Die Ingolstadt GmbH
Der ehemalige OB Ingolstadts steht vor Gericht, der Klinikchef begeht in U-Haft Selbstmord. In Ingolstadt zeigt sich die Schattenseite sogenannter Bürgerkonzerne: Städte gründen Unternehmen, um Verwaltungsaufgaben auszulagern und führen sie mit Aufsichtsräten, die oft zu Verschwiegenheit verpflichtet sind - ein Nährboden für Korruption.
Hinweis: Am 22. Oktober 2019 verurteilte das Landgericht Ingolstadt den Ex-OB Alfred Lehmann zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Am 19. Oktober 2017 sitzt Heribert Fastenmeier in seiner Zelle und bereitet sein Ende vor. Sein Testament umfasst neun Seiten. Er schreibt seiner Frau, in den Tagen darauf den Eltern, Kindern und Geschwistern. Er packt alle Briefe in einen Umschlag und schickt sie seinem Anwalt mit der Bitte, diese „im Falle eines besonderen Ereignisses“ weiterzuleiten.
Die Anschuldigungen gegen den früheren Geschäftsführer des Klinikums Ingolstadt wiegen schwer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue in 99 Fällen vor, zudem Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Fastenmeier soll sich selbst bereichert haben, auch seine Familie und Bekannte rückten in den Fokus der Ermittler. Dem Krankenhaus soll ein Schaden von 2,178 Millionen Euro entstanden sein.
Fastenmeier führte 15 Jahre die Geschäfte, unter seiner Leitung erzielte das kommunale Krankenhaus zuletzt mehr als drei Millionen Euro Jahresgewinn. In der Gesundheitsbranche war er als Experte gefragt. In Ingolstadt nannten sie ihn „Mr. Klinikum“.
2016 begann sein Absturz. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt ermittelte gegen ihn, Monate später nahm sie ihn wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Im Gefängnis versuchte Fastenmeier seine Unschuld zu beweisen und schrieb beinahe jeden Tag Briefe, Anträge und Rechtfertigungen. Am Ende zählte er „rund tausend Seiten“. Aber es nutzte ihm nichts. Das Gericht lehnte seine Haftbeschwerden ab, er kam nicht frei.
Am 21. Dezember 2017 verfasst Fastenmeier einen seiner letzten Briefe an Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU). Fastenmeier wirft seinem ehemaligen Chef vor, dieser wolle ihn in der Haft wirtschaftlich ruinieren und vernichten, indem er seine Konten und Rentenansprüche durch die Justiz sperren ließ. Lösel missbrauche den Aufsichtsrat des Klinikums und ignoriere seine Einlassungen zu den Anschuldigungen, so Fastenmeiers Vorwurf. Zudem beklagt er Lösels „diskrete Zurückhaltung“ in den Themen, die den Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) betreffen sollen. Fastenmeiers Vorwürfe werfen Fragen auf: Wollte der amtierende Oberbürgermeister Lösel die Verantwortung und angebliche Mitschuld seines Vorgängers Lehmann verheimlichen? Deckte Lösel etwa Lehmann, um die eigene Karriere nicht zu beschädigen?
Fastenmeier erhängte sich sechs Tage später.
Mit Hilfe der Aufzeichnungen, interner Protokolle, vertraulicher Unterlagen und Memos lässt sich rekonstruieren, wie – versteckt vor der Öffentlichkeit – Fastenmeier und der frühere Oberbürgermeister Alfred Lehmann sich abstimmten, angeblich um sich am Klinikum und damit am Steuerzahler zu bereichern. Ob und ab wann Lehmanns Nachfolger Lösel davon wusste, ist unklar. Vernachlässigte Lösel seine Aufsichtspflicht, indem er Lehmann frei agieren ließ?
Bürgerkonzerne sind Nährboden für Korruption
Hinter der Klinikum-Affäre verbirgt sich mehr als mutmaßliche Verfehlungen einflussreicher Männer. Recherchen von CORRECTIV geben Einblick in ein System, welches Korruption begünstigt und Politikern erlaubt, sich demokratischer Kontrolle zu entziehen.
