Spendengerichte
Hunderte Millionen Euro haben Beschuldigte in den vergangenen Jahren gezahlt, damit Strafverfahren in Deutschland eingestellt werden. Richter und Staatsanwälte vergeben den größten Teil dieser Millionen freihändig – und so gut wie keiner kontrolliert sie dabei. Diese Intransparenz begünstigt Korruption, stellt das Hamburger Oberlandesgericht fest.
Die Justiz in Deutschland verteilt jedes Jahr Dutzende Millionen Euro Bußgelder aus eingestellten Verfahren oder abgebrochenen Ermittlungen. Das Geld soll vor allem in Projekte fließen, die der Vorbeugung von Verbrechen dienen; den Opfern soll geholfen werden oder den entlassenen Straftätern. Aber passiert das auch?
Tatsächlich ist undurchsichtig, wie die Millionen verteilt werden. Es gibt keine zentrale Sammelstelle für die Zahlungen, die Daten werden lückenhaft erfasst, eine Kontrolle findet so gut wie nicht statt. Richter, Staatsanwälte und hunderte Millionen Euro bleiben sich selbst überlassen. Nur selten fällt auf das System ein Schlaglicht, wie im Fall von Bernie Ecclestone, der sich gegen Zahlung von 100 Millionen US-Dollar vor dem Gericht München freikaufen konnte. Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu: „Zahlt ein Täter genug Geld, ist die Sache aus der Welt.“
CORRECTIV hat nun zum ersten Mal alle verfügbaren Fakten über die Geldströme aus den deutschen Gerichten zusammengeführt. Und veröffentlicht diese nun in einer umfangreichen Datenbank. Hier finden sich tausende Vereine, die Geld bekommen haben. Von Flensburg bis nach München. Von Aachen bis nach Görlitz. Darunter etliche Vereine, die wenig mit dem Täter-Opferausgleich oder der Strafvorbeugung zu tun haben.
Eine Frage drängt sich bei dem Blick in die Datenbank auf: Handeln Richter tatsächlich im Interesse der Allgemeinheit? Oder fördern sie mit dem Geld aus ihren Verfahren das Privatvergnügen von Kollegen, Freunden und Verwandten?
Helfen Sie mit. Schauen Sie in unsere Datenbank. Entdecken Sie Auffälligkeiten? Vereine, bei denen Richter Mitglied sind? Schreiben Sie uns oder ihrer Lokalzeitung. Machen Sie Ihre Bedenken öffentlich.
Wir zeigen an einem konkreten Beispiel, warum dem Geldregen aus der Justiz mehr Transparenz gut tun würde.
in Treffer in der Datenbank „Justizgelder“ verweist auf den Verein Memnon – allein 62.000 Euro erhielt dieser e.V. in den vergangenen drei Jahren.
Das Besondere daran: der Münchner Club hat nichts mit Vorbeugung oder Jugendschutz zu tun. Dafür aber ist sein Vorstand mit Richtern besetzt.
Der Memnon e.V. erhält seit Jahren Geld aus der bayerischen Justiz. Damit bezahlt er eine Ausgrabung in Ägypten. An die lukrative Förderung kam der Verein ausgerechnet über eine Richterin. Über Ursula Lewenton.
Lewenton fährt im Jahr 2002 nach Ägypten, ins deutsche Haus in Luxor. Dort graben Archäologen die größte Tempelanlage des Landes aus, die Gedenkstätte für Pharao Amenophis III. Die Münchner Richterin lernt hier bei einem Besuch die Grabungsleiterin Hourig Sourouzian kennen. Die beiden Frauen verstehen sich. Die Grabungsleiterin braucht Geld für ihre Arbeit. Lewenton weiß, wo Geld zu holen ist: Sie arbeitet am Oberlandesgericht München und genau dort werden immer wieder Schätze verteilt.
Zurück in München macht sich die Richterin ans Werk. Sie gründet den Verein Memnon. Er soll Geld aus der Justiz eintreiben und in die Grabungen in Ägypten stecken.
Diese Art der Geldgabe ist nicht strafbar. Aber es bleibt fragwürdig, wenn Richter den Verein einer Ex-Richterin finanzieren.
Wenige Monate nachdem Lewenton in Rente geht, spricht sie ihre ehemaligen Kollegen an Gerichten und in den Staatsanwaltschaften an. Sie verteilt Flyer und selbst gedrehte Videos, die sie von ihren Besuchen in Ägypten mitbringt.
