Die falschen Syrer
Wer mit einem syrischen Pass reist, ist vielerorts nicht gern gesehen. Doch für eine kleine Gruppe ist er ein begehrter Türöffner: südamerikanische Profifußballer. Denn ein syrischer Pass verwandelt sie in Asiaten. Und das eröffnet lukrative Möglichkeiten.
„Er kann heute fertig sein. 200 Dollar ohne meinen Anteil“, sagt uns der Mann am Telefon.
Er ist ein Syrer, der in Istanbul lebt, spezialisiert auf die Vermittlung von syrischen Pässen.
Wir haben seine Telefonnummer von einem brasilianischen Spielerberater in Dubai erhalten. Dieser Geschäftsmann ist wiederum darauf spezialisiert, südamerikanische Fußballer an den Golf und nach Fernost zu vermitteln.
Wie ein echter Käufer zweifeln wir, ob der Preis nicht zu hoch ist. „Mein Partner muss einen neuen Pass besorgen und mit Deinen Angaben ausfüllen“, erklärt der Mann. „Du kannst Dich selber erkundigen. Der Pass wird in Azaz gemacht.“
Schmuggelhochburg Azaz
Azaz: eine Kleinstadt im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei. Die Stadt ist ein Umschlagplatz für die berühmten Oliven aus den umliegenden Bergen. In der kleinen Stadt in der Nähe von Aleppo wird noch mehr gehandelt: seit jeher passieren Waffen und Drogen den Grenzort. Und eben gefälschte Pässe.
Die syrische Regierung verlor im Bürgerkrieg die Kontrolle über Gebiete im Norden Syriens. Regierungsgebäude mitsamt Druckmaschinen für Pässe fielen in die Hände von Aufständischen. Professionelle Fälscher verkaufen seitdem syrische Pässe. Sie haben viele Kunden: Iraker oder Palästinenser, die nach Europa fliehen wollen und sich von einem syrischen Pass bessere Chancen auf Asyl erhoffen. Syrer, die ihre Pässe auf der Flucht verloren haben und etwa in der Türkei einen Führerschein beantragen wollen. Und eben: südamerikanische Fußballer.
Syrien zählt zum asiatischen Fußballverband, dem AFC. Der Verband hat den Vereinen Beschränkungen auferlegt: sie dürfen neben Spielern aus dem eigenen Land drei Nicht-Asiaten und einen Asiaten unter Vertrag nehmen. Und dank der Fälscher aus Azaz reichen 200 US-Dollar, um Asiate zu werden.
In der Stadt des Glücks
Zum Beispiel Andres Tunez. Der Nationalspieler aus Venezuela spielt für den thailändischen Verein Buriram United, benannt nach der Stadt des Vereins: Buriram, Stadt des Glücks. Zwei Jahre hintereinander hat der Verein die thailändische Meisterschaft gewonnen, auch dank Tunez. Beim Eröffnungsspiel der Saison 2016 gegen den Hauptstadtclub Bangkok United steuerte er einen Hattrick zum 5-3 bei.
Die lokale Presse war nicht nur über seine Tore, sondern auch von seiner Nationalität begeistert: „Tunez wird AFC-Spieler, da er einen syrischen Pass erhält!“ titelte die Buriram Times. Es ist der dritte Pass von Tunez: er besitzt bereits die Staatsbürgerschaften von Venezuela und Spanien. Mit einem spanischen Pass spielte Tunez vor seiner Zeit in Asien vier Jahre lang bei dem spanischen Verein Celta Vigo in der Primera Division.
Die Begründung für den syrischen Pass, wie sie der Presse zu entnehmen ist, ist einigermaßen kurios: Tunez habe einige Jahre mit seinem Vater in Syrien gelebt, deswegen sei er syrischer Staatsbürger geworden. Doch nach Recherchen von CORRECTIV ist der Pass von Tunez eine Fälschung, erworben vermutlich von dem Netzwerk von Fälschern rund um die kleine syrische Stadt Azaz.