Ein System, das so auch in vielen deutschen Kommunen existieren soll. Immer dann, wenn Landkreise oder kreisfreie Städte Unternehmer spielen, Teile ihrer Daseinsvorsorge wie sozialen Wohnbau, Müllabfuhr oder Energieversorgung in Tochterfirmen und eigenständige Gesellschaften auslagern, fehlt demokratische Kontrolle, was Missbrauch erleichtern kann. Das Landgericht München II verurteilte vor kurzem einen ehemaligen Sparkassenchef sowie den früheren Landrat des oberbayerischen Landkreises Miesbach wegen Untreue. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Chef der Brandenburger Stadtwerke musste 2015 wegen Korruption drei Jahre in Haft.
Im Mittelpunkt der Ingolstädter Affären steht der „Bürgerkonzern“. So nannte der ehemalige Oberbürgermeister Lehmann das Geflecht aus inzwischen 56 kommunalen Tochterunternehmen, mit dem viele Aufgaben aus der Verwaltung in eigenständige Gesellschaften ausgelagert wurden und so quasi eine Neben-Verwaltung entstand. Auch weitere Städte nutzen solche Konstrukte, so besitzt München 169, Kiel 48 und Frankfurt am Main 558 Beteiligungen.
Als erste Stadt in Bayern hat Ingolstadt vor 50 Jahren eine privatwirtschaftliche GmbH gegründet, damals für Wirtschaftsförderung. Diese “IFG Ingolstadt Kommunalunternehmen AöR” hat Gewerbeflächen und -gebiete sowie eine Tiefgarage entwickelt, später Lagerhallen für Audi. In Ingolstadt führt man darauf den Aufstieg und Erfolg der Stadt zurück, von einer armen, hilfsbedürftigen Region hin zu einer mit der bundesweit niedrigsten Arbeitslosenquote – und teilweise auch den Erfolg von Audi. Die IFG kontrolliert mittlerweile eine Reihe von eigenen Beteiligungen und entwickelt und baut weitere Projekte. Derzeit auf Wunsch von Audi ein Hotel- und Kongresszentrum in bester Lage sowie einen ganzen Stadtteil als Erweiterung von Audi.
Die städtischen Tochtergesellschaften sollen, so die Theorie, mit Hilfe von Aufsichts- und Verwaltungsräten überwacht werden. Besetzt sind diese Gremien mit Mitgliedern des Stadtrats, um eine demokratische Kontrolle zu gewährleisten. Die Lösung hat aber blinde Flecken: So müssen Aufsichtsräte in Ingolstadt über nahezu alle Sachverhalte schweigen. Vertraulichkeit ist in fast allen Unternehmenssatzungen festgeschrieben. Stadträte dürfen sich oft nicht einmal mit der eigenen Fraktion austauschen. Wer plaudert, dem können Sanktionen drohen.
In diesem System hat der einzelne Stadtrat als Kontrolleur wenig zu sagen. Es fehlt an Transparenz. Wie wenig die Ingolstädter Räte wissen dürfen, zeigt ein Schreiben des Rechtsreferenten. Darin heißt es: „Das einzelne Stadtratsmitglied hat daher kein eigenes Recht (…), direkt Auskünfte einzufordern und zu erhalten.“ Die Öffentlichkeit bleibt von Beratungen der Aufsichtsräte fast gänzlich ausgeschlossen. Das Ergebnis mutet grotesk an: Die eigentlichen Kontrolleure sind geknebelt und die politischen Fraktionen dürfen von ihren Mitgliedern nahezu nichts erfahren und können so nur schwer Dinge erfragen.
Christian Lange macht das wütend. Der Stadtrat der Bürgergemeinschaft Ingolstadt (BGI) setzt sich seit Jahren für mehr Transparenz ein. Lange stört, dass in Ingolstadt „an vielen Stellen gemauschelt“ werde. Den Bürgerkonzern sieht Lange als Teil des Problems. „Ich kann meiner demokratischen Überwachungspflicht als Stadtrat mittlerweile nur noch schwer nachkommen, wenn ich nichts wissen und nichts sagen darf“, sagt er.