Die Strategie der Richterin geht auf. Immer wieder entscheiden Richter und Staatsanwälte, wenn sich ein Beschuldigter von Strafe freikauft: Memnon soll das Geld bekommen. Der Club der Kollegin.
Woher das Geld kommt? „Staatsanwaltschaft München 1, Staatsanwaltschaft München 2, Ingolstadt“, sagt Lewenton. Alles Gerichte und Staatsanwaltschaften, in denen die Memnon-Gründerin gut bekannt ist.
Zwischen 2007 und 2013 bekommt Memnon 89.335 Euro aus der Justiz. Das belegen Unterlagen des Oberlandesgerichtes München, in denen Zahlungen an gemeinnützige Vereine erfasst sind. In den Jahren davor floss noch mehr Geld von den Gerichten an den Verein der Ex-Richterin. Wieviel genau, das will Lewenton aus Datenschutzgründen nicht sagen. Und die Gerichte wissen es nicht, weil die entsprechenden Unterlagen vernichtet wurden. „Daten, die älter als zwei Jahren sind, werden gelöscht„, sagt eine Sprecherin des bayerischen Justizministeriums. Niemand sagt, wie viel Geld Memnon wirklich bekam.
Zu den acht Gründungsmitgliedern des Vereins zählen zwei weitere Richterinnen, beide sind noch aktiv. Eva Spangler arbeitet als Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht München. Sibylle Dworazik führt seit einigen Jahren als Präsidentin das Landgericht Ingolstadt. Lewenton sagt, dass die beiden Richterinnen nicht selbst Memnon Geld zugewiesen hätten. Es soll „kein falscher Eindruck“ entstehen. Auch Spangler und Dworazik betonen gegenüber CORRECTIV, dass sie selbst Memnon nie Geld aus Verfahren gegeben hätten.
Der Vorsitzende des bayerischen Rechtsausschusses, Franz Schindler (SPD) findet dieses Vorgehen anrüchig. „Da lässt sich eine ehemalige Richterin für Ihren Ruhestand quasi ihr Hobby finanziell ausstatten.“
Richterin Lewenton sagt, sie habe keine „privaten“ Verbindungen ausgenutzt, sondern nur die „kollegialen“. Sie habe immer direkt den Behördenleiter angesprochen, „ganz offiziell“. Sie sagt: „Ich habe den Vorteil, dass ich den Kontakt habe“.
Auf Nachfrage von CORRECTIV hat das bayerische Justizministerium den Vorgang geprüft. Die oberste Landesbehörde ermittelte dabei nicht, welche Justizangestellten Geld an Memnon verteilt haben. Stattdessen sprach das Minsterium mit der Vereinsgründerin Lewenton. Die Ex-Richterin wiederholte ihre Aussage: kein Richter, der gleichzeitig Mitglied ihres Vereins sei, habe Geldauflagen an den eigenen Verein überweisen lassen. Das reichte den ministerialen Ermittler als Untersuchung im eigenen Haus. Ihr Ergebnis: Es liegt kein „Fehlverhalten von Justizbediensteten“ vor.
Wie kommt es zu solch hohen Summen? Martin Wenning-Morgenthaler, Sprecher des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung, glaubt nicht, dass Richter ihre Verfahren betriebswirtschaftlich angehen. Bei den Angeklagten – gerade bei Prominenten – erkenne er aber das Interesse „möglichst schnell wieder aus den Medien raus“ zu sein. Wenn eine Freiheitsstrafe drohe, zahle man lieber Geld, sagt Wenning-Morgenthaler.
Nach Recherchen von CORRECTIV werden etliche Zuweisungen grundsätzlich nicht erfasst. In Bayern müssen Vereine zum Beispiel an die Justiz melden, wie viel Geld sie bekommen haben. Ob die Summe stimmt, wird aber nicht kontrolliert. Wenn eine Meldung vergessen wird, erfährt davon niemand. Und wählt ein Richter eine Einrichtung aus, die das Gericht nicht zuvor auf einer zentralen Liste erfasst hat, gibt es keine Stelle, an der die Zahlungen gesammelt werden, geschweige denn kontrolliert. Theoretisch könnten Richter alle Geldauflagen an ihre privaten Kegelvereine geben – und niemand würde es merken. Niemand weiß, wie viel Geld Richter und Staatsanwälte in Deutschland jedes Jahr wirklich verteilen und wohin das Geld geht.