Kein Treffer in der Passdatenbank
Das Olympische Komitee Syriens teilt auf Anfrage mit, dass der Pass von Tunez gefälscht sein muss. Das Komitee beruft sich dabei auf die Auskunft syrischer Behörden, die es zur Beantwortung unserer Anfrage einholte. Insgesamt hat CORRECTIV sieben Spieler, die in Asien mit syrischen Pässen spielen, überprüft: fünf Südamerikaner und ein afrikanischer Spieler. Für keinen von ihnen gibt es laut Olympischem Komitee einen echten syrischen Pass. Die Spieler wie die Vereine reagierten nicht auf Anfragen. Laut AFC droht einem Spieler, der mit gefälschten Dokumenten aufläuft, eine Geldstrafe von mindestens 5.000 US-Dollar und eine Sperre von mindestens sechs Spielen.
200 US-Dollar reichen also, um Asiate zu werden. Eine kleine Summe, mit der sich der Marktwert der Spieler enorm steigert, weil die Spieler zwei Eigenschaften vereinen: sie sind nun formal Asiaten, aber solche mit den Ballkünsten von Südamerikanern. Ihre Berater haben Kontakt zu den syrischen Passfälschern.
Am Telefon erklärt uns der syrische Makler in Istanbul, wie es funktioniert: „Wir bekommen die Originalpässe ohne Eintragung, unterschrieben vom Chef der Abteilung Einwanderung und Pässe, in Zusammenarbeit mit einigen Händlern, die mit denen arbeiten. Wir drucken die Einträge mit den persönlichen Daten dann in Azaz.“
Geld macht alles möglich
Wir probieren es aus: wir beauftragen den Makler, uns einen syrischen Pass auszustellen. Und zwar mit dem Namen einen Fußballfunktionärs, den jeder auf der Welt kennt. Von dem jeder weiß, dass er kein Syrer ist. Es funktioniert: einen Tag später bekommen wir über WhatsApp ein Foto des Passes. „Geld macht das Unmögliche möglich“, sagt der Makler.
Mit uns treffen will sich der Makler nicht. Das sei nicht nötig. Die Übergabe der Ware soll in Istanbul stattfinden. Dort könnten wir von einem Boten den Pass erhalten und ihm im Gegenzug die 200 US-Dollar geben. Diese Information genügt uns, zu der Transaktion lassen wir es nicht kommen.
Ein weiteres Beispiel für Spieler, deren syrische Nationalität nur ein Fake ist: Sergio Paulo Filho, auch genannt Serginho. Vier Tore hat der brasilianische Mittelfeldspieler in der Korean League Challenge Spielen für die Vereine Daegu FC und Gangwon geschossen.
Zwischendurch spielte auch er in Thailand.
Eine Minute vor dem Elfmeterschießen
In Südkorea erregten die ausländischen Spieler mit syrischen Pässen zwischendurch das Interesse der Behörden. Die Polizei befragte Serginho zu seiner syrischen Nationalität. Der Spieler sagte, er habe den Pass 2013 auf legale Weise erhalten, weil sein Großvater Syrer sei – einer der fünf Millionen Syrer, die nach Nord- und Südamerika ausgewandert sind. Doch auch von Serginho ist in Damaskus im Passregister keine Spur zu finden. Konsequenzen hatte das keine: nachdem er drei Jahre ohne gültigen Pass gespielt hatte, lief sein Vertrag Anfang 2017 aus.
Im Oktober 2017 ist für den syrischen Fußball das Unmögliche plötzlich zum Greifen nah: Das seit Jahren vom Bürgerkrieg gebeutelte Land hat nicht nur eine Fußballmannschaft zusammen bekommen. Sie spielt sogar gut genug, um gegen den ewigen Endrundenteilnehmer Australien die letzte Qualifikationsrunde für die Weltmeisterschaft in Russland zu erreichen.
Das Hinspiel, wegen des Bürgerkriegs nicht in Syrien, sondern in Malaysia ausgetragen, endet 1:1. Auch im Rückspiel steht es nach regulärer Spielzeit 1:1. Erst eine Minute vor dem Elfmeterschießen trifft Australien zum entscheidenden 2:1.
Gut möglich also, dass das Spiel einen anderen Verlauf genommen hätte, wären die wahrscheinlich besten syrischen Spieler ebenfalls ihrer patriotischen Pflicht nachgekommen. Tunez, Serginho und die anderen Südamerikaner, die in Asien ihr Glück suchen.
Mitarbeit: Hossam Alhummada und Mazen Alhindi.