Manfred Schuhmann sieht das ähnlich. Seit mehr als 40 Jahren sitzt er für die SPD im Stadtrat. Schuhmann beobachtet eine fortschreitende „Entmachtung” des Stadtrates und kritisiert die „Gutsherrenart“ der Rathaus-Spitze.
Lehmann gesteht Manipulation
In seinem Ingolstädter Bürgerkonzern fädelte Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann Immobiliengeschäfte ein, die ihm persönlich genutzt haben sollen. Seit März steht er deshalb vor Gericht. In bislang 19 Verhandlungstagen haben mehr als 40 Zeugen ausgesagt. Diese Aussagen, die Anklageschrift sowie weitere teils vertrauliche Unterlagen, ergänzt durch eigene Recherchen der Autoren, ergeben folgenden Sachverhalt:
Am 1. Dezember 2012 traf sich Heribert Fastenmeier mit Mitarbeitern des Klinikums und der Stadt Ingolstadt, um die Angebote der Bauträger für das Areal des früheren Altstadtkrankenhauses in der Ingolstädter Innenstadt zu öffnen. Die Höchstbietenden sollten den Zuschlag erhalten. Lehmann war auch anwesend und übernahm die Leitung des Vergabetermins.
Für ein Baufeld hatten zwei Bauträger jeweils 3,2 Millionen Euro geboten. Lehmann soll einfach einen Bauträger zum Gewinner bestimmt haben. Im Protokoll ist jedoch vermerkt, es habe einen Losentscheid gegeben. Die Anwesenden waren irritiert, doch alle akzeptierten die Machenschaften des damaligen Oberbürgermeisters. Erst sehr viel später erfuhr man, dass Lehmann als Privatmann von diesem Bauträger auf jenem Bauareal eine 160 Quadratmeter Penthouse-Wohnung kaufte.
Die Staatsanwaltschaft wirft Lehmann vor, dass er als Gegenleistung für die Manipulation nur den Preis für den Rohbau der Wohnung bezahlt habe. Den Ausbau soll der Bauunternehmer kostenlos übernommen haben. Dadurch habe Lehmann rund 280.000 Euro gespart. Lehmann gab die Manipulation vor Gericht zu, bestreitet aber eine Absprache und Vorteilsnahme. Vielmehr habe er von angeblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des anderen Bauträgers gehört und sich im Interesse der Stadt um das Projekt gesorgt.
Ein weiterer Vorwurf der Anklage ließ sich vor Gericht nicht klären. Demnach will ein anderer Bauträger zusätzlich 600.000 Euro geboten haben, sofern er den Zuschlag erhält. Sollte das stimmen, wären die Angebote gar nicht gleich hoch gewesen. Wurde gleich mehrfach manipuliert? Das bleibt unklar, denn es sind Akten verschwunden, die vor Gericht als entscheidende Beweismittel fehlen.
Auf vergleichbare Art soll Lehmann in ein weiteres Immobiliengeschäft eingegriffen haben. Als die Wirtschaftsförderungsgesellschaft IFG, das älteste Tochterunternehmen der Stadt, 2010 Grundstücke und Gebäude auf einem ehemaligen Kasernengelände veräußerte, saß Lehmann ebenfalls als Vorsitzender im Aufsichtsgremium. Die IFG verkaufte ein Gebäude an ein Bauunternehmen aus der Region. Unmittelbar vor dem Notartermin bestand der Käufer jedoch auf Änderungen im Kaufvertrag. Käufer sollte nicht die Firma sein, sondern er und seine Frau als Privatpersonen. Der zuständige Mitarbeiter der IFG brach den Termin beim Notar unter wütenden Protesten ab. Daraufhin soll sich Lehmann erneut eingeschaltet haben. Er soll den Mitarbeiter der IFG telefonisch angewiesen haben, den Vertrag zu beurkunden, ohne noch einmal den Beirat einzuschalten. Drei Monate später kaufte Lehmann zwölf Wohnungen, eben bei jenem Unternehmer, für den er sich eingesetzt hatte. Die Baufirma übernahm auch gleich den Ausbau für Lehmanns Wohnungen, die Staatsanwaltschaft vermutet mehr als 100.000 Euro zu billig. Sie wirft Lehmann deshalb Bestechlichkeit vor. Er bestreitet auch das.
Informelle Absprachen vorbei an den Mitgliedern der Aufsichtsgremien soll es nicht nur bei Immobiliendeals, sondern angeblich sogar für den Vorsitz des Klinikum-Aufsichtsrates gegeben haben. Bevor Alfred Lehmann 2014 als Oberbürgermeister von Ingolstadt abtrat, spielte Fastenmeier mit dem Gedanken seine Position als Geschäftsführer aufzugeben. Lehmann war zu dieser Zeit Fastenmeiers Chef. Diesen Posten sollte nun Lehmanns Nachfolger Christian Lösel übernehmen. So sieht es die Satzung des Klinikums vor. Vermutlich befürchtete wohl Fastenmeier, dass anders als bei Lehmann dessen Nachfolger ihm nicht die vielen Freiheiten zugesteht oder gar Interessenskonflikte duldet.
Alt-Bürgermeister Lehmann und Klinikchef Fastenmeier sollen sich wohl seit Jahren gegenseitig zugearbeitet haben. Fastenmeier hat angeblich Aufträge und Stellen für seinen Sohn, seine Tochter und seine Frau geschaffen. Im Gegenzug soll Fastenmeier offenbar „Sonderwünsche“ des Aufsichtsratsvorsitzenden Lehmann erfüllt und dessen Frau und Tochter im Klinikum untergebracht haben.
Auch andere Stadträte profitierten von dieser Allianz. 2010 soll Lehmann den Klinikchef dazu gedrängt haben, den Fraktionsvorsitzenden der CSU im Stadtrat, Joachim Genosko, mit einem Gutachten für das Klinikum zu beauftragen. Genosko saß damals zugleich im Krankenhauszweckverband, der als Eigentümer die Klinikum GmbH beaufsichtigen sollte. Das Gutachten kostete fast 50.000 Euro. Joachim Genosko teilt auf Anfrage von CORRECTIV mit, dass er von Lehmanns angeblicher Einflussnahme auf Fastenmeier nichts gewusst habe. Auch seinem städtischen Kulturreferenten soll Lehmann einen Nebenjob beim Krankenhauszweckverband verschafft haben.
Der Verdacht liegt nahe, dass Fastenmeier mitmachte, um sich mit Gefälligkeiten bei Lehmann den Rücken frei zu halten. Würde Lösel, der neue Oberbürgermeister, als Aufsichtsratsvorsitzender anders agieren?
Die Sorge war wohl unbegründet. Lehmann wollte angeblich, dass alles weitergehe wie bisher, wie Fastenmeier notierte. Und auch Lehmanns langjähriger enger Mitarbeiter und Amtsnachfolger Christian Lösel hatte vermutlich ein Interesse, trotz Amtswechsel die Macht- und Arbeitsstrukturen in wichtigen Fragen beim Alten zu belassen. Darauf einigten sich die drei Männer in einem vertraulichen Gespräch, so der Klinikchef.