Diese Lücke in der Datenerfassung „macht das System korruptionsanfällig“, sagt ein Sprecher der Hamburger Justizbehörde. Am Ende gehe es um die Frage der Selbstkontrolle. Kann man davon ausgehen, dass alle Richter vernünftig handeln, nur weil es zum Berufsethos gehört? Und profitieren am Ende die Personen, denen das System besonders gut vertraut ist?
Richter sollten schriftlich begründen, warum sie einer Einrichtung Geld geben. Das würde die „richterliche Unabhängigkeit“ stärken und Möglichkeiten beschränken, korrupt zu handeln. Das schrieb der Landesrechnungshof Niedersachsen schon 2009 nach einer Routineprüfung. Die Landesregierung veranstaltete daraufhin Kurse mit Fortbildungen zur Korruptionsvorbeugung. Am System, das Korruption möglich macht, änderte die Regierung nichts.
Auch 2014 muss in Deutschland kein Richter begründen, wie er Bußgelder verteilt. Der Bundesrechnungshof verweist auf Anfrage von CORRECTIV an die Länder. Doch dort sammeln die meisten Oberlandesgerichte und Justizministerien lediglich Daten – und prüfen nichts. Die zuständigen Landesrechnungshöfe geben – wenn überhaupt – nur Vorschläge. Die Millionen bleiben ohne Aufsicht.
In der CORRECTIV-Datenbank finden sich neben dem Verein Memnon weitere Beispiele fragwürdiger Spenden, zum Beispiel die Westerwälder Eisenbahnfreunde, Schützen- und Heimatvereine, Karnevalsvereine oder groß angelegte Bauprojekte. Immer wieder ist fraglich, ob die Vereine die Geldauflagen zum Zweck der Verbrechensvorbeugung ausgegeben haben.
Wer in Deutschland Bußgelder von Richtern und Staatsanwälten bekommen möchte, kann sich auf offiziellen Listen bei Gerichten eintragen lassen. Diese Listen sollen dabei helfen, eine Auswahl zu treffen. Doch die Listen sind lang und die Auswahl scheint willkürlich. Am Oberlandesgericht Karlsruhe zum Beispiel werden knapp 600 Einrichtungen geführt. Auch die „Taxistiftung Deutschland„ steht drauf. In den meisten Bundesländern gibt es tausende Vereine auf den Listen. Viele bekommen nichts überwiesen.
Wer Geld kriegt und wer nicht, wird in Deutschland nicht einheitlich erfasst. Während in Bayern nur die Vereine selbst die guten Gaben zurückmelden müssen, hat Hamburg ein engmaschigeres System. Dort haben die Verantwortlichen gelernt, dass blindes Vertrauen und Intransparenz auch bei Rechtspflegern in die Korruption führen kann. Anfang der 70er Jahre wurde ein regelrechtes Bußgelder-Melk-System aufgedeckt. Im Zentrum stand damals der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS). Der dringende Verdacht: Staatsanwälte und Richter stellten Verfahren gegen die Zahlung an den BADS ein, hielten später Vorträge für genau diesen BADS und ließen sich dafür satt entlohnen.
Die unrühmliche Vergangenheit hat dem BADS nicht geschadet. Heute ist er der sechsgrößte Empfänger mit 1,6 Millionen Euro in den letzten drei Jahren.
Als der Fall öffentlich wurde, stellten die Hamburger ihr System um. Nun sollen Richter nicht mehr konkreten Vereinen Geld überweisen, sondern nur noch allgemeine Fördergebiete benennen. Ein Gremium aus Richtern, Staatsanwälten und den Sozialbehörden verteilt im nächsten Schritt das Geld auf die Einrichtungen. Wenn ein Verein daran beteiligt werden möchte, muss er jedes Jahr einen Antrag mit der gewünschten Summe und dem entsprechenden Zweck benennen. Dieses System kostet Zeit und damit Geld. Zwei Personen sind in Hamburg hauptsächlich damit beschäftigt, diese Fonds zu verwalten.
Doch trotz dieses komplexen Systems muss auch Hamburg immer noch mit einer Dunkelziffer kämpfen: es gibt Richter, die das vorgeschlagene System einfach nicht nutzen. Richter sind unabhängig. „Wir können nur dafür werben, dass es ein sinnvolles System ist„, sagt Holger Schatz, Leiter des Hamburger Strafvollzugsamts. Zur Transparenz zwingen kann Schatz die Richter nicht. Wie viele Richter das neue Verteilungs-System umgehen, wird auch nicht erfasst.
