
Nutzt die AfD ihr parlamentarisches Fragerecht, um gezielt Informationen über Militär und kritische Infrastruktur zu sammeln und womöglich an das Putin-Regime weiterzuleiten? Diesen Verdacht hat Thüringens Innenminister Georg Maier nun öffentlich geäußert.
Warum interessiert sich die AfD für Drohnen und militärische Transporte? (faz.de)

Zerstörung einer Kläranlage
Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas stand bereits fest, als israelische Soldaten offenbar die Kläranlage „Sheikh Ejleen“ südlich von Gaza-Stadt in Brand setzten. Darauf deuten Fotos hin, die in sozialen Medien kursieren und ZDF-Frontal vorliegen. Wenige Stunden vor ihrem Teilabzug aus Gaza zündeten israelische Soldaten offenbar die Anlage an, deren Bau Deutschland mit mehreren Millionen Euro finanziert hatte.
Zerstörten Soldaten absichtlich Kläranlage in Gaza? (zdfheute.de)


Manche stolperten eher zufällig auf dem Nachhauseweg in unser Studio, andere reisten quer durch die Stadt, um uns ihre Geschichte zu erzählen. Für manche ist der Heizungstausch kaum mehr als ein Bastelprojekt, andere suchen seit Jahren nach Lösungen für ein warmes Zuhause.

Wie zwei Brüder aus der Stuttgarter Innenstadt: Die Rentner besitzen zwei Altbauwohnungen im gleichen Haus. Sie befürchten, dass ihre Gasheizungen bald kaputtgehen könnten — oder die Stadt das Gasnetz stilllegt. Fieberhaft suchen sie nach einer Alternative. Doch für eine Wärmepumpe fehlt der Platz. Auf Fernwärme sollen sie noch Jahre warten. Für einen Anschluss müsste zudem die Mehrheit der Eigentümer im Haus zustimmen. Dabei haben manche kürzlich erst eine neue Gasheizung eingebaut.

Fast jeder zweite Schulsozialarbeiter denkt an Jobwechsel
Viele Schulsozialarbeiter in Deutschland sind überlastet und fühlen sich alleine gelassen. Es fehlen unterstützende Strukturen und fachliche Begleitung. Das zeigt eine neue Studie, die CORRECTIV vorab vorliegt.
correctiv.org

Missbrauch im Sport: Neues Zentrum setzt auf freiwillige Aufarbeitung
Nur freiwillige Mitarbeit, Warnung vor Überlastung und verschobener Start: Neue Pläne für staatliches Zentrum zur Aufarbeitung von Missbrauch im Sport sorgen für Kritik. Die Staatsministerin verteidigt ihre Pläne.
correctiv.org

Der Traum von Wasserstoff in Wärmenetzen
Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg planen, ihre Wärmenetze bald mit Wasserstoff zu betreiben – doch der grüne Energieträger ist rar, teuer und kaum verfügbar. Die Fernwärmekunden haben kein Mitspracherecht, zahlen die Rechnung und sind dem Anbieter ausgeliefert. Hinter der sauberen Fassade steckt ein riskantes Experiment: ein Wärmewende-Versprechen, das auf heißer Luft basiert.
correctiv.org

An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Max Bernhard und Finn Schöneck.