Offiziell führte zwar Lösel als amtierender Oberbürgermeister die Sitzungen des Aufsichtsrates, inhaltlich sei angeblich aber Lehmann direkter „erster Ansprechpartner“ des Geschäftsführers gewesen, behauptet Fastenmeier. Mit Alt-Oberbürgermeister Lehmann stimmte sich der Klinikchef über wichtige Fragen ab, vor allem zu Personal und Immobilien. „Sämtlicher Schriftverkehr, E-Mail-Korrespondenz und persönliche Vorbesprechungen haben daher nach Ausscheiden Herrn Lehmanns aus dem Amt des Oberbürgermeisters auch weiterhin zwischen Herrn Fastenmeier und Herrn Lehmann stattgefunden“, schreibt Fastenmeiers Anwalt. „Zwar hat es vierzehntägige Rücksprachen zwischen Herrn Fastenmeier und Herrn Dr. Lösel gegeben, diese waren indes eher allgemeinen Themen gewidmet.“
Es gibt zwar einen Stadtratsbeschluss, der Alt-Oberbürgermeister Lehmann in den Aufsichtsrat entsendet. Es gibt aber keinen Beschluss für ihn als Ansprechpartner an Stelle des amtierenden Oberbürgermeisters Lösel. Offenbar gab es ebenso wenig einen entsprechenden Beschluss im Aufsichtsrat. „Zu den Aufgaben des Vorsitzenden des Aufsichtsrates gehört es, wichtige Fragen mit der Geschäftsführung zu besprechen und hierüber die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrates regelmäßig zu unterrichten“, sagt Gerrit Manssen, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Regensburg. „Eine solche satzungsmäßige Aufgabe darf er nicht informell auf ein anderes Mitglied übertragen, jedenfalls nicht, ohne dies gegenüber dem Gremium offen zu legen.“
Was ist dran an Fastenmeiers Vorwürfen? Alfred Lehmann sowie dessen Anwälte lehnten es ab, Fragen dazu zu beantworten. Gegen Oberbürgermeister Lösel gibt es kein Ermittlungsverfahren. Es gilt die Unschuldsvermutung. CORRECTIV schickte Lösel einen Katalog mit 27 Fragen zu den Vorwürfen und Recherchen. In einem Antwortschreiben dementierte Lösel sämtliche Vorwürfe des Klinikchefs gegen sich und seinen Vorgänger Lehmann: „Es gab zu keiner Zeit eine Vereinbarung, dass Herr Dr. Lehmann für Herrn Dr. Lösel Aufgaben wahrnehmen sollte.“ Er habe den Vorsitz ab Mai 2014 „eigenverantwortlich, vollumfänglich und gewissenhaft ausgeübt“. Und: „Von einer kleinteiligen und ausschließlichen Absprache zwischen Fastenmeier und Dr. Lehmann war zu keinem Zeitpunkt die Rede. Ich habe Dr. Lehmann nicht beauftragt und bevollmächtigt, an meiner Stelle zu handeln. Ich habe keine meiner Aufgaben an Dr. Lehmann delegiert.“ Maßgeblich für den Aufsichtsrat sei die Abstimmung zwischen Fastenmeier und ihm gewesen. „Diese war nicht ‚eher allgemeinen Themen’ gewidmet.“
Geheimabsprachen bei einem kleinen Imbiss
Keine Aufgaben delegiert? Fastenmeiers Tischterminkalender, der CORRECTIV in Auszügen vorliegt, lässt Zweifel aufkommen: Am 24.06.2015 vermerkte Fastenmeier einen Termin von 13.00 bis 14.00 Uhr mit Alt-Oberbürgermeister Lehmann. Grund: „Rü vor ASR (mit kleinem Imbiß)“ – Rücksprache vor Aufsichtsratssitzung. Zwei Wochen später verabredeten sie sich erneut zum Essen. Zwischen 2014 und 2016 finden sich in Fastenmeiers Tischkalender mehr Termine mit dem Alt-Oberbürgermeister als mit Lösel, dem amtierenden Oberbürgermeister. Immer wieder geht es um Rücksprache. Termine mit Lösel wurden wiederholt abgesagt.
Oberbürgermeister Lösel betont gegenüber CORRECTIV: Es sei der Wunsch Fastenmeiers gewesen, „zunächst bereits laufende Themen weiterhin mit Herrn Dr. Lehmann zusätzlich besprechen zu können“. Laufende Themen? Ein weites Feld. Sollte Lehmann nicht maßgeblicher Ansprechpartner gewesen sein, so hatte er jedenfalls einen eigenen, geduldeten und halboffiziellen Gesprächskanal zum Geschäftsführer.
Den wusste Lehmann offenbar für seine Zwecke zu nutzen.
Ab November 2015 habe er „vermehrt starke Eigeninteressen verfolgt und diese mit Belangen des Klinikums vermischt“, wie es Fastenmeiers Anwalt in einem Schriftsatz formuliert. So soll Lehmann von Fastenmeier gefordert haben, einen Autohändler und Freund seiner Frau für die Vermittlung von Pflegekräften einzusetzen. Dazu wurde der Autohändler auf Kosten des Klinikums auch auf Reisen nach Rumänien und China mitgenommen. Der Autohändler vermittelte sechs Pflegekräfte und kassierte 5000 Euro Provision pro Person. Aus China sollte er angeblich erneut auf Lehmanns Wunsch billige Medikamente einführen.
Zu Spannungen zwischen Fastenmeier und Lehmann kam es indes wegen Lehmanns anhaltendem Interesse an Immobiliengeschäften: Er hatte wohl nicht nur als Oberbürgermeister das Vergabeverfahren des Altstadtareals unzulässig beeinflusst, um mutmaßlich preiswert an ein Appartement in der Innenstadt zu kommen. Jetzt soll er auch noch mit zwei umliegenden Immobilien Geschäfte geplant haben, die ebenfalls dem Klinikum gehörten. Gemeinsam mit Fastenmeier wollte Lehmann nach Informationen von CORRECTIV eine GmbH gründen und einen Dritten als Geschäftsführer einsetzen. So hätte nach außen verschleiert werden können, dass hier zwei Amtsträger des Klinikums privat Geschäfte mit deren Immobilien machten.
Fastenmeier behauptet, er sei auf die Idee nicht eingegangen und Lehmann habe nicht weiter insistiert. Fastenmeier behauptet außerdem, unter anderem sei er deshalb zu Lehmann auf Distanz gegangen und habe stärkeren Kontakt zu Oberbürgermeister Lösel gesucht. Doch Lösel habe sich kaum für das Klinikum interessiert. Lösel habe Fastenmeier sogar „peu a peu ‚kalt gestellt’“. Lösel widerspricht: „Herr Fastenmeier hatte regelmäßige Rücksprachen, in denen er sich mit mir, auch vertraulich, austauschen konnte.“
Der Öffentlichkeit präsentiert sich Oberbürgermeister Lösel als Aufklärer. Er beauftragte Anwälte und versprach für mehr Transparenz zu sorgen. Nach Recherchen von CORRECTIV wollte Lösel jedoch die Staatsanwaltschaft im Januar 2016, also zu Beginn der Klinikums-Affäre, zunächst nicht einschalten. In einem Telefonat mit dem Ombudsmann des Klinikums soll Lösel gesagt haben, er wolle keine Ermittlungen der Polizei oder Staatsanwaltschaft, da er um seine politische Karriere fürchte. Er habe Angst, dass es ihm ähnlich ergehen könnte wie der ehemaligen bayerischen Staatsministerin Christine Haderthauer, so Lösel weiter. Haderthauer hatte wegen einer Affäre zurücktreten müssen; damals saß sie auch noch im Ingolstädter Stadtrat. Auf Anfrage von CORRECTIV begründet Lösel sein Vorgehen so: Er habe die Vorwürfe gegen Fastenmeier zunächst prüfen müssen, um das Klinikum und den Geschäftsführer nicht zu schädigen. Der Ombudsmann informierte von sich aus die Staatsanwaltschaft. Gegen Lösel selbst gibt es keine konkreten Verdachtsmomente.
Im September 2016 erhielt Oberbürgermeister Lösel in seiner Funktion als Aufsichtsratschef des Klinikums ein langes Schreiben von Fastenmeier. Auf 21 Seiten geht der Klinikchef darin auf die Vorwürfe ein, die gegen ihn im Raum stehen. Fastenmeier betont, er habe die Einstellung seines Sohnes, die Vergabe des Kiosks an seine Frau, den Verkauf einer Wohnung an seinen Sohn und weitere Interessenskonflikte mit Alt-Bürgermeister Lehmann besprochen. Fastenmeier redet die Vorwürfe klein. Tatsächlich spricht inzwischen Manches dafür, dass einige der damaligen Vorwürfe gegen ihn wenig stichhaltig sind. Die Schadensumme wäre vor Gericht vermutlich geringer ausgefallen. Tatsächlich nahm die Staatsanwaltschaft eine Reihe der ursprünglichen Vorwürfe aus der Anklage. Hätten die Aufsichtsräte zu seinen Vorwürfen nicht bereits damals gemeinsam Lehmann befragen müssen, um zu ermessen, inwiefern er Interessenskonflikte geduldet, befördert und sogar eingefordert hat? Lösel betont in seiner Antwort auf die Anfrage von CORRECTIV: „Sämtliche Vorwürfe, die Herr Fastenmeier gegen Herrn Dr. Lehmann ab Juli 2016 erhob, wurden allen Mitgliedern des Aufsichtsrates und der Zweckversammlung bekannt gegeben.“
Was im Aufsichtsrat des Klinikums Ingolstadt besprochen wird, bleibt aber fast immer geheim. Otto K. Dietlmeier, ehemals städtischer Jurist in Amberg und früher selbst Chef eines kommunalen Unternehmens, findet es gefährlich, wenn Kommunen zu viele Aufgaben in Gesellschaften auslagern und diese nicht ausreichend demokratisch legitimiert und kontrolliert sind. Die vom Volk gewählten Vertreter entmachteten sich dadurch selbst. „Im Ergebnis bedeutet dies eine Sinnentleerung des kommunalen Wahlakts“, sagt er.
Eines der grundsätzlichen Probleme bestehe darin, dass die Gemeindeordnungen der Bundesländer die realen kommunalpolitischen Verhältnisse ignorierten, sagt Verwaltungsrechtler Gerrit Manssen. Sie hinkten der Wirklichkeit hinterher und gäben eine Ordnung für eine Wunschwelt, die so nicht existiere. „Die Gemeindeordnung setzt voraus, dass der Stadtrat den Oberbürgermeister kontrolliert, während in der Praxis meist Mehrheiten in der Gemeindevertretung gebildet werden, die den Oberbürgermeister unterstützen oder sogar von ihm entscheidend dirigiert werden und seine Vorschläge und Entschlüsse oft nur absegnen.“ Minderheiten werden durch Satzungen mit Verschwiegenheitsklauseln an effektiver Kontrolle gehindert. So sitzen Mitglieder der Minderheiten in den Aufsichtsräten oft hilf- und nutzlos herum. Der Grund der Besetzung nach Fraktionsstärke ist pervertiert. In manche Gremien werden inkompetente Oppositionspolitiker aus Versorgungsgründen entsandt und von einem OB als angenehme, weil wirkungslose, „Kontrolleure“ begrüßt.
Stadtrat feuert Kritiker
Als der Aufsichtsrat Henry Okorafor gegen einen Beschluss in der Causa Fastenmeier stimmte, soll auch Oberbürgermeister Lösel Einstimmigkeit gefordert haben. Als Okorafor widersprach, die Absetzung Lösels forderte und drohte, an die Presse zu gehen, wurde er vom Stadtrat wegen Bruch des Vertrauensverhältnisses aus dem Aufsichtsrat geworfen.
Oberbürgermeister Lösel, dazu von CORRECTIV befragt, verweist in seiner schriftlichen Stellungnahme auf eine frühere Pressemitteilung der Stadt: Dem Stadtrat sei es “wichtig zu betonen, dass die Gründe für die Abberufung ausdrücklich nicht in einer abweichenden Meinung oder den individuellen Abstimmungsverhalten von Herrn Okorafor liegen”.
Das strafrechtliche Verfahren gegen Heribert Fastenmeier endete mit seinem Suizid. Ermittlungen gegen eine Reihe weiterer Beschuldigter wurden eingestellt. Alfred Lehmann legte sein Stadtratsmandat nieder. Der Ruf nach Regeln der Compliance, wie es bei Unternehmen in Deutschland üblich ist, findet bei Oberbürgermeister Lösel kaum Gehör. Die Compliance Regeln säen nur Misstrauen in der Verwaltung und stigmatisieren die Mitarbeiter der Stadt zu Unrecht, sagte Lösel in einer Stadtratssitzung im Dezember 2018. Die Debatte über Compliance bezeichnete der Oberbürgermeister als „unsäglich“. Die Lokalzeitung zitierte Lösel mit den Worten: „Korruption und Vetternwirtschaft sind nicht an der Tagesordnung. Sie sind ein vernachlässigbares Thema.“ Am Ende verschob der Stadtrat die Compliance Regelungen auf das Jahr 2020.
Alt-Oberbürgermeister Lehmann steht derweil wegen der Immobiliendeals vor Gericht. Er bezeichnete sich zum Prozessauftakt und in späteren Einlassungen in beiden Fällen wiederholt als unschuldig und bestreitet die Vorwürfe vehement: „Ich habe nie einen Vorteil angenommen. Ich habe immer im Interesse der Stadt und der Bürger gehandelt.“ Das Urteil wird am 2. August erwartet.
Lehmanns Geständnis „wenig glaubhaft“
Nach fast 20 Prozesstagen räumte Ingolstadts Ex-Oberbürgermeister Alfred Lehmann erstmals ein, beim Ausbau seiner günstig erworbenen Immobilien keinen marktgerechten Preis bezahlt zu haben: „Das waren schon sehr günstige Preise, das hätte ich erkennen müssen, dass ich da einen Vorteil habe. Ich weiß nicht, warum ich ihn angenommen habe.“
Richter und Staatsanwalt waren sich danach einig: Das habe wenig mit einem Geständnis zu tun und sei „wenig glaubhaft.“ Der Richter hatte zuvor Lehmann darauf hingewiesen, dass ihm im Falle einer Verurteilung ohne Geständnis mehr als zwei Jahre Haft drohen.
Die Plädoyers wurden nach der Aussage von Lehmann auf Ende August verschoben. Das Urteil soll voraussichtlich am 11. Oktober verkündet werden.
Das Urteil
Update vom 29. Oktober 2019: Am 22. Oktober 2019 verurteilte das Landgericht Ingolstadt den Ex-OB Alfred Lehmann wegen Vorteilsnahme und Bestechlichkeit in zwei Fällen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Das Urteil ist seit dem 28. Oktober rechtskräftig. Der mitangeklagte Bauunternehmer J. erhielt wegen Vorteilsgewährung eine Strafe von einem Jahr, ebenfalls zur Bewährung. Ein Bericht von der Urteilssprechung:
Mehrere Stunden lang redete der Richter Jochen Bösl dem ehemaligen Ingolstädter Oberbürgermeister Alfred Lehmann ins Gewissen. Lehmann habe „die Hand aufgehalten“ und sei käuflich gewesen. Zudem attestierte Bösl dem ehemaligen OB eine „gewisse kriminelle Energie“. Der CSU-Politiker habe versucht, die Wahrheit zu „verschleiern“. Lehmanns Handeln habe dem Amt des Oberbürgermeisters „schweren Schaden zugefügt“, da ist sich der Richter sicher.
Lehmann nimmt die Ausführungen stumm zur Kenntnis. In einem Zeitraum von mehr als einem halben Jahr hatte er seine Sicht der Dinge im Korruptionsprozess am Ingolstädter Landgericht dargelegt, zuerst alle Schuld von sich gewiesen, schließlich Fehler eingeräumt und sich in Teilen für schuldig bekannt.
Nach 25 Prozesstagen sahen es die Ingolstädter Richter als erwiesen an, dass sich Alfred Lehmann in seiner Zeit als OB mehrmals schmieren ließ. „Der Korrupte nimmt seine Korruption nicht war. Es ist ein wenig wie mit Mundgeruch. Wer ihn hat, der bemerkt ihn nicht. Die anderen bemerken es und müssen es ihm sagen.“ Mit diesem Zitat von Papst Franziskus machte Richter Jochen Bösl unmissverständlich klar, was die Kammer Lehmann mit Ihrem Urteil mitteilen wollte.
Im Laufe der Verhandlung hatte Richter Bösl Alfred Lehmann mehrmals klargemacht, dass ihn nur ein Geständnis vor einer Gefängnisstrafe retten könne. Lehmann räumte in den letzten Verhandlungstagen dann auch ein, dass er von zwei Bauträgern Vorteile angenommen hatte, die er so nicht hätte akzeptieren dürfen.
Zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe muss Alfred Lehmann etwa 383.000 Euro zurückzahlen, die er durch seine illegalen Aktivitäten zu Unrecht kassierte. Weder Verteidigung noch Staatsanwaltschaft legten Revision gegen das Urteil des Gerichts ein. Die Entscheidung ist somit rechtskräftig.
Diese Recherche wurde durch ein Stipendium von netzwerk recherche gefördert.
Illustrationen: Anwar Jbr