Schon öfter gab es Initiativen die Zahlungsströme transparent zu gestalten. Bislang sind alle gescheitert. Es gab nur Veröffentlichungen zu einzelnen Gerichten. Eine Gesamtübersicht fehlt. Auch unsere Übersicht für die Jahre 2011 bis 2013 ist nicht vollständig. In den meisten Bundesländern werden die Gaben aus der Justiz gar nicht veröffentlicht. In Baden-Württemberg existiert nicht einmal eine zentrale Übersicht, an welche Einrichtungen Geld verteilt wurde, hier werden nur die Top 3 der Geldempfänger genannt. Der Rest ist undurchsichtig. So gut wie niemals lässt sich nachvollziehen, welches Gericht oder welche Staatsanwaltschaft gezahlt hat. Die Namen der Richter und Staatsanwälte bleiben immer geheim. Das hessische Justizministerium hält die Daten für die Jahre 2012 und 2013 zurück, ohne Begründung, rein willkürlich. Das Landgericht München 2 hat die Angaben für das Jahr 2012 verschusselt. Angeblich seien die Daten aufgrund eines „technischen Fehlers“ verloren gegangen. Die Staatsanwaltschaft Stralsund hat für das Jahr 2011 keine Informationen über Geldströme und in Brandenburg wird aus Prinzip keine Geldzuweisung unter 1.000 Euro erfasst.
Genug Graufelder, in denen gemauschelt werden kann.
CORRECTIV fordert:
Das undurchsichtige System der Bußgeldverteilung in Deutschland muss beendet werden. Richter und Staatsanwälte sollen nicht mehr willkürlich entscheiden dürfen, welcher Verein Geld bekommt.
Stattdessen sollten alle Bußgelder und Gelder aus Verfahrenseinstellungen direkt in die Staatskassen der Bundesländer fließen. Dort entscheiden Parlamente in einem erprobten und demokratisch legitimiertem System über die Verwendung der Mittel. Die Parlamente könnten etwa nachprüfbare Vorgaben erlassen, unter denen das jeweilige Justizministerium die Bußgelder an gemeinnützige Vereine verteilen darf. So wird verhindert, dass ein Korruptionsverdacht aufkommt.
Staatsanwälte sind Beamte. Richter sind Beamten gleichgestellt und werden auch vom Staat bezahlt. Warum sollen diese Juristen eigene, unbeaufsichtigte Geldtöpfe verwalten? Normale Staatsbedienstete bekommen schließlich auch keine Millionen, die sie nach eigenem Gutdünken an ihre Lieblingsvereine verteilen.
In unserer Datenbank haben wir alle verfügbaren Daten zusammengetragen. Jedermann hat nun die Möglichkeit, selbst nachzuprüfen, ob die Geldgaben sinnvoll waren – oder ob Millionen verschwendet wurden.
Wir bitten Sie nun mitzuhelfen, für mehr Transparenz zu sorgen. Kennen Sie Vereine, zu denen Richter und Staatsanwälte enge Beziehungen pflegen? Sehen Sie Einrichtungen, die nicht gemeinnützig handeln? Könnten Fördermittel missbraucht werden? Tippen Sie einfach den Namen Ihrer Stadt oder Ihrer Gemeinde ein und Sie sehen, wer in Ihrer Region Geld bekommen hat.
Wenn Ihnen Vereine auffallen, sagen Sie uns Bescheid oder wenden Sie sich an Ihre Lokalzeitung. Wir oder die Kollegen können nachprüfen, welches Gericht oder welcher Richter das Geld gegeben hat und damit einen Verdacht bestätigen oder ausräumen.
Wenn Sie sensible Informationen teilen wollen, können Sie dafür unser anonymes Upload-Portal nutzen.
Im Fall von Bernie Ecclestone floßen übrigens 99 Millionen Dollar in die Staatskasse, eine Million Dollar ging an die Kinderhospiz-Stiftung. In unserer Datenbank ist diese Zahlung noch nicht enthalten, weil sie erst 2014 getätigt wurde – unsere Daten umfassen den Zeitraum 2011 bis 2013.
Verantwortlich: David Schraven
Redaktion: Jonathan Sachse / Daniel Drepper
Entwicklung der Datenbank: Stefan Wehrmeyer
Unterstützung bei Anfragen für Datenbank: Anja Perkuhn
Förderung durch das Seminyak-Stipendium.
Titel-Animation: Ivo Mayr
Art Direction: Thorsten Franke / mediaPolis
Fotos Grabung am Luxor Tempel: Memnon-Projekt, Deutsches Archäologisches